Zum Wirtschaftskrieg, den Deutschland nicht gewinnt und zu globalen Märkten und Katastrophen

Das Folgende sind Botschaften, die die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde Ende Oktober 22 in einem Interview vermittelte:

Der „kranke“ Putin steckt hinter der EU-Inflationskrise. Die Inflation kam praktisch „aus dem Nichts.“

Die Inflation wurde durch den Krieg in der Ukraine provoziert. Damit versucht Putin so viel Europa zu zerstören, wie er nur kann. Jemand, der so etwas tut, ist böse.

Die Kombination aus schneller Erholung aus der Pandemie und der von Putin verursachten Energiekrise steckt hinter der aktuellen Krise der EU.

Putin ist immer super informiert, er hat „blitzende eiskalte Augen.“

Putin ist ein „furchteinflößender Mann“.

Frau Lagardes Aufgabe ist die Währungsstabilität in der Eurozone. Was sie von Putins Augen hält, ist politisch irrelevant. Aber ihre diesbezüglichen Äußerungen verführen zur Überlegung, dass einige ziemlich wichtige Leute diesseits und jenseits des Atlantiks besser in einer Selbsthilfegruppe ihren persönlichen Gefühlen und Meinungen über diesen und jenen und ganz besonders über Putin freien Lauf lassen sollten, damit sie nicht länger öffentlich dastehen wie mittelalterliche Teufelsaustreiber.

Aber da die Dinge sind, wie sie sind, wird sich der gut informierte, todkranke, einsam und isoliert im Kreml hockende, von jeder Realität abgekoppelte bösartige Irre und Mörder (laut Biden) mit satanischem Lächeln wahrscheinlich denken: Wenn deine Feinde einen Fehler machen, hindere sie bloß nicht daran. (in Anlehnung an Napoleon).

Aber zurück zur EZB, Frau Lagarde und den Fakten.

Wie schätzte die EZB vor dem Ukraine-Krieg die Lage ein?

Sie notierte einen scharfen Inflationsschub wegen der Energiepreise und erhöhter Nachfrage in einigen Sektoren, bei gleichzeitigen Angebotsschwierigkeiten.

Es wurde angenommen, dass die Energiepreise 2022 zwar etwas höher sein, aber im Jahresverlauf absinken würden.

Erstens: Pressekonferenz Frau Lagarde, 16. Dezember 21

„Inflation has risen sharply owing to the surge in energy prices, and also because demand is outpacing constrained supply in some sectors.

Inflation is expected to remain elevated in the near term, but should ease in the course of next year. The inflation outlook has been revised up, but inflation is still projected to settle below our two per cent target over the projection horizon (Anm.: 2022).”

Auszugsweise Übersetzung:

Die Inflation ist aufgrund des Anstiegs der Energiepreise stark gestiegen und auch, weil die Nachfrage in einigen Sektoren das begrenzte Angebot übersteigt.

Zweitens: Prognose der Experten der EZB, 16. Dezember 21

„Energy inflation is expected to remain elevated on average in 2022 but to moderate sharply during the course of the year as downward base effects are reinforced by an assumed decline in oil, gas and electricity prices.

„Die Energieinflation wird voraussichtlich im Jahr 2022 im Durchschnitt erhöht bleiben, sich aber im Laufe des Jahres stark abschwächen, da die abwärts gerichteten Basiseffekte durch einen angenommenen Rückgang der Öl-, Gas- und Strompreise verstärkt werden.”

Halten wir also fest, die Inflation kam nicht „wie aus dem Nichts“. Die Experten der EZB irrten, da sie im Bereich der Energiepreise an einen Preisverfall glaubten.

Dieser Glaube war noch nicht einmal durch die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) gedeckt. Diese hatte zur Unterstützung des Klimagipfels in Glasgow 2021 einen Bericht vorgelegt, um die Dimension der Transformation zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels aufzuzeigen.

In diesem Bericht ging die IEA davon aus, dass die Märkte sehr unruhig sein werden, Preisschocks nicht ausgeschlossen sind. Sie rechnete unter anderem damit, dass die Energiepreise hoch sein und im Gasbereich die globale Nachfrage in den kommenden fünf Jahren steigen werde.

Merkwürdigerweise beschäftigten sich die Experten der EZB, auch Frau Lagarde, nicht mit einer Wurzel des Inflationsproblems: der Entwertung des Geldes.

