Die FAZ hat im letzten Jahr ein neues Talent aufgenommen: Caroline O. Jebens, Herkunft Bodensee. Meine Güte, erst 29, und schon so eine Biografie. Bei den “jungen Leuten” ist das heute, wenn ihre Eltern sich das leisten können, ja normal. Frau Jebens bricht in der FAZ-Bezahlmauer eine Lanze für die “schönen Feministinnen”, dabei mehrere Bücher zum Thema besprechend. Obwohl bei der Erwähnung der Autorinnen Eva Illouz und Dana Kaplan sogar das Schlüsselwort “neoliberal” wörtlich vorkommt, gelingt es ihr in ihrer Analyse, das ökonomische System als Wurzel der beschriebenen Strategien unerwähnt zu lassen. Eine Schlüsselqualifikation fürs FAZ-Feuilleton.
Zweifellos rührt das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern auch daher, dass die einen den anderen gefallen wollen. Das kann Feministinnen nicht gefallen. Diejenigen, die daraus negative Gefühle für Geschlechtsgenoss*inn*en entwickeln – und mehr oder weniger geschieht das allen – sind strategisch auf dem falschen Gleis, landen an einem Prellbock, an dem es nicht mehr weitergeht. Dieses Phänomen beschreibt Jebens richtig. Doch für welche Zwecke werden solche Gefühle genährt, befeuert, mobilisiert, instrumentalisiert? Warum gedeihen sie im real existierenden Kapitalismus so fabelhaft? In einem nicht eingemauerten Text der gleichen Autorin zu Strategien auf Instagram ist erkennbar, dass sie dazu nicht ahnungslos ist.
Völlig auf dem richtigen Dampfer ist die vielbeschäftigte Wissenschaftsjournalistin Kathrin Zinkant/taz. Sie enthüllt das “Märchen vom gesunden Essen”. Und lästert, “weil Ernährungsforschung immer noch für eine Wissenschaft gehalten wird”. Zinkant hat gegenüber Nachrichtenagenturen und anderen Schlagzeilenproduzenten den berufsbiografischen Vorsprung, dass sie “Studien” lesen und als PR identifizieren kann. Das ist, geben wir es zu, den meisten von uns nicht wirklich vergönnt. Ihre Botschaft lese ich ausserhalb von Slowfood-Zusammenhängen selten: Diäten sind unwissenschaftliche Scharlatanerie.
Wenn Sie ernsthaft abnehmen wollen – was ja kein verwerflicher Wunsch sein muss, wenn es ein autonomer Entschluss fürs eigene Wohlbefinden ist – dann lassen Sie die Finger von Diäten. Analysieren Sie Ihren Alltag. Wann – früh oder spät – und wie – beiläufig im Stress, oder ausgeruht und entspannt – essen Sie? Wie integrieren Sie körperliche Bewegung in Ihren Alltag und seine Rituale? Es geht nicht um Diät, sondern um Gewohnheiten: welche können/wollen Sie ändern? Ohne Druck oder Zwang, einfach nur, dass Sie sich dabei wohler, jedenfalls definitiv nicht schlechter und gezwungen fühlen?
Alles andere funktioniert am Ende für Sie persönlich sowieso nicht. Ob es das am langen Ende tut, ist unserem ökonomischen System egal. Das will nur, dass Sie funktionieren, kurz-, mittel- und langfristig. Wer das nicht tut, wird zum Kostenfaktor, muss also minimiert werden. Mein Interesse ist das nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net