Niger – Offiziell stabilisiert die von Brüssel geplante EU-Militärmission im Niger die Sahelzone. Tatsächlich soll sie den europäischen Energie- und Ressourcenhunger sichern.
Das Militär soll es richten. Wieder einmal. Was nach zehn Jahren Militäreinsatz in Mali krachend gescheitert ist, soll nun im Niger wiederholt werden. Mit einem als „EU Partnership Mission Niger“ bezeichneten Einsatz, soll ab 2023 europäische Militärunterstützung in einem der am ärmsten gemachten Länder der Welt geleistet werden. Der Einsatz verfolgt drei Ziele, die klingen, wie aus der Werkzeugkiste imperialistischer Diskursfragmente gezogen: Kampf gegen den Terrorismus, Kampf gegen die Migration nach Europa und Absicherung der Uran-Minen, die französische Atomkraftwerke am Laufen halten. Der Ressourcenhunger Europas will weiter befriedigt werden, doch die Folgen der imperialen Produktions- und Lebensweise sollen bitte draußen bleiben. Migration soll mit dem Einsatz von Militär abgeblockt und nigrische Truppen beim Kampf gegen den Terrorismus ausgebildet werden, einem Phänomen das als Folge imperialistischer Interventionen massiv verstärkt worden ist.
Ausgerechnet in einem sich stetig verschlechternden Dauerzustand, in dem „die Menschen im Niger mit Armut, Hunger, Dürre oder Überschwemmungen als Folge des Klimawandels zu kämpfen haben, kündigt die EU eine Militärmission an“, sagt Azizou Chehou, Koordinator des von medico international unterstützen Alarm Phone Sahara-Netzwerks. Die Initiative Alarm Phone dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und organisiert Rettung für Menschen, die auf ihrem Weg in den Norden in der Sahara-Wüste feststecken.
Militarisierter Privilegienschutz
Dass die EU mit diesem Einsatz plane, Migration weiter zu bekämpfen, klinge für ihn wie ein Albtraum: „Wir leben in einer Welt, in der ihre schwächsten Bewohner:innen zurückgelassen werden, während die Mitgliedsländer der EU Privilegien genießen. Ich habe das Gefühl, dass die EU-Bürger:innen Supermenschen sind in dem Sinne, dass sie auf dieser von uns allen geteilten Erde volle Rechte haben, im Gegensatz zu Menschen aus Ländern wie dem Niger, die keinerlei Schutz erfahren. Die Welt wird von Heuchlern angeführt, die andere zum Hungertod verdammen. Sie sorgen dafür, dass wir verelenden und dann dürfen wir dem noch nicht einmal entfliehen. Jede militärische Zusammenarbeit, sei sie auch nur ‚Mission‘ genannt, ist eine neue Strategie der Rekolonisierung unserer Länder, die nicht mehr selbst über ihr Schicksal und ihre Ressourcen bestimmen können.“
Dafür ein exemplarischer Sprung nach Arlit im Norden des Niger. Die Kleinstadt mit knapp 90.000 Einwohner:innen liegt zwischen Agadez und Assamaka und damit auf einer der Hauptrouten der Migration in den Norden. Am sogenannten Point Zero, 20 Kilometer von Assamaka entfernt, werden nahezu wöchentlich hunderte von Migrant:innen von Algerien – nachdem sie oft jahrelang als billige Tagelöhner ausgebeutet wurden – mitten in der Wüste ausgesetzt und gezwungen über Stunden hinweg in der Wüste zur nächsten menschlichen Ansiedlung Assamaka zu laufen.
In Arlit, etwas weiter im Süden, treffen kolonialer Ressourcen-Extraktivismus und Migration aufeinander. Gegründet wurde die Stadt 1969, um die in der Nähe befindlichen Uran-Abkommen auszubeuten. Da war die Unabhängigkeit von Frankreich schon neun Jahre her. Doch bis heute dient die Sahel-Region als billiger Rohstofflieferant. 140.000 Tonnen Uran wurden alleine im Niger gefördert. Mit dieser Zahl rühmt sich der französische Staatskonzern Orano auf seiner Website. Drei Uran-Minen betreibt Orano im Land. Und so ist es auch kein Wunder, dass es vor allem Frankreich ist, das die geplante EU-Militärmission vorantreibt.
Fossiler Backlash
Seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sind auch fossile Energieträger wieder heiß begehrt. Nach dem Pariser Klimagipfel 2015 hatte der Westen die Länder des Südens darauf gedrängt endlich ihre Transformation weg von fossilen Energieträgern zu beschleunigen. Brüssel sprach sich noch Mitte Februar beim gemeinsamen Gipfel mit der Afrikanischen Union (AU) gegen die Unterstützung des Abbaus fossiler Energiequellen in Afrika aus. Die Zeit für fossile Energien für die EU sei vorbei, belehrten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der amtierende EU-Ratsvorsitzende Emmanuel Macron den senegalesischen Staatschef und AU-Präsidenten Macky Sall.