In den guten alten Zeiten wusste man noch, dass Geld als Ware Wert hat und wenn davon zu viel da ist, sich sein Wert entwertet und in der Folge die Preise steigen. …

Aber egal, wir wollen heute nicht über Gesetze reden, die der Marktwirtschaft innewohnen, sonst landen wir im Theorien-Gestrüpp, umgeschriebenen Inflationsdefinitionen und möglicherweise am Ende auch irgendwie bei Marx, und das führt im Moment nicht weiter.

Es soll daher nur betont werden, dass auch Frau Lagarde von Geldentwertung etwas gehört hat, denn die aktuelle EZB-Strategie (aber auch die der amerikanischen Zentralbank) lautet, nun das Geld zu verknappen, um sich gegen dessen Wertverfall zu stemmen. Aber auch die EZB ist nicht Gott und hat nicht alles im Griff.

Und so setzt das ein, was unvermeidlich ist: alle Zeichen stehen auf Rezession und niemand weiß genau, wie sich das alles abspielen wird, wie tief der Fall sein wird, wie lange er dauert, ob die damit verbundene Kapitalvernichtung ausreichen wird, die Inflation zu stoppen, ob wir auf eine „Stagflation“ zusteuern oder nicht. (Das ist die schlechteste aller möglichen Optionen – kein Wirtschaftswachstum, aber hohe Inflation-)

Aber, um an den CEO von Morgan Stanley zu erinnern, wir haben es nicht mit einem kleinen Sturm zu tun, sondern mit einem formidablen Hurrikan.

Oder mit einem politisch entfesselten Wirtschaftskrieg nie dagewesenen Ausmaßes, der de facto das gesamte Globalisierungsgefüge erfasst und zerrüttet, das sich nach 1990 entwickelte.

Denn der Beschluss, Russland aus diesem Gefüge weitgehend auszusperren und die gleichzeitige Tendenz der USA, sich von China verstärkt abzukoppeln, ändert ja nichts an der Tatsache, dass realwirtschaftliche Abhängigkeiten und Interdependenzen entstanden sind, die vor der „Zeitenwende“ noch als win-win-Situation eingeschätzt wurden, und die nicht nur das „Geschäftsmodell“ von Unternehmen betreffen, wie der Bundeswirtschaftsminister glaubt, sondern die bis in die letzte Faser der westlichen Gesellschaften hineinreichen (aber auch weit in den globalen Süden).

In Bezug auf Russland war das sogar die Logik, die den westlichen Sanktionen zugrunde lag.

Man wollte über diese West-Ost Interdependenzen Russland vernichtend treffen.

Das hätte vielleicht auch klappen können, hätte die EU nicht paar entscheidende Punkte komplett übersehen, wie etwa, dass eine Interdependenz eine kommunizierende Röhre ist. Zudem hat die EU ihren Rohstoffbedarf nicht unter Kontrolle. Ganz grundsätzlich wurde Russland sträflich unterschätzt: Dieses Land hatte Vorsorge getroffen und sich wetterfest gemacht für den Fall des Falles, der seit Jahren politisch im Raum stand.

Nun gehen Russland und China zusammen. Rohstoff trifft auf Industrie. Und sie sind bei weitem nicht allein. Russland und China sind nicht urzeitliche Horden, die sich im Gewitter auf Feuersuche begeben. Das sind wissenschaftlich-technisch starke Länder, die die Raumfahrt beherrschen und, wie sich zeigt, bei der Anwendung der Naturgesetze im Bereich der Überschalltechnik sogar mehr können als wir. Und was sie noch nicht so gut können, werden sie lernen (Es gab mal eine Zeit, da hat der Westen geglaubt, die Japaner könnten nichts als abkupfern. Wie ist das ausgegangen?).

Wo sind die Leute hin?

Dann ist da noch die Welt, die aus der pandemischen Starre erwacht, in die sie politisch katapultiert wurde, und die ihre eigenen Unsicherheiten erzeugt. Das betrifft nicht nur chinesische Lockdowns. Plötzlich ist der Service-Bereich in der Krise (wo sind die Leute hin?), Lieferketten funktionieren nicht mehr, Wirtschaft und Verbraucher dürsten nach mehr Waren /Leistungen als gedacht, die nicht produziert wurden, oder vor Anker liegen oder nicht mehr gelöscht werden. Container fehlen, LKW-Fahrer fehlen, Piloten fehlen, Krankenhauspersonal fehlt und und und…

Hinzu kommen die Effekte des Klimawandels: Missernten, ausfallender Wind, ausfallende Wasserkraft, und in der Folge leidet auch die Schifffahrt, die Landwirtschaft, die Energieerzeugung. Menschen verlieren ihre Existenz.

