Ich habe es gestern nicht lange ertragen, “Hart aber Fair” zu sehen. Frank Plasberg hatte wieder einmal geladen, um die Ergebnisse des AfD-Parteitages zu besprechen. Manfred Weber, Spitzenkandidat der CDU/CSU für die Europawahl und die Antidemokratin und Monarchistin von Storch. Während Storch Monologe über die “Nationale Identität” des Volkes halten konnte, das angeblich von der EU in seinen Wünschen nach Identität unterdrückt wird, gerieten wie zumeist bei Plasberg die Verteidiger der Mehrheitsgesellschaft in die Defensive – weil Plasberg immer nach der Methode vorgeht, hinterfragen zu müssen, ob an den verquasten Blödsinnigkeiten der AfD nicht doch etwas dran sei. Ich konnte es nicht fassen und schaltete nach wenigen Minuten um.

Szenenwechsel: Im WDR 3 Fernsehen lief der dritte Teil von “Holocaust”. Dazu eine Dokumentation, die die Zuschauerreaktionen, Diskussionen und Briefe an den WDR zeigte. Viele Jugendliche begannen damals – 1978 –  ihre Eltern zu fragen, warum sie nichts über die Vergangenheit erzählt hatten. Die Sendung wurde von vielen Schüler*inne*n als Hausaufgabe angesehen, im Unterricht besprochen. Holocaust war ein Tabubruch, weil der thematisierte, was bis dahin nicht thematisiert werden durfte. Von vielen wegen “seichter Unterhaltung” angegriffen, erreichte “Holocaust” Millionen Zuschauer und löste ganz viel aus. Geschichtswerkstätten wurden gegründet, eine ganz Generation begann, zu forschen.  Die Wirklichkeit und die “Banalität des Bösen” (Hannah Arendt) zu ergründen und reflektieren.

Heute haben wir wieder einen Tabubruch. Frank Plasberg bereitet regelmäßig denjenigen eine Bühne ihrer verquasten Ideologien, die unter dem Deckmäntelchen der “Alternative” genau das Denken wieder entkriminalisieren und in die Gegenwart zurückholen wollen, das eine ganze Genration damals glaubte, für immer überwunden und in den Bereich des Unmenschlichen, des Undenkbaren und nie wieder Reanimierbaren abgelegt zu haben. Er macht es, indem er sich distanziert, das Thema aber ständig reproduziert. Wie, wenn immer wieder eine Pornofilm vorgeführt wird, um sich von dieser oder jener Szene zu distanzieren.

Gegen den Holocaust gibt es 1978 Briefe von “Bürgerwehren” gegen die Medien, Drohungen gegen den WDR und verbale Entgleisungen, wie man sie heute von der AfD gegen die Presse kennt. Ich frage mich, wer eigentlich entschieden hat, in einer Zeit, in der Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder hoffähig werden, Plasberg im 1. ARD-Programm um 21 Uhr gesendet wird, “Holocaust” im 3. Programm um 22.50 Uhr. Schon damals war es der “Kompromiss” der  ARD-Sendeanstalten, diese Sendung nur in den 3. Programmen zu zeigen. Sprengstoffanschläge auf Sendemasten in Koblenz und Nottuln begleiteten die Erstausstrahlung. Keine “etablierten” Politiker stellten sich damals auf die Seite des WDR. Trotzdem hat “Holocaust” damals eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Heute entertaint dazu Frank Plasberg.

Ich dachte immer,  seit 1978 hätte sich etwas geändert. Ich dachte, ein bestimmtes Denken würde es – abgesehen von wenigen rechten Spinnern – nie wieder geben. Ich denke, es gibt wieder einen Anlass, über faschistisches Denken zu diskutieren und den Anfängen zu wehren.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net