Andrej Holm war – wohnungspolitisch betrachtet – zu klug für einen Berliner Senatsposten, aber leider zu doof, sich gegen Stasi-Vorwürfe zu wehren. Nun hat er für den Berliner Senat geforscht, und siehe, welch eine Überraschung, die Inkompatibilität von Wohnungsversorgung und asozialer Marktwirtschaft herausgefunden. Bemerkenswert für mich an seinem Junge-Welt-Interview, dass er in die Berliner Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch etwas mehr Hoffnungen setzt als in Amtsinhaberin Giffey (SPD). Ich kenne Frau Jarasch nicht persönlich, und kann darum nicht abschätzen, ob sie zu einer harten Kämpferin heranwachsen kann. Wenn ja, wünsche ich alles Gute.
Ein telepolis-Text von Elke Dangeleit, die sich in der türkisch-kurdischen Opposition sehr gut auskennt, illustriert gleichzeitig die PR-Erfolglosigkeit dieser Organisationen in der hiesigen Öffentlichkeit. “Ankaras willige Helfer: Deutschland kein sicherer Ort für türkisch-kurdische Opposition – Lobbyisten des Erdogan-Regimes haben es hier leichter als ihre Kritiker. Letztere genießen oft auch mit deutschen Pässen keine Reisefreiheit. Hinzu kommen Strafverfahren wegen gewaltfreier Proteste.” Ich spitze meine Kritik bewusst polemisch zu. Wenn europäische Sicherheitsbehörden reisende Demonstrant*inn*en aus Reisebussen holen, ist das gemein und hinterfotzig. Wenn sich die Betroffenen damit als Märtyrer*in beweisen – bitte schön. Das – auch in Dangeleits Text – seitenlang auszuwalzen, ist nicht verhältnismässig. Der entscheidende politische Punkt und ernsthafte Skandal steht in Dangeleits letztem 5-Zeilen-kurzen Absatz: “Und die deutsche Wirtschaft nutzt die ‘Turkish Connection’ zur Erschließung von Märkten im Nahen Osten und Zentralasien. Deshalb verschließt die Bundesregierung Augen, Ohren und Mund bei den völkerrechtswidrigen Invasionen in Syrien, den Giftgasangriffen auf mutmaßliche PKK-Stellungen im Irak und den Menschenrechtsrechtsverletzungen gegen die linke Opposition im eigenen Land.”
Hier sollte der Text nicht enden, sondern anfangen. Welche Interessen haben dazu geführt? Wie können sie strategisch wirkungsvoll bekämpft werden? Welche Kräfte mit welchen übereinstimmenden Interessen müssten sich dafür zusammenschliessen? Um was zu tun? Es ist doch widerwärtig, dass sich deutsche Massenmedien erst aufregen, wenn eine Erdogansche AKP-Nase in Neuss widerwärtig daherredet, die Taten aber seit Wochen, Monaten, Jahren standhaft ignorieren.
Kissinger
Der gute Thomas Pany/telepolis referiert derweil den Realpolitiker Henry Kissinger – to whom it may concern: “Henry Kissinger: ‘Die Ukraine soll Nato-Mitglied werden’ – Die Einsamkeit eines fast 100-Jährigen? Der ehemalige US-Außenminister konzipiert das Ende des Krieges in der Ukraine. Wichtiger und umstrittener Schlüssel: Die Öffnung Europas und der internationalen Gemeinschaft gegenüber Russland.” Ist der alte Mann noch einflussreich? Ich weiss es nicht, in diesen Kreisen verkehre ich nicht.
Florian Rötzer/overton: “Der Ukrainer Wladimir Sergijenko ist auf die ukrainische Sanktionsliste gekommen – Gespräch mit Sergijenko über die vom Geheimdienst und Sicherheitsrat betriebene Säuberung der Kultur.”
Luke Savage/Jacobin: “Hillary Clinton hat die Wahl von 2016 selbst verloren – ohne russische Hilfe – Russische Trollfabriken, so ein geläufiges Argument, haben den Sieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl von 2016 entscheidend begünstigt. Eine neue Studie der New York University widerlegt diese Erzählung.” Nach sieben Jahren …
Verkehrswendeparadies Köln-Ehrenfeld: “Es reicht nicht aus, keinen Plan zu haben. Man muss auch unfähig sein ihn auszuführen.”
Und jetzt noch ein Hinweis – ich warne Sie vorher – der Ihnen den Schlaf rauben kann. Die nachdenkseiten referieren eine Betrachtung des Ukrainekrieges von Emmanuel Todd, die dieser hinter Paywall dem konservativen Le Figaro geliefert habe: „Der 3. Weltkrieg zwischen den USA und Russland/China hat bereits begonnen“. Er entschlüsselt zwei Überraschungen: das Standhalten der Ukraine gegenüber dem russischen Überfall, und das Standhalten der russischen Ökonomie gegenüber den Wirtschaftssanktionen.
Ökonomie als Wasserdampf
Zu Letzterem so polemisch wie eingängig: „Der Krieg wird zum Test für die politische Ökonomie, er ist der große Aufdecker. Das BIP Russlands und Weißrusslands entspricht 3,3 Prozent des westlichen BIP (der USA, der Anglosphäre, Europas, Japans und Südkoreas), also praktisch nichts. Man kann sich fragen, wie dieses unbedeutende BIP damit fertig werden und weiterhin Raketen produzieren kann. Der Grund dafür ist, dass das BIP ein fiktives Maß für die Produktion ist. Zieht man vom amerikanischen BIP die Hälfte seiner überhöhten Gesundheitsausgaben ab, dann den ‘Reichtum’, der durch die Tätigkeit seiner Anwälte, durch die am stärksten gefüllten Gefängnisse der Welt und durch eine ganze Wirtschaft mit undefinierten Dienstleistungen produziert wird, einschließlich der ‘Produktion’ seiner 15- bis 20-tausend Wirtschaftswissenschaftler mit einem Durchschnittsgehalt von 120.000 Dollar, so stellt man fest, dass ein wichtiger Teil dieses BIP Wasserdampf ist. Der Krieg bringt uns zurück zur realen Wirtschaft, er erlaubt uns zu verstehen, was der wirkliche Reichtum der Nationen ist, die Produktionskapazität und damit die Fähigkeit zum Krieg.“
Der Text der nachdenkseiten stammt von Ben Norton/Geopolitical Economy Report, Übersetzung Marco Wenzel.
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