Zu den Lieferengpässen gesellen sich die engen Durchfahrten der Meere, die zum geopolitischen Trumpf werden, wie der Bosporus oder die Taiwan-Straße.

Inmitten all der Unsicherheiten werden in der EU auch noch die Preise für Kohlendioxidemissionen angehoben. Grüne Investitionen sind der Börsenschlager, Investitionen in kohlenstoffreiche Rohstoffe verlieren ihre Rentabilität und damit stehen sich reale Nachfrage und real verfügbares Angebot antagonistisch gegenüber.

Es ist ja kein Wunder, dass Japan unter diesen Bedingungen an Energiebeziehungen mit Russland festhält. Das ist reiner Selbsterhaltungstrieb, der leider der deutschen Politik offenbar abgeht.

Kurz, wir sind nicht in Zeiten einer geordneten Transformation hin zu einer Null-Emissions-Ökonomie. Wir sind im politisch eingeleiteten Zerfallsprozess der Globalisierung im Krieg zwischen „Demokratie“ und „Autokratie“, bei gleichzeitiger Verknappung aller aktuell notwendigen Ressourcen (Rohstoffe, industrielle Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräfte) und bei gleichzeitiger hektischer Umsteuerung westlicher Energieerzeugung (die inzwischen auch wieder auf Kohle und Kernkraft setzen muss in Deutschland).

Dieser Zerfallsprozess geht an die Grundlagen des Funktionierens moderner westlicher Gesellschaften. Denn wir sind nicht darauf vorbereitet. Die Tiefe der politischen Konflikte verhindert, dass man das Notwendige weltweit gemeinsam tut, damit wir nicht weiter auf dem „Highway zur Klimahölle“ (Anmerkung: oder zur Nuklearvernichtung, was auch einer Klimahölle gleichkommt) mit Vollgas weiterfahren.

Weder über Nacht noch in den nächsten fünf oder zehn Jahren ändert sich, dass sich Öl und Gas nahezu in allen Produkten unserer modernen Gesellschaft verstecken, nicht nur in der Energieerzeugung. Die Preisentwicklung auf diesen Märkten ist nur ein Spiegelbild dafür, wieviel Geld Rohstoffdurstige bereit waren/sind, in die Hand zu nehmen, um ihren Durst zu stillen. Bis es sich schlicht nicht mehr rechnet. Bis zur Kapitulation (Kapitalvernichtung). Internationale Preisdeckel sind unter solchen Bedingungen ein schlechter Witz. Tatsächlich helfen da nur Langfristverträge, und es scheint, dass das die Zukunft des LNG-Markts sein könnte. Aber auf einem gänzlich anderen Preisniveau als bisher.

Es hätte auch die Zukunft des Pipelinehandels sein können, wenn die EU nicht so stur auf die Spotmärkte gesetzt und sich politisch nicht selbst zur Wilderei auf allen möglichen Drittmärkten verdammt hätte. Ohne die LNG-Exporte der USA und die Ausfuhren Russlands auf Drittmärkte wären die Marktturbulenzen noch viel größer geworden, alles zu Lasten der EU, und in noch größerem Maße zu Lasten des globalen Südens. Einige EU-Staaten haben schlicht die dickeren Brieftaschen, nicht die armen Schlucker.

Wenn das alles so weitergeht, dann stehen uns lange, schwierigste Zeiten bevor: Von der Sicherung unserer Ernährungsgrundlagen bis hin zum Mithalten bei der Entwicklung modernster Technologien, unter Hoch-Inflationsbedingungen, die uns die Tränen in die Augen und unser Land in sehr viel ärmere Zeiten treiben werden.

Unsere Welt ist so kompliziert, dass es für nichts mehr eine einfache Lösung gibt. Wer etwas anderes glaubt, sieht die Realität in Schwarz und Weiß und nicht das ganze schillernde Farbspektrum. Wo ist das viele Kohlendioxid für die Getränkeerzeugung geblieben? Fehlendes Erdgas und geringere Produktion? Höhere Nachfrage nach Trockeneis, um die Pfizer/Biontech Impfdosen tiefgekühlt zu transportieren und zu lagern? Immer kommt eins zum andern.

Putin braucht also Waschmaschinen, um an die Chips heranzukommen? Nicht nur Putin, wie einer Analyse von Zoltan Poszar von der Crédit Suisse zu entnehmen war. Das greift auch in den USA um sich. In einer Javelin stecken 250 dieser Chips. Die werden aktuell schnell verballert.