Das war vor dem 24. Februar. Jetzt stehen die EU-Länder Schlange bei den Ländern Westafrikas, wie zum Beispiel Nigeria, Mauretanien oder Senegal, um deren fossilen Vorkommen anzapfen zu können. Insbesondere nachdem die EU Anfang Dezember einen Preisdeckel für russisches Öl beschlossen hat und Russland im Gegenzug ankündigte die Ölfördermenge zu senken. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn beschloss die EU zudem, Atom und Gas als nachhaltige Energieressourcen zu deklarieren. Kein Wunder, dass Frankreich seinen Zugang zu den Uran-Vorkommen im Niger nun auch noch weiter militärisch absichern will. Bereits jetzt sind 1700 französische Soldaten dort stationiert. Der „grüne Kapitalismus“ wird auch am Niger verteidigt und der dafür notwendige Ressourcen-Extraktivismus militärisch abgesichert.
Zugleich geht es bei der angekündigten „EU Partnership Mission Niger“ um die außenpolitische Positionierung der EU als Militärmacht – ergänzend zur seit 2012 bestehenden zivilen EU-„Kapazitätsbildungsmission“ EUCAP Sahel Niger sollen nun auch tödliche Waffen an das nigrische Militär geliefert werden. Nachdem das Putschregime Malis offen mit Russland zusammenarbeitet und für europäische Einflussnahme erstmal verloren scheint, will man nun die Präsenz im Nachbarland Niger verstärken. Das Land gilt aus westlicher Perspektive als „stabil“ und „verlässlich“. Will heißen: die EU wird als vorrangiger Partner gesehen und beim Beispiel des Migrationsregimes vor allem nach ihren Regeln gespielt.
So verabschiedete die Regierung im Jahr 2015 auf europäischen Druck hin das Gesetz 036-2015, das es etwa verbietet unbekannte Menschen in Fahrzeugen mitzunehmen und damit die Freizügigkeit massiv einschränkt. Migration sollte so erschwert werden. Erschwert wurde jedoch nur die Benutzung der Hauptstraßen, die etwa durch Arlit in den Norden verläuft. De facto führte das Gesetz zu einer Verlagerung der Migrationsrouten mitten durch die gefährliche Wüste. Die Aufklärungsteams von Alarm Phone Sahara finden auf ihren Touren immer wieder die Leichen von Geflüchteten, die in der Wüste verdurstet oder verhungert sind. Sie bestatten sie notdürftig, am Ende macht nur ein kleiner Steinhaufen deutlich, dass hier ein weiterer Mensch auf der Suche nach einem besseren Leben gestorben ist.
Fragwürdige Sicherheiten
Im Juli 2022 unterzeichnete die EU-Grenzschutzagentur Frontex und EUCAP Sahel Niger in Anwesenheit des nigrischen Innenministers eine neue „operative Partnerschaft zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität“. Auch hier mit dem alleinigen Ziel Migration nach Europa zu erschweren.
„Die Militarisierung und die Vervielfachung von Kampfeinsätzen gegen den Terrorismus und die so genannte ‚irreguläre Migration‘ schaffen für uns, die Menschen in der Sahelzone, nur noch mehr Unsicherheit“, sagt Moctar Dan Yaye, der bei Alarm Phone Sahara mitarbeitet. „Ich bin entsetzt, wenn ich die Lastwagen, beladen mit tonnenschweren Waffen, regelmäßig durch unsere Städte fahren sehe. Die Antwort für den Niger und die Sahelzone liegt nicht im Militärischen. Von 2012 bis heute hat die Militarisierung ständig zugenommen und die Zahl ausländischer Truppen in der Region ist stetig gewachsen. Aber ist damit auch unsere Sicherheit gestiegen? Nein.“
Auf den ersten Blick zusammenhangslos, dann doch wieder nicht: die Verkäufe von Waffen und Rüstungsgütern durch die 100 größten Rüstungsunternehmen erreichten 2021 einen Wert von 592 Milliarden Dollar, berichtet Anfang der Woche das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Ein erneuter Anstieg um fast 2% gegenüber 2020. Darin sind die Zahlen nach Beginn des Ukraine-Krieges noch nicht eingerechnet. Um den Markt am Laufen zu halten, wollen die Waffen auch irgendwo eingesetzt werden. Im nächsten Jahr dann auch im Niger. Die geplante EU-Militärmission wird die Situation dort nur verschlimmern.
Kerem Schamberger ist Kommunikationswissenschaftler und in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international für den Bereich Flucht und Migration zuständig. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von Medico International, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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