Wie Adenauer doch siegte – bis heute
Unter Wissenschaftler*inne*n wird bis heute gerätselt, warum immer mehr Menschen sich “unsicherer” fühlen, obwohl die Kriminalität, insbesondere die Gewaltkriminalität, in Deutschland seit langem sinkt. Warum sie das tut, ist einfach zu erklären: seit 1964 werden die delinquenten Jahrgänge, mit ihrem Schwerpunkt unter Männern, immer kleiner. Die Jahrgänge der alten Menschen, die in der Glotze Krimis gucken, werden dagegen immer grösser. Dort sehen sie zahlreiche Morde täglich, obwohl statistisch betrachtet an 120 Tagen im Jahr 2019 z.B. überhaupt kein Mord passierte. Dafür, dass die Tatsachen die Menschen nicht unnötig irritieren, hat nach der Gründung der BRD ein ehemaliger Nazi gesorgt, den das als “Adenauer-Fernsehen” gedachte ZDF mit wachsender Freude beschäftigte.
Die Konservativen der BRD waren schon früher absolut schmerzfrei gegenüber Kräften mit Nazi-Vergangenheit. So konnte das Gespann aus dem Produzenten Helmut Ringelmann und dem Drehbuchautor Herbert Reinecker entstehen, dessen Arbeit für das ZDF von dem emeritierten Medienwissenschaftler Karl Prümm in einer exzellenten Abhandlung für epd-Medien “Langer Schatten – Wie das ZDF zum Krimi-Sender wurde” gewürdigt wird. Ohne dass Prümm das beabsichtigt, liefert er nebenbei ein qualitatives Arbeitszeugnis für den in Kürze abtretenden ZDF-Intendanten Thomas Bellut; und ein ablehnendes Gutachten gegen den Nachfolgekandidaten Fernsehdirektor Norbert Himmler (für seinen Nachnamen kann der nix).
Adenauer war kein Nazi, und schlau dazu, ein begnadeter Techniker konservativer, reaktionärkatholischer Macht, dabei immer realistisch. Er erkannte die Macht des Fernsehens und wollte es sich gefügig machen. Es gelang nicht direkt so, wie er sich das vorgestellt hatte. Am Ende aber doch ziemlich gut. Der erste ZDF-Intendant Karl Holzamer (1962-77) hatte sich im Krieg in einer Propagandakompanie der Luftwaffe verdient gemacht. Unter seiner Leitung etablierte sich das Geschäftsmodell der Achse Ringelmann/Reinecker.
Ich kann aus meinen Kindheitserinnerungen bestätigen, dass sie für das ZDF den Freitagabend eroberten. Legendär blieb eine Szene in “Der Kommissar”, in der dessen Gattin, gespielt von Rosemarie Fendel, ihm zur abendlichen Heimkehr die Pantoffel vor seinem Lehnsessel bereitstellte. Die konkurrierende ARD legte sich freitagsabends davor auf den Rücken, das ZDF eroberte über 80% Marktanteil.
Die Einschaltquote ist bis heute die Währung des TV-Schaffens geblieben. Nach der Durchsetzung des Privat-TVs durch Helmut Kohl und Leo Kirch in den 80ern, eroberte in den 90ern zeitweilig der Bertelsmannsender RTL die Marktführung. Sie ist heute wieder beim ZDF (15% Marktanteil bisher in diesem Jahr). Es sind die von Prümm treffend charakterisierten Krimis, die das bewirken, und das Publikum bis heute dümmer machen, als es die Wirklichkeit könnte.
Der abtretende Intendant Bellut, Konservativer wie seine Vorgänger, wäre der Letzte gewesen, daran was ändern zu wollen. Positiv angerechnet werden kann ihm und seinem Direktor Himmler immerhin, dass sie mit ZDFneo und ihrer Beteiligung an funk.net Spielwiesen für innovative Talente haben entstehen lassen. Spät sind sie damit dran, denn die TV-Glotze wird immer unwichtiger, allzu langsam allerdings. Denn die Alten sind viele, die Jungen sind wenige. Das sorgt für eine arg flache Lernkurve.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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