von Gerhart R. Baum
Bemerkungen zum Jahreswechsel

Ich sehe die neue Koalition mit positiven Erwartungen. Die Verbindung von sozial, ökologisch und liberal entspricht meinen Grundüberzeugungen. Mit Erstaunen lese ich, dass der FDP Vorsitzende von einer öko-logischen Marktwirtschaft spricht. Unter dieses Motto hatte ich vor Jahrzehnten einmal einen Bundesparteitag gestellt, wohl vorbereitet von Peter Menke-Glückert. Er fand statt, hatte aber keine nachhaltige Wirkung. 13 Jahre waren Liberale für den Aufbruch des Umweltschutzes in der Republik verantwortlich. 1982 wurde mit der Aufgabe des Bundesinnenministerium nicht nur meine Politik insgesamt demontiert, sondern auch das Thema Umweltschutz. Und wie oft haben wir in all den Jahren versucht, die soziale Verantwortung des Liberalismus gegen die Marktliberalen wieder in Stellung zu bringen. Oft vergeblich.
Nun ist diese Komponente stärker. Die Liberalen leiden an einem verqueren Freiheitsverständnis. Sie misstrauen dem Staat Das ist im Grunde berechtigt. Wilhelm von Humboldt hat die Grenzen der Staatstätigkeit definiert. Aber sie misstrauen ihm auch dort, wo er handeln muss, im Umweltschutz. Er braucht Regeln – und sie bewirken Innovation. Es gibt kein “statt Regeln Innovation“, wie Lindner meint. Regeln und Innovation sind kein Gegensatz. Sie bedingen einander. …

Schon hat die Ampel die Prämie für Elektroautos verlängert. Elektroautos werden zur Regel werden. In der Pandemie gab es gute Ansätze der FDP, Freiheitseinschränkungen zu hinterfragen – aber sie haben sie auch dann abgelehnt – und damit waren sie nicht allein – wo sie unverzichtbar waren.
Auch haben sie immer wieder verfassungsrechtliche Bedenken ins Spiel gebracht, wo sie gar nicht berechtigt waren. Das Grundgesetz gibt den Verfassungsauftrag, Leben und Gesundheit zu schützen – unter engen Voraussetzungen. Jetzt ist die FDP zum Ärger einiger Wählergruppen in der Realität angekommen. Wie hat Hirsch vor dem Bundesverfassungsgericht plädiert: “Wer das Leben verliert, erleidet den totalen Freiheitsverlust“. Und so wird es weitergehen mit dem neuen Verantwortungsbewusstein in Regierungsverantwortung, z.B. in der Europapolitik.

Das betrifft auch die Grünen, die versucht haben mit der Verabsolutierung des Klimaschutzes zu punkten und dabei von 28 auf 14,5 % gesunken sind. Ein enttäuschendes Wahlergebnis! Das waren nicht nur die Ungeschicklichkeiten der Kanzlerkandidatin. Jetzt müssen sie ihren Anhängern erklären, wie schwierig die Umsetzung der leicht formulierten Zielvorstellungen sind. Wie verkraftet unsere Gesellschaft diese Transformation, ohne gravierende Schäden für Wirtschaft und Arbeitsmarkt? Das ist eine gewaltige Kraftanstrengung. Wie wird auf Dauer und ohne Importe unsere Elektrizitätsversorgung gesichert?

Also beiden neuen Regierungsparteien tut die Regierungsverantwortung gut – und sie tut auch dem Land gut. Aber auch die Sozialdemokraten werden sich einiges fragen lassen müssen: Wie können denn die Renten wirklich gesichert werden und die Dauer der Lebensarbeitszeit?
Und natürlich bringt die FDP ihre Orientierung an Selbstverantwortung, Wirtschaftswachstum, an der Verwirklichung von Aufstiegschancen, an Nutzung der Digitalisierung und an den Bürger- und Menschenrechten ein.

Ich verstehe eine liberale Partei als FREIHEITSPARTEI. Das ist nirgends besser ausgedrückt als in den FREIBURGER THESEN, vor allem in deren Einleitung. Und entgegen Christoph Möllers im Spiegel, sind die GRÜNEN nicht die andere liberale Partei. Sie vertreten nicht in aller Konsequenz das Leitmotiv liberaler Politik: alles muss an der Freiheit gemessen werden. Die Grünen misstrauen allzu oft der Freiheit. Viele wichtige Ziele, wie Frieden, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Demokratie vertreten sie in ihrem Grundsatzprogramm. Diese Ziele vertreten wir auch, aber wir messen ihre Verwirklichung immer am Freiheitsgewinn und Freiheitseinschränkungen an ihrer unbedingten Notwendigkeit. Und es ist ein Zerrbild, wenn Möllers meint, die FDP sei die Partei „des kurzfristigen Wollens“ und die Grünen die Partei des „zukünftigen Sollens“. Schon ihre Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt spricht dagegen.

Die FDP hat mir immer wieder Anlass gegeben, sie zu kritisieren Aber in ihren historischen Wurzeln, in vielen Elementen ihrer Nachkriegspolitik und auch in ihrem heutigen Selbstverständnis, die junge Liberale veranlasst, sich mit FREIBURG und Dahrendorf zu befassen, ist sie die Freiheitspartei. Die Ampel kann und sollte dabei helfen, dieses Profil zuschärfen.
Der Autor war 1978-82 Bundesinnenminister, ist Mitglied der FDP und Vorsitzender des Kulturrates NRW. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “Tendenz”, Info der Radikaldemokratischen Stiftung, mit freundlicher Genehmigung durch ihren Vorsitzenden Roland Appel.

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