Gestern war mir beim warten auf den Zug nach Köln langweilig. Ich tat etwas, was ich schon lange nicht mehr gemacht habe: ich kaufte zwei Zeitungen, gedruckt auf Papier. Ich wollte rausfinden, ob sich sowas noch lohnt (ich nehms vorweg: Nein!). Als ich 1990-2005 zwischen Bonn und Düsseldorf pendelte, war es mir ein Genuss, mich mit Zeitungen zu