mit Update abends
Burkhard Fritsche, taz-Karikaturist und Gladbach-Fan, hat die Verhältnisse erfasst: “Passt schon, Monsieur le President, die Stars im Endspiel gehören alle dem Emir.” Deutschland dagegen hat die WM auch politisch verloren. Die Bundesregierung isoliert sich in der EU genauso selbst, wie der DFB in der nicht minder korrupten Uefa. Kein europäischer Verband war bereit, ihm in sein “One-Love”-Armbinden-Desaster zu folgen. Qatar dagegen schwimmt oben, und zahlt es den Deutschen jetzt zurück.
Die Inszenierung der tapfer kämpfenden Mannschaft Marokkos ist voll aufgegangen. Erstmals ein arabisches und afrikanisches Land unter den besten Vier – und Qatar hat es möglich gemacht. Ob das Finale nun Frankreich, dessen politische Klasse sich seit Sarkozy vom Clan der Al-Thanis aushalten lässt (vorher war es Omar Bongo), gewinnt – oder Lionel Messi, der bei Paris Saint Germain unter Vertrag ist, das schon lange den Al-Thanis gehört – ist wurscht. Sollte Argentinien gewinnen, erfahren Sie hier, woran es liegt.
Genüsslich spielen sie zielsicher ein Revanchefoul nach Deutschland zurück, zunächst nur als Drohung: “Qatar Airways scheint unterdessen zu überlegen …” den Fussballkonzern im süddeutschen Raum um 25 Mio. € ärmer zu machen, und damit eine langjährige Forderung von dessen gegen die Konzernführung rebellierenden Fans zu erfüllen. Alle wären glücklich und zufrieden, ausser den Herren, die wir im Borussia-Park immer so gerne auf der Tribüne filmen. Beim DFB geht es derweil voran, wie in der deutschen Aussenpolitik.
Auch Andere zweifeln am Fussball-Sponsoring. Mann nennt es Rezession. Geht doch.
Update abends
Auffällig an den Brüsseler Korruptionsverhaftungen ist nicht nur der Qatar-Bezug, sondern auch der Schwerpunkt auf Angehörige sozialdemokratischer Parteien und Vorfeldorganisationen. Dieser Beitrag von Frank Hoffer/bruchstuecke vermittelt eine Ahnung von dem inneren politischen Zusammenhang: “Schlimme Fragen, hilflose Antworten: Der IGB, Katar und die Brüsseler Korruptionsermittlungen”.
Der wie immer glänzend informierte Eric Bonse/taz erinnert daran, wer von bisher in Freiheit befindlichen Akteur*inn*en ihre*seine Qatar-Begeisterung dokumentiert hat: “Europas fragwürdige Liebe zu Katar – Nicht nur Vizeparlamentsvorsitzende Kaili setzte sich für Katar ein. Plötzlich gelten alle als verdächtig, die sich mit dem Emirat eingelassen haben.”
Vom phänomenal erfolgreichen #boycottqatar2022-Bündnis erhielt ich heute Abend das folgende bilanzierende Rundschreiben, das ich gerne dokumentiere:
“Frohe Weihnachten und ein Ausblick auf 2023
Liebe Unterstützer:innen von #BoycottQatar2022,
am Sonntag läuft in Katar das Finale um die Fußball-Weltmeisterschaft, und das unselige Turnier geht zu Ende. Und damit auch – jedenfalls vorerst – unsere Kampagne.
Nach unserem Eindruck war diese Kampagne ein großer Erfolg. Nicht nur, weil die TV-Einschaltquoten um rund 50 Prozent gegenüber der WM 2018 abgesackt sind. Was wichtiger war: Es liefen in fast allen Städten unglaublich viele Alternativprogramme: Diskussionsveranstaltungen und Vorträge, Fanturniere, Ausstellungen, Film- und Quiz-Abende oder auch Musikveranstaltungen wie „Rap statt Katar“. Viel Aufsehen erregten die Aufrufe, die Spiele der unteren Ligen oder der Frauen-Bundesliga zu besuchen. 2.000 Gladbacher:innen begleiteten ihre U23 nach Oberhausen, 1.000 HSV-Fans ihre 2. Mannschaft nach Lübeck, und bei manchem Fußballspiel der Frauen gab’s neue Besucherrekorde. Auch für den Besuch von Handball- oder Eishockeyspielen wurde geworben.