Wer hat denn die industrielle Basis, den industriellen Krieg der Waffen in der Ukraine auch durch reale Waffenproduktion abzusichern? Die Ukraine hat sie definitiv nicht.

Auch im Westen braucht alles Zeit und Rohstoffe und Energie…

Wieviel kostet das alle Steuerzahler noch zusätzlich, unter Inflationsbedingungen? Geld, das im eigenen Land und zur Unterstützung der weltweit Ärmsten fehlt. Nicht sie haben den Klimawandel zu verantworten, aber sie leiden als erste unter dessen Folgen.

So ist es auch kein Zufall, dass plötzlich NYT, Washington Post und Guardian für Verhandlungen im Ukraine-Krieg plädieren. Das machen die nicht aus Liebe zu Putin, sondern weil sich die ganze harte Realität Bahn bricht, trotz aller Propaganda und ukrainischer Wutausbrüche, die nun auf den ewigen Kampf schwören, auch „wenn ihnen ihre Alliierten in den Rücken fallen.“

Selbst der UN-Generalsekretär, auch kein Putin-Versteher, forderte in Kairo die globale Gemeinschaft auf, die richtige Perspektive zu wählen. Damit sich die Menschheit rettet.

Klar ist, dass die Prognose der deutschen Regierung (die EU-Sanktionen werden Russland ruinieren und uns nicht so sehr treffen, anlässlich des ersten substantiellen Sanktionspakets, jetzt sind wir schon bei Nummer acht) oder die des amerikanischen Präsidenten, der Rubel werde zu „rubble“ (sich in Schutt, Müll verwandeln), nicht stimmte.

Frau Lagarde wählte den bequemen „politisch korrekten“ Weg: An allem ist nur Putin schuld. Was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass Putin der mächtigste Mann der Welt ist: Der Krieg ist real. Die weltweite Inflation ist real. Die Rezessionstendenz auch. Die völlig aufgeblähten Finanzmärkte sind hypernervös. Die Börsenwerte gehen nach unten. Bei den Ertragserwartungen auf Staatsanleihen sieht es überhaupt nicht gut aus. Was früher in Dollar oder Euro gehandelt wurde, wird jetzt zunehmend in anderen Währungen gehandelt. Dass immer noch mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln spekuliert werden darf, macht ebenfalls nichts besser. Die Realwirtschaft steht vor schwierigsten Problemen, und die allermeisten Menschen auf der Welt demzufolge sowieso.

Wenn das „böse“ China nun auch noch wirtschaftlich bekämpft werden „muss“, dann stellt sich nur noch die Frage, ob der zweite Schuss direkt das Herz erwischt. Der erste traf, und in dem Punkt hatte Victor Orban Recht, bereits die Lunge (und nicht „nur“ das Knie).

“Werte”, die ungedeckt sind, inflationieren

Tatsächlich aber verschiebt sich die Diskussion in Deutschland darauf, dass die Koalition strampelt, noch mehr Geld in die Hand nimmt, um gleichermaßen „grün“ und „sozial gerecht“ zu erscheinen bei der Verteilung der Lasten. So soll nicht auffallen, dass diese Koalition aktiv daran beteiligt war/ist, die Lasten zu schaffen, die sie nun irgendwie mildern will. Reales Leid interessiert die Werte-Apostel überhaupt nicht, nicht hier, nicht in der Ukraine, oder in der großen Welt. Sie halten schlicht an Dogmen fest und vergessen, dass „Werte“ inflationieren, die ungedeckt sind.

Wer ernsthaften Kampf gegen den Klimawandel will, muss über den ökologischen Fußabdruck der Reichen und Geschäftemacher der Welt reden. Der muss auch über den ökologischen Fußabdruck von Rüstungsproduktion, Militär, Krieg und Konflikt reden, statt Otto Normalverbraucher in Deutschland ein schlechtes Gewissen zu machen und zur Kasse zu bitten für das maßlose Profitstreben und die Ressourcenverschwendung anderer.

Dass inzwischen Mehrheiten mit der Arbeit der gesamten Berliner Führungsspitze unzufrieden sind, zeigt, dass sehr viele Deutschen wissen, wo das Problem verortet ist, das Frau Wagenknecht im September im Bundestag sehr pointiert artikulierte.

Die Wagenknecht hat zwar Leitmedien sehr erzürnt (Welt: „beste Lobbyistin des Kremls im Westen“), aber veröffentlichte und öffentliche Meinung scheinen getrennte Wege zu gehen.

Um es mit Goethe zu sagen: „Es hört ein jeder nur, was er versteht.“

Dieser Beitrag ist eine geringfügig gekürzte Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.