Moskva planmäßig übergegangen

Das erste Mal seit dem russisch-japanischen Krieg 1904/05 hat die russische Marine ein Flaggschiff verloren. Es gibt zwei Erklärungen für den Untergang der Moskva. Erstens: Das Schiff wurde von der Ukraine versenkt. Experten zufolge hat das Land dafür die technischen Möglichkeiten. Oder zweitens: Das Schiff hat sich (durch technische Mängel oder Schlendrian im Umgang mit Munition?) selbst versenkt. Die von Russland verbreitete Variante zwei wäre die fast noch peinlichere für die russische Marine.

Auch das Lieblingswort „planmäßig“ in den russischen Militärverlautbarungen ist angesichts solcher Friktionen inzwischen geradezu verräterisch. Zunächst weil die Dinge insgesamt eben nicht planmäßig verlaufen und die russische Seite ihren ersten Anlauf weitgehend in den Sand gesetzt hat. Sodann aber auch, weil der Krieg – wie Clausewitz einzutrichtern nicht müde wird – eben der Ort des „Zufalls“, der „Ungewissheit“, der „Friktion“ ist. Mit den logistischen Pannen der russischen Armee könnte man inzwischen wohl ein ganzes Lehrbuch in Sachen „Friktion im Felde“ illustrieren.

Ein wesentlicher Teil der Feldherrenkunst besteht nach Clausewitz deshalb auch gerade darin, mit dem Widrigen und Nichtvorhersehbaren umzugehen. Die ständige russische Verlautbarung, das alles „nach Plan“ verlaufe, steht deshalb quer zum tatsächlichen Verlauf dieses Krieges und auch zum Stellenwert, den der größte Theoretiker des Krieges dem Unplanbaren darin gibt.

In der Philosophie nennt man die Position, die vor den Widrigkeiten der faktischen Welt die Augen verschließen will, übrigens „Idealismus“. Da macht es doch Sinn, sich ein gerüttelt Maß an „Materialismus“ zu erhalten. Auch eingedenk der Tatsache, dass das Materiell-Faktische dort, wo es verleugnet wird, doppelt hart zurückschlägt.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.