Es waren wunderbar kreative Aktionen, die dem Spektakel in Katar entgegenstellt wurden, und zwar von einem bisher einmaligen Bündnis aus Fangruppen, Menschenrechtsorganisationen, kleinen Sportvereinen und weiteren Gruppen der Zivilgesellschaft, z.B. kirchlichen Jugendverbänden. Und immer wieder tauchten dabei Protestbanner gegen die WM in Katar auf, damit beispielsweise auch bei einem Eishockeyspiel klar wurde, mit welcher Einstellung zumindest ein Teil der Zuschauer heute dabei war.
Wir werden über die gesamte Protestbewegung, vom Beginn 2020 bis zum Ende des WM-Turniers, eine ausführliche Dokumentation erstellen, denn wir halten sie in Breite und Tiefe für bisher ziemlich einmalig. Diese Dokumentation soll möglichst zeitnah erscheinen, und eine Auswahl der Texte wird bereits in der März-Ausgabe der Zeitschrift ZEITSPIEL veröffentlicht.
Ein Teil des Geldbetrages, den wir dank eurer Spenden erhalten oder mit dem Verkauf von Materialien wie Aufkleber oder Banner eingenommen haben, werden wir für den Druck dieser Dokumentation zurücklegen. Den größeren Teil des Betrages werden wir spenden. Die eine Hälfte geht an das Migrant-Defenders-Netzwerk, das Malcolm Bidali in Kenia gegründet hat. Bidali hat in Katar gearbeitet und im Internet die unzumutbaren Arbeitsbedingungen kritisiert. Daraufhin wurde er zunächst inhaftiert, später in sein Heimatland Kenia abgeschoben. Mit seinem Netzwerk unterstützt er in Not geratene Arbeitsmigrant:innen.
Eine zweite Spende wird an ein ähnliches Netzwerk in asiatischen Herkunftsländern gehen, da sind wir noch dabei, die Daten zu recherchieren.
Es wäre toll, wenn die eine oder der andere von euch sich auch zu einer Spende entschließen könnte. Geld an die Migrant Defenders kann über diese Fundraising-Adresse gespendet werden. Nähere Infos über die Migrant Defenders findet ihr hier.
Entsprechende Daten zum Netzwerk in asiatischen Herkunftsländern werden wir demnächst über Social Media veröffentlichen.
Zum Schluss danken wir ganz herzlich allen, die an den Aktionen, Diskussionen und Veranstaltungen gegen die WM 2022 mitgewirkt haben. Egal, ob sie durch unsere Aktivitäten inspiriert wurden oder auf ganz anderen Wegen aktiv geworden sind. Und auch ganz unabhängig davon, ob sie unsere „Boycott-Parole“ mitgetragen haben oder mit einem anderen Akzent gegen die WM protestiert haben. Wichtig war, dass hier ein deutliches Ausrufezeichen gesetzt wurde: dagegen, dass Menschenrechte relativiert und der tausendfache Tod von Arbeitsmigrant:innen bagatellisiert wurden. Und dagegen, dass es im internationalen Profifußball so weitergeht wie bisher.
Auch solche Zukunftsfragen wollen wir weiter diskutieren. Beispielsweise, ob es überhaupt Sinn macht, in dieser FIFA weiterhin Mitglied zu sein. Auch dazu wird in unserer Dokumentation etwas zu lesen sein. Einerseits also ist unsere Kampagne nun zu Ende. In einem anderen Sinn fängt sie vielleicht gerade erst an.
Wir werden sehen.
Euch allen wünschen wir gute Feiertage und ein hoffnungsvolles Jahr 2023.
Euer Team von #BoycottQatar2022“
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