Ulrich Horn ist in seiner brutalen Klarheit schon sehr gut. Es gibt aber eine Steigerungsform von ihm: Albrecht von Lucke. Als Chefredakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik leidet er wahrscheinlich bis heute unter dem “Makel”, dass seine Zeitschrift bis 1990 in einem Kölner Verlag erschien, der in sehr relevantem Ausmass von der DDR finanziert wurde (von 1987-1990: ich auch). Lucke ist daran komplett unschuldig. Unter seiner wesentlichen Mitwirkung, aber auch etlicher weiterer Mitarbeiter*innen, die nicht so oft in der Glotze sitzen, wurde die Zeitschrift auf eigene Beine gestellt und betrieben. Mir ist es ein Rätsel, wie die das schaffen; aber ich bin voller Respekt und Hochachtung.
Was nun von Lucke betrifft: ich kenne keinen, der so schnell Denken, Reden und Schreiben kann. Das alles hat bei dem eine geniale Geschwindigkeit und ist von seinen Moderator*inn*en und Widerparts in Radio und TV gefürchtet – für die*den Zuhörer*in bzw. Leser*in aber ein seltener intellektueller Genuss. (Es gibt einen jungen Mann (22) im Bonner Stadtrat, der es im Denken und Reden, allerdings nicht im Schreiben, mit von Lucke aufnehmen könnte.)
Jetzt ist Friedrich Merz Luckes Opfer. Wirtschaftsliberal? Wertkonservativ? Nichts von alledem. Er ist ein Mann des Gestern. Er simuliert nur, was vom Hauptstadtberliner Polit- und Medienzirkus auf ihn projiziert wird. Polarisieren kann er allenfalls die Gestrigen gegen die Mehrheit. Wenn das die Mehrheit der CDU-Parteitagsdelegierten überzeugt, ist es ein Zeichen ihrer Weltabgewandtheit und Kapitulation, als wenn sie das Regieren so leid sind, wie die versprengten Trümmer der SPD-Linken. Seine Wahl durch die CDU wäre keine Hoffnung für SPD u.a. Die sind so schlecht, die würden selbst davon kaum profitieren. Es wäre vor allem eine Abrissbirne für unsere Republik und Demokratie.
Gerrit Wustmann/telepolis hat soeben gut aufgeschrieben, wie viele Annehmlichkeiten deutsche Bürger*innen dem Rest der Menschheit voraus haben. Es gibt also noch viel zu verlieren.
Der Text von Lucke liest sich dagegen wie ein Bewerbungsschreiben als Grundsatzreferent der letzten deutschen Volkspartei. Dafür besteht jedoch keine Gefahr: nach Merkel wollen sie keine*n mehr mit DDR-Virus (s.o.), selbst wenn er persönlich erwiesenermassen gesund ist. Wer einen Realo braucht, nicht im ideologisch-vernagelten Sinne, wie sie bei den Grünen rumlaufen, sondern im Sinne einer entsprechenden gesellschaftsanalytischen Handwerkskunst, wird sich diesen Mann noch kaufen. Sofern er selbst am “Markt” überhaupt teilnimmt. Seine Extrovertiertheit spricht dafür, dass das so ist.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net