Best of 23.3.: Kuschaty-NRW-SPD / Habeck / Macron / Wagenknecht / Knüwer / Nguyen

Thomas wer? Kutschaty. Der hat es immerhin zwei Jahre als NRW-Vorsitzender der SPD ausgehalten. Es gab Zeiten, da war so einer der mächtigste Mann in der Partei, weil er den grössten Delegiertenblock bei Parteitagen anführte. Wann war das noch mal? Ich habs vergessen. Jetzt ist er zurückgetreten, und einige Medien versuchen es aufzublasen – dabei wissen ihre Kund*inn*en überhaupt nicht, wer das ist – der Sack Reis in China ist berühmter. Kutschaty wird im Juni 55. Männern in diesem Alter stellen sich Sinnfragen neu. So soll er über eine Personalie gestolpert sein, die Berührung zu Bonn hat: Magdalena Möhlenkamp. Magdalena wer? Helmut Lorscheid hat sie zu ein wenig Bekanntheit geführt. Und ihren Namen dabei (boshaft?) falsch geschrieben. Ich persönlich habe es beim Korrekturlesen ehrlich nicht gewusst.

Das klingt alles sehr hämisch. Es ist aber nicht dieser Text. Es sind die Tatsachen. Kutschaty, der zweifellos frei von jeglichem Charisma und PR-Talent ist, ist nur der Leidtragende. 2016-21 opferte er sich schon als Unterbezirksvorsitzender der SPD in Essen. Auch das waren früher mächtige Leute. Nur der Dortmunder Hermann Heinemann als Boss des SPD-Bezirks Westfalen-West war mächtiger. 2015 hatte die SPD das Oberbürgermeisteramt an die CDU verloren. Der angebliche Amtsbonus des Genossen Reinhard Paß war ein Amtsmalus. U.a. stolperte er über umfangreiche Korruptionsaffären rund um den Stadionneubau für einen (damaligen) Viertligisten: RW Essen. Den hatte 1998-2008 der Genosse mit dem einstmals sichersten SPD-Bundestagswahlkreis in der ganzen Republik angeführt und die Neubauplanung intern durchgesetzt: Rolf Hempelmann. Kutschaty war sich nicht zu schade, die Trümmer der Essener SPD zusammenzufegen. Wenig später dann bei der NRW-SPD die gleiche Tätigkeit. Wie lange hätten Sie so ruhmlos dazu Lust gehabt?

Dass ihm nun ein “Seeheimer” (Ex-“Kanalarbeiter”) aus Duisburg noch einen unfreundlichen Kommentar hinterherwirft – tja, das ist in der SPD heute so üblich. Der Mann macht halt auch nur das, wofür er in der Partei ausgebildet wurde. Und so habe ich immerhin bemerkt, dass der Staatssekretär ist.

Der Vorgang steht nicht nur für die SPD – darum behandle ich ihn hier so ausführlich. Er ist repräsentativ für das Innenleben der demokratischen Parteien. Die asozialen Medien haben sich als Turbo für selbstreferentielle Systeme entpuppt. Sie verbinden die Menschen nicht, sondern trennen die unterschiedlichen Erfahrungswelten schärfer als je zuvor. Darum schmilzen die Parteien dahin. Und merken immer weniger von der Welt da draussen. Das spült dann die Leute nach oben, die wir jetzt als Politiker*innen haben.

Habeck

Schauen Sie nur, wie der nette angeblich sooo sexy kommunikationsfreudige Rpbert Habeck darunter leidet. Hübsche Geschichte von Hendrik Wieduwilt/uebermedien: “Wie ungewöhnlich ist so ein Regierungsleck?” Zum Kern stösst er allerdings nicht vor. Der erklärt nämlich erst Habecks nicht nur inszenierte Erregung. Das Loch ist in seinem Ministerium. Schauen Sie mal hier, von welchen Vorgänger*inne*n Habeck das Personal übernommen hat. Was schätzen Sie, wie viele klimapolitisch engagierte Leute da dabei waren? Aus diesem Grund hat Habeck der Bundesumweltministerin bei den Koalitionsverhandlungen ihre Klimaabteilung abgenommen. Ohne sie wäre er nackt im eigenen Haus. Und jetzt muss er dort einen “Bürgerkrieg” steuern, und hat ganz offensichtlich die Kontrolle darüber verloren.

Frankreich – die Weltmacht nebenan

Im Unterschied zu “uns” haben “die” wenigstens Atomwaffen. Das kann die herrschende Klasse in Deutschland bis heute nicht verknusen. Roland Appel hat schon kommentiert, wie der dortige Präsident die demokratische Politik kurz und klein schlägt, als wolle er einen Gerhard-Schröder-Ähnlichkeitswettbewerb gewinnen. Oder Tony Blair? Die Frage ist leider weder lustig noch wichtig.

Bernard Schmid/telepolis berichtet zur tagesaktuellen Lage: Frankreich: Die Wut steigt weiter – Nach Macrons TV-Ansprache: Kein Dialogangebot, keine Aussichten auf schnelle Beruhigung der Lage. Proteste gegen Rentenreform weiten sich bei Jüngeren aus. Polizei schreitet repressiv ein. Regierungsprinzip: Augen zu und durch?”

Trümmerstar Inland

Sahra Wagenknecht ist in fast allem das Gegenteil von Thomas Kutschaty, im Guten wie im Schlechten. Da sie um einige Potenzen bekannter ist als jener, genügt hier mein Hinweis auf Ambros Waibel/taz: Das Guru-Business von Sahra Wagenknecht: Kapitalismus kapiert – Sahra Wagenknecht ist ein wirtschaftlich erfolgreicher Guru. Die Partei Die Linke dagegen, der sie immer noch angehört, ist ein erledigter Fall.” Schöner hätte ich es auch nicht schreiben können.

Held*in des Tages: aus Austin/Texas und Gladbeck/Westfalen

Thomas Knüwer berichtet von der “SXSW-2023: KI und andere Drogen”. Der Kerl scheut weder Zeit noch Kosten (und setzt es natürlich von der Steuer ab). Aber als Leser habe ich was davon. Oder wo haben Sie was über diese wichtigste IT-Konferenz des Jahres gelesen?

Und nun zu dem, was mich heute am meisten erfreut hat. Sie heisst Hang Nguyen, und hat es zu Beginn der Coronapandemie gewagt, ein Gastronomie-Unternehmen zu gründen, in einer abgerockten Seitenstrasse der nicht weniger abgerockten “City” von Gladbeck/Westfalen (eine Stadt, nur wenig grösser als Beuel). Tapferer und mutiger als Soldaten. Die Karstadt-Krise ist dort schon seit fast 20 Jahren durch. Ich kann immerhin aus eigener Anschauung sagen, dass dort in der warmen Jahreszeit Leben auf den Strassen herrscht. Karstadt weg, Kinos weg, Strassenbahn weg – aber Eisdielen sind noch da. Und Frau Nguyen mit ihrem “Bowllicious“.

Da sie jetzt so prominent in der Zeitung steht, kann mann da wohl ein paar Tage nicht hingehen, weil es überfüllt sein wird. In Beuel hatten wir kürzlich auch sowas, mit einem Pizzaladen am Adenauerplatz. Aber wenn ich mal wieder in Gladbeck bin, muss ich da testen gehen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net