Hosanna! Hosanna dir Rainer Maria Kardinal Woelki! Hosanna dir in Berlin. Hosanna dir in Köln!

Was hat Woelki nicht alles getan, um als Erzbischof von Berlin unter den deutschen Bischöfen die Pole Position kirchlicher Fortschrittlichkeit zu besetzen? Hat er nicht die offizielle Bischofs-Residenz an der Sankt-Hedwigs-Kathedrale verschmäht und im Arbeiterviertel Wedding eine ärmliche Etagenwohnung bezogen? Hat er nicht die Lesben und Schwulen zum offenen Gespräch eingeladen? Hat er nicht endlich damit begonnen, die Sankt-Hedwigs-Kathedrale konzilskonform umzuformatieren? Hat er nicht soviele Berlinerinnen als möglich in so hohe katholische Positionen als möglich berufen? Hat er nicht für sich selbst keinen „Geheimsekretär“ mehr bestellt, sondern eine echte Berlinerin als ganz moderne „Büroleiterin“? Hosanna dir in Berlin!

Es schwappte das Hosanna aus Berlin über nach Köln. Kam auch in Köln eine armselige Arbeiterwohnung wie in Wedding nicht in Frage, so scheute Woelki doch keine Kosten, um Meisners feudale Amtswohnung umzubauen zu einem viel kleineren, bescheideneren und ganz modernen Apartment. In eben jenem Köln, wo er selber noch als Meisners Geheimsekretär hautnah erlebt hatte, was überholte Zustände sind, kam er jetzt aus Berlin an mit seiner weltoffenen, fortschrittlichen Berlinerin als Büroleiterin.

Und durch alle Medien, die kleinen bescheidenen katholischen Medien und die grossen staatstragenden Qualitätsmedien ging ein einziges Wort: Rainer Maria Woelki der „Hoffungsträger“. Hosanna!

Hosanna dem Hoffnungsträger sogar im revolutionärsten aller revolutionären katholischen Bethäuser Kölns, in der Karl-Rahner-Akademie in der Jabachstrasse. Mir und gewiss manchem ist, als stünde noch immer vorn auf dem Podium Dorothee Sölle und rufe dazu auf, nur noch „atheistisch an Gott zu glauben“. Doch eben da, wo die Protestantin Dorothee Sölle zur Revolution in der katholischen Kirche aufrief, stand jetzt, vor demselben Publikum postkonziliar ergrauter Kölner Katholik*innen, Rainer Maria der Hoffnungsträger, der neue Kardinal Woelki. Assistiert zur Linken von Pfarrer Franz Meurer, dem katholischen Sozialgewissen Kölns, zur Rechten vom Papst der politisch korrekten Geschichte der Domstadt, Martin Stankowski. Unbeschreiblich die Rührung, als der neue Kardinal die schönsten Geschichten aus seiner frommen Kindheit in der Kölner Bruderklaus-Siedlung zum besten gab. Und aus allen linkskatholischen Herzen ein einziges, tiefempfundenes Hosanna! Brauchen wir noch die Revolution von Dorothee Sölle? Nein. In der Karl-Rahner-Akademie, ja auch da, war Woelki der Hoffnungsträger angekommen. Hosanna!

Hosanna im Domradio, wenn der neue Erzbischof die neue Geschwisterliebe zu unseren muslimischen Schwestern und Brüdern predigte: „Ist nicht auch unsere Religion aus dem Osten gekommen?“ Kam nicht er selber zurück aus dem Osten, aus jenen Gefilden Deutschlands, die Konrad Adenauer der östlichen Tiefebene zurechnete? Rainer Maria Woelki, der Hoffnungsträger aus der Hauptstadt an der Spree!

Hosanna sogar weit über Köln hinaus. Hosanna bis in in die Hamburger Stern-Redaktion. Wo eben noch Henri Nannen altbackenen, längst überholten Antiklerikalismus illustriert unters Volk gebracht hatte, waren sich jetzt alle jungen und fortschrittlichen Redakteure einig: diesen Kölner Kardinal, diesen ganz neuen, weltoffenen, fortschrittlichen Hoffnungsträger galt es als Kolumnisten für Stern-online zu gewinnen. Hosanna!

Das war anno Domini 2014. Jetzt sind wir im Jahr des Herrn 2021. Und hat es auch ein bisschen länger gedauert als damals in Jerusalem, so ist es doch eine metanoia, eine Umkehr der Herzen von biblischem Kaliber. Durchs ganze Erzbistum tönt ein ganz anderer Ruf: Kreuziget ihn! Kreuziget ihn!

Weit über Köln hinaus tönt es so. Durch ganz Deutschland tönt es so bis zurück nach Berlin. Dem einstigen Berliner Erzbischof, meldet der Hauptstadt die „Berliner Zeitung“, fliege jetzt sein ganzes neues Erzbistum am Rhein „um die Ohren“, die Kölner Katholiken seien alle hoch „auf den Barrikaden“, Woelki selbst stehe „kurz vor dem Rauswurf“. Klare Berliner Schnauze. Biblische Sprache allerdings kann noch klarer sein:
Kreuziget ihn!
Dabei ist die „Berliner Zeitung“ nur die allerletzte, die gemerkt hat, was am Dom ze Kölle los ist. Wochen vorher schon haben es „Bild“ und „Kölner Stadtanzeiger“, „Christ und Welt“ vereint mit „Zeit online“, der Spiegel und die Süddeutsche sowieso, ja selbst die „Frankfurter Allgemeine“ der ganzen Nation verkündet:

Weg mit Woelki! Kreuziget ihn!

Und das Kölner Kirchenvolk, einst so lammfromm, hat bis in den Mai sämtliche Termine für den Kirchenaustritt im voraus ausgebucht. Für spätere Termine ist glaubhaft zu hören, sei im Kölner Amtsgericht der Server zusammengebrochen.

Vor Jahren undenkbar: Der Chef der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, greift seinen Mitbruder Woelki persönlich an und nennt, was Woelki tut, „ein Desaster“. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx spricht von dem „großen Schaden für die katholische Kirche“, den Woelki angerichtet habe, und nennt ihn „verheerend für uns alle“. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg, bezeichnete Woelkis Verhalten als »katastrophal«. Es fehlt noch Jochen Ott, der SPD-Fraktionsvize im Düsseldorfer Landtag. Den drängt sein christliches Gewissen, in die katholische Kirche politisch einzugreifen:. „Bei aller gebotenen Trennung von Kirche und Staat – hier geht es nicht um seelsorgerische oder kirchenrechtliche Fragestellungen, sondern schlichtweg um Verbrechen.“

Und die Treuesten der Treuen? Was ist eigentlich mit Manfred Lütz? Furchtlos, wortgewaltig pflegte er sich vor jeden Kirchenfürsten zu stellen, ob Papst, ob Erzbischof. Jetzt hat er sich unauffindbar im Vorgebirge verkrochen. Willibert Pauels, „Diakon und Büttenclown“, leidet dagegen mit dem Kardinal: „Das hält doch keine Sau aus.“ An den Busen seines geliebten Kardinals schmiegt er sich nächstenliebend und rät ihm zum „Rücktritt aus Liebe“. Pauels´ Bruder in der Kölner Narrenzunft, Jürgen Becker, schlägt als würdige Nachfolgerin für den unwürdigen Woelki die evangelische Ex-Bischöfin von Hannover, Margot Kässmann vor: „Die hat Berufserfahrung, die hat Würde, das richtige Alter, die ist fromm, und die kennt sich mit Martin Luther aus.“ Die Kässmann sei, wie einst der Reformator, fähig „dem sündigen Klerus die Stirn zu bieten.“

Bevor Margot Kässmann Kölns rote Ampeln überfährt, wollen wir nun doch in Ruhe überlegen, was da zwischen „Hosanna!“ und „Kreuziget ihn!“ in Köln überhaupt passiert ist. Alles Lebendige verändert sich. Mehr als alles andere Lebendige hat sich in diesen sieben Jahren die erzbischöfliche Kurie in Köln verändert. Da bekämpften sich früher, ganz traditionell, Rechte und Linke. Jetzt ist das nicht mehr so. Jetzt sind die Kurial*innen alle mal ein bisschen rechts und links und fast immer beides. Der neue Kardinal selbst ist so richtig hineingewachsen in diese mutierte Kurie. Er ist nicht mehr der linke Hoffnungsträger, den die Berliner*innen so geliebt haben. Er ist jetzt, wie sein ganzes Kölner Umfeld, mal links, mal rechts, links und rechts zugleich.

Was hat ihn denn geritten, weit zurück in die Vergangenheit ein externes Gutachten über die kurialen Verantwortlichkeiten bei sexuellen Übergriffen in seinem Klerus in Auftrag zu geben? Jeder vernünftige Christ weiss doch, dass es stinkt, wenn man in altem Dreck wühlt. Kaum einer, der nicht froh gewesen wäre, hätte Woelki einen Strich unter die unerfreuliche Vergangenheit gezogen und sich darauf beschränkt, ab sofort seinen Klerikern Keuschheit zu verordnen, bei Unkeuschheit aber fortan staatliche Strafe und öffentliche Ächtung anzudrohen.

Statt dessen wollte er noch einmal unter den deutschen Bischöfen die linke Pole Position besetzen, jetzt mit seiner idée fixe eines juristischen Gutachtens bis fast zurück zum Weltkrieg. Und wundert sich über den ungeheuren Gestank, der schon jetzt aus seinem Erzbistum aufsteigt. Zu gleicher Zeit kam ihm in den Sinn, dass er doch einmal Meisners Geheimsekretär gewesen war. Und sicherte sich in den Auseinandersetzungen auf der „Zukunftskonferenz Synodaler Weg“ jene rechte dogmatische Pole Position, die doch kaum ein anderer ihm neidet. Woelki links, Woelki rechts, Woelki beides durcheinander wie seine ganze Kölner Kurie. Wo es doch noch immer ein paar alte Katholikinnen gibt, die eindeutig linke oder eindeutig rechte Positionen besser fänden.

Ist das Jahrhundert-Pogrom moralischer Empörung, das jetzt an dem Kölner Erzbischof von allen Seiten hochbrandet, damit erklärt? Mitnichten. Dieses Pogrom gegen einen einzigen Mann ist derart irrational, dass es eines Blicks in irrationalste Tiefen frommer Seelen bedarf, um das Unverständliche zu verstehen. Der Wahrheit am nächsten kam bisher wohl, ganz unbewusst, Lisa Kötter, die der Deutschlandfunk uns als Mitgründerin der revolutionären katholischen Frauenbewegung Maria 2.0 empfiehlt. Ahnungsvoll sprach sie ins Mikrofon, dass die Vorgänge um Kardinal Woelki das entblössten „was, sagen wir mal, das hässliche Gesicht der Kirche ist“.

Dieses Gesicht!

Das Gesicht von Kardinal Woelki! Keiner spricht es aus, jeder denkt es: Der Kölner Erzbischof hat ein Gesicht, das alle unsympathisch finden. Wer ein solches Gesicht hat, den prügeln in deutschen Grundschulen alle zusammen in die Ecke. Dass einer ein solches Gesicht hat, ist allerdings, um es mit Brecht zu sagen, „in der Religionsgeschichte nicht unbekannt“.

Wie hat Jesus Christus ausgesehen? Kein Wort darüber erfahren wir von den vier Evangelisten. Nur einer, der palästinensische Arzt Kelsos, wagt ein unmissverständliches Wort: Jesus Christus, schreibt er, habe „unansehnlich“ ausgesehen. Unansehnlich wie Kardinal Woelki. Kelsos war Heide. Aber auch der Christ Origenes, der „Contra Celsum“ geschrieben hat, widerspricht ihm in diesem Punkte nicht. Denn der heidnische Vorwurf des Kelsos entspricht der biblischen Prophezeiung bei Isaias: „Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voll Schmerzen und Krankheit. So verachtet war er, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ Isaias 53, 2,3.

Was fehlt jetzt eigentlich noch in dem erbarmungslosen Ansturm aller gegen Kardinal Woelki? Uns fehlt nur noch der historische Overkill durch Prof. Dr. Martin Kaufhold, „Epochenwandel-Experte“ der „University of Augsburg“: “Wenn es so weitergeht, würde ich der katholischen Kirche als Institution in Deutschland in dieser Form noch etwa 20 Jahre geben.“ Wenn Woelki aber bleibe, dann werde es noch schneller zu Ende gehen.

Eines scheint er nicht zu wissen, der Epochenwandel-Prophet der University of Augsburg: Religionen bestehen nicht nur aus Seelen, sondern auch aus Dingen: Büchern, Bildern, vor allem Gebäuden. Die Seelen sind vielleicht in zwanzig Jahren alle weg. Aber was wird aus den Immobilien? Die kann man nicht alle einfach so abreissen. Dem ist nicht nur der Denkmalschutz vor, sondern auch die Telekom. Kaum ein Kirchtum im Erzbistum Köln, der nicht langfristig vollgestopft ist mit modernster Übermittlungs-Elektronik. Wer alle Kirchtürme Deutschlands abreissen wollte, der würde alle Smartphones von Deutschland stilllegen. Und so die ganze fortschrittliche Jugend gegen sich aufbringen. Wollt ihr das?

Länger noch als zwanzig Jahre wird uns die Frage aller Fragen beschäftigen: Wer bekommt jetzt, nach Woelki, nach dem epochenwandelnden Untergang der katholischen Kirche, den Kölner Dom? Bekommen ihn unsere Brüder und Schwestern die Kölner Sunnit*innen oder unsere Schwestern und Brüder die Kölner Schiit*innen? Ich bin für die Schiiten. Irgendwie sind die doch auch katholisch. Die lieben Bilder, Schreine, Heilige. Die Schiiten jedenfalls werden den Heiligen Drei Königen im Kölner Dom nichts tun.

Oder sind euch unsere Schwestern und Brüder die Sunnit*innen lieber? Macht meinetwegen im „Epochenwandel“ der nächsten zwanzig Jahre, was ihr wollt mit dem Kölner Dom. Aber den Rainer Maria Woelki, den lasst mir endlich in Frieden. Er hat kein Gesicht, das euch passt. Trotzdem ist er unschuldig an fast allem, was eure Seelen in ihrer frommen Fortschrittlichkeit bedrückt. So sehr es euch alle gelüstet:

Kreuziget ihn nicht!
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, erstveröffentlicht am 25.2.2021, hier mit seiner freundlichen Genehmigung.

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