Emmanuel Macron trickst Olaf Scholz und Ursula von der Leyen aus – Der Besuch von Emmanuel Macron in China zeigt: Paris will mit Peking kooperieren. Und was macht Berlin? Geht auf Distanz.

Der französische Präsident Emmanuel Macron besuchte kürzlich China und wurde von chinesischer Seite mit großem Pomp empfangen. Vor seinem Besuch sagte Macron, er hoffe, dass Peking seinen einzigartigen Einfluss auf Moskau ausüben werde, um dabei zu helfen, den Krieg in der Ukraine zu beenden oder zumindest davon abzusehen, Russland in großem Umfang militärische Hilfe zu gewähren und die vom Westen gezogene rote Linie zu überschreiten.

Macron behauptete, es liege nicht in Chinas Interesse, einen langwierigen Krieg in der Ukraine zu führen. Die Einschätzung Pekings könnte jedoch genau das Gegenteil sein. Eine Fortsetzung des russisch-ukrainischen Krieges würde sowohl den Westen als auch Russland aufzehren, was für Peking, das seine Außenpolitik stets nach seinen eigenen nationalen Interessen formuliert, eigentlich recht vorteilhaft wäre. Es ist daher nicht klar, ob Macron sein Ziel erreichen wird. Aber eines ist sicher: Macrons Besuch bietet Peking eine einzigartige Gelegenheit, eine Einheitsfront im Kampf gegen die USA aufzubauen, und Peking kann die Taktik des „Teilens und Herrschens“ anwenden, um dieses strategische Ziel zu erreichen.

Pekings Tradition der Einheitsfront

Nach dem historischen Materialismus und dem dialektischen Materialismus, der Weltanschauung und Methodik der chinesischen Kommunisten sind Widersprüche und Konflikte die treibende Kraft hinter dem Fortschritt der Geschichte, und deshalb müssen Widersprüche aktiv angegangen und bewältigt werden, vor allem durch die Lösung der Hauptwidersprüche und der wichtigsten Aspekte dieser Widersprüche.

Dieses Bewusstsein, das im kommunistischen China sozusagen ein geflügeltes Wort ist, ist tief in den Herzen der Menschen verwurzelt. Für die politischen Entscheidungsträger in Peking ist der strategische Wettbewerb zwischen China und den USA derzeit der Hauptwiderspruch, und die USA sind Chinas wichtigster „Feind“. Daher müssen sowohl die chinesisch-europäischen als auch die chinesisch-russischen Beziehungen dem Hauptwiderspruch des strategischen Wettbewerbs zwischen den USA und China untergeordnet werden.

Dies steht auch im Einklang mit Pekings Tradition der Einheitsfront, von der Mao einst verkündete, dass das Geheimnis des politischen Kampfes darin bestehe, „sich mehr Freunde und weniger Feinde zu machen“. Als treuer Anhänger Maos versteht Xi Jinping dies natürlich. Er rühmt sich, ein großer Stratege zu sein. Um dem starken Druck der USA entgegenzuwirken, ist Peking nicht nur froh, die Russen in direkter Konfrontation mit dem Westen zu sehen, sondern scheut auch nicht davor zurück, die europäischen Big Bosse mit wirtschaftlichen Vorteilen zu locken.

Der Besuch von Olaf Scholz in China war kurz

Trotz des Konsenses unter Pekings politischen Entscheidungsträgern, Europa für sich zu gewinnen, ist Brüssel als Symbol der europäischen Einheit keine Fraktion, mit der Peking gerne verhandelt. Denn die EU als Ganzes ist eine riesige Volkswirtschaft von vergleichbarer Größe wie die chinesische, gegenüber der Peking keinen klaren Vorteil sich erspielen kann. Einzelne EU-Mitgliedsstaaten wiederum wie Deutschland und Frankreich werden von dem chinesischen Riesen in den Schatten gestellt.

Außerdem wird die derzeitige Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, von Peking als „pro-amerikanisch“ angesehen, so dass Peking es vorzieht, Brüssel zu umgehen und direkt mit den EU-Mitgliedstaaten zu verhandeln. Macron hat sich große Mühe gegeben, Frau von der Leyen in seine Verhandlungen zu involvieren. Er hat sie eingeladen, mit ihm nach China zu reisen, um die Einheit der EU zu zeigen. Aber Peking hat die beiden sicherlich unterschiedlich behandelt, indem Macron öffentlichkeitswirksam empfangen wurde und das Treffen mit Frau von der Leyen unauffällig stattfand.

Von den 27 EU-Mitgliedstaaten sind Deutschland und Frankreich diejenigen, denen Peking die größte Bedeutung beimisst, da Deutschland die führende Wirtschaftsmacht der EU ist und Frankreich ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats mit Atomwaffen. Wenn Peking in der Merkel-Ära Deutschland mehr Bedeutung beigemessen hat, könnte es in der Nach-Merkel-Ära Frankreich mehr Bedeutung beimessen.

Während Macrons Besuch in China ein dreitägiger Staatsbesuch war, handelte es sich bei dem Besuch von dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in China im November 2022 um einen Arbeitsbesuch, der in aller Eile nach nur einem Tag endete. Dies spiegelt zumindest einen Aspekt der Wärme der chinesisch-französischen Beziehungen wider, die über die Zuneigung zwischen China und Deutschland hinausgeht.

Frankreich gehöre nicht zum Kern der amerikanischen Diplomatie

Der einflussreiche chinesische Wissenschaftler Xue Li schrieb kürzlich, dass China eine „Strategie gegenüber Europa“ entwickeln müsse, um Europa näher an sich zu binden. In einer geopolitischen Analyse der wichtigsten europäischen Länder, die an Zbigniew Brzezinskis „The Grand Chessboard“ (1997) angelehnt ist, kommt Xue Li zu dem Schluss, dass Frankreich Chinas wichtigster strategischer Partner in Europa ist und mit ihm an allen Fronten zusammenarbeiten muss, während die anderen westeuropäischen Länder, einschließlich Deutschland, an zweiter Stelle stehen und die Zusammenarbeit mit ihnen hauptsächlich in bestimmten Bereichen und in sekundären Regionen stattfindet.

Der Grund, warum Xue Li Frankreich als geeigneteres Ziel für die Einheitsfront Pekings ansah als Deutschland, war, dass Frankreich in seiner Diplomatie eine tiefe Tradition des Gaullismus aufweist. Frankreich war die erste westliche Macht, die formell diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China aufnahm (27. Januar 1964), und das zu einer Zeit, als China und das westliche Lager einander feindlich gegenüberstanden.

1966 verkündete Charles de Gaulle den Austritt Frankreichs aus der militärischen Integrationsorganisation Nato und die Verlegung des Nato-Hauptquartiers aus Paris. Nachdem Frankreich während des ersten Kalten Krieges ein Außenseiter war, ist es keine Überraschung, dass es während des zweiten Kalten Krieges nach „strategischer Autonomie“ strebt.

In Anlehnung an Samuel Huntingtons These vom Kampf der Kulturen argumentierte Xue Li auch, dass Frankreich ein überwiegend katholisches Land sei, während die USA, Großbritannien und Deutschland allesamt überwiegend protestantische Länder seien; daher gehöre Frankreich nicht zum Kern der amerikanischen Diplomatie und werde oft ausgeschlossen. Daher sei der Wunsch Frankreichs, die europäische „strategische Autonomie“ zu fördern, am stärksten ausgeprägt. Xue Li arbeitet für die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften, die höchste offizielle Denkfabrik, als Direktor der Abteilung für internationale strategische Studien. Als solcher ist sein Rat einflussreich für Pekings Entscheidungselite. Und der hochkarätige Empfang, den Macron bei diesem Besuch erhielt, spiegelt die Bedeutung wider, die Peking Paris gegenüber Berlin beimisst.

Heute ist die Welt tatsächlich in einen zweiten Kalten Krieg eingetreten

Pekings Kalkulationen könnten durchaus richtig gewesen sein, denn die französische Diplomatie hat in der Vergangenheit eine starke Tendenz zur Realpolitik gezeigt. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) unterstützte Frankreich, obwohl katholisch, das protestantische Lager, um seinen Erzrivalen, die Habsburger (die ebenfalls katholisch waren), zu schwächen. Dies war ein Präzedenzfall dafür, dass nationale Interessen Vorrang vor religiösen Überzeugungen hatten und wurde zur Grundlage der westfälischen Weltordnung.

Als die osmanische Armee 1683 Wien, die Hauptstadt der Habsburger, angriff, scheiterte Frankreich nicht nur daran, sie zu retten, sondern versuchte auch, die Kriegsbeute mit den Osmanen zu teilen. Hätte Polen keine Truppen zur Hilfe geschickt, wäre Wien wahrscheinlich von der osmanischen Armee eingenommen worden.

Heute ist die Welt tatsächlich in einen zweiten Kalten Krieg eingetreten, in dem China, Russland und der Westen in eine ideologische Konfrontation und einen geopolitischen Wettstreit verwickelt sind, wobei russische Truppen sogar in die Ukraine einmarschiert sind. Es ist nicht verwunderlich, dass Frankreich wieder einmal versucht ist, seine westlichen Werte zu opfern, um die enormen wirtschaftlichen Vorteile zu nutzen und auf dem chinesischen Markt eine Rolle zu spielen. Es wäre eine logische Wiederholung der Geschichte.

Peking hat nicht nur zwischen Brüssel, Paris und Berlin unterschieden, sondern auch den Kooperationsmechanismus zwischen China und Mittel- und Osteuropa (17+1) ins Leben gerufen, was den ehemaligen deutschen Außenminister Sigmar Gabriel dazu veranlasste, Peking zu einer „Ein-Europa“-Politik aufzufordern.

Pekings Strategie gegenüber Europa ist ein klassisches „Teile und Herrsche“-Manöver. Aber das ist nicht Pekings Schuld, denn die EU ist kein einheitliches Ganzes und steckt voller Widersprüche und Streitigkeiten, die von externen Mächten ausgenutzt werden können.

Im Jahr 2003 stellten sich Paris und Berlin gemeinsam gegen Washingtons Entscheidung, in den Irak einzumarschieren. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unterschied die Länder des „Neuen Europa“ in Mittel- und Osteuropa von den Ländern des „Alten Europa“ wie Frankreich und Deutschland und argumentierte, das „Neue Europa“ sei loyaler. Moskau hat in den letzten Jahren die extreme Rechte in Europa unterstützt, um es von innen heraus zu spalten. Die französische Front National (Nationale Allianz), die deutsche AfD und der ungarische Premierminister Orban, der für eine „illiberale Demokratie“ eintritt, haben alle moralische und/oder materielle Unterstützung aus Moskau erhalten.

Europa könnte sich einen

Obwohl die EU China bereits im März 2019 als „systemischen Rivalen“ bezeichnet hat, war sie bisher nicht in der Lage, eine einheitliche Strategie gegenüber China zu entwickeln. Selbst das Mitgliedsland Deutschland hat seine „China-Strategie“ aufgrund interner Querelen verschoben.

Sollte Peking jedoch radikale Maßnahmen ergreifen, wie z.B. umfangreiche Militärhilfe für Russland oder einen Krieg zur Eroberung Taiwans anstreben, könnten sich die EU-Länder schnell zusammenschließen und eine harte Linie gegenüber China einschlagen. Schließlich hat der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine erst vor einem Jahr die Nato wiederbelebt, die kurz vor dem „Hirntod“ stand, und die westlichen Länder haben angesichts der imperialistischen Expansion Putins ein hohes Maß an Solidarität gezeigt und sich entschlossen von Putin distanziert.

Der Autor ist chinesischer Doktorand an der Freien Universität Berlin mit Forschungsinteressen in den Bereichen internationale Beziehungen, Geopolitik und Strategie.

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