Lernen von Marlene Dietrich
Das berühmteste Bonmot von Theodor W. Adorno lautete: es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Adorno war Zeitgenosse einer anderen bedeutenden Antifaschistin, deren Leben aus einem beständigen Kampf mit diesem Sachverhalt bestand. Und mit sich selbst: »Ich habe Disziplin gelernt. Eine unerbittliche Disziplin. Immer hieß es, bezwinge deinen Durst, bezwinge deinen Hunger, beherrsche deine Gefühle. Das half mir später.«
Marlene Dietrich war phasenweise die bestbezahlte Künstlerin der Welt, immer wieder unterbrochen durch Krisenphasen. War sie also die Heidi Klum ihrer Zeit, Germany’s Topmodel? So ähnlich, das auch. Was sie von den Medienphantasien von heute unterschied, war, dass sie singen konnte. Und dass sie ihre Welt verstand und durchschaute, was sie zu einer prinzipienfesten Antifaschistin machte. Daran könnten sich die heute für die neoliberale Leistungsfähigkeit Hungernden in der Tat ein Beispiel nehmen.
Diese Hungernden und Fastenden finden irgendwas falsch. Entweder sich selbst. Oder ihre gesellschaftlichen Lebensumstände. Oder beides. Der Impuls, was ändern zu wollen, ist begrüssenswert. Warum aber Verantwortung und Last einseitig und individualistisch sich selbst zuschieben? Und warum nur phasenweise? Die Dietrich hat es dauerhaft so gehalten. In einer Zeit von Weltkrieg und Faschismus war das eine Art selbstreinigende Notwehr. Sie blieb der Welt als ein “Mythos” einer attraktiven Frau (aber niemals so dünn, wie die heutigen Hüftknochen-Models) in Erinnerung, zu dem Preis, sich als “alte” Frau jahrzehntelang vor der Welt zu verstecken. In einer gerechten Welt hätte sie 1982 bei der Friedensdemo hier in Beuel “Sag’ mir wo die Blumen sind” aufgeführt. Die deutsche Welt war nie gerecht zu ihr.
Heute, hier in Mitteleuropa, gibt es Alternativen. Kraft zu gesellschaftlicher und politischer Veränderung gewinnen Menschen nur, wenn sie sich selbst stark und mutig fühlen. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere so lieben, dass es ihnen guttut. Darum kasteien Sie sich nicht, sondern lernen sie Geniessen. Das Leben ist zu kurz für Anderes. Lernen Sie von den Kindern. Jüngst hörte ich von einem Enkel, er habe sich entschlossen, er faste Brokkoli. Kluges Kind. Ich habe lebenslang Zwiebeln und Porree gefastet. Auf den eigenen Körper hören, Selbstbestimmung einüben, schon in jungen Jahren!
Und im übrigen bin ich der Ansicht, dass Essgestörte nicht in Castings und vor Spielfilmkameras gehören, sondern in therapeutische Betreuung.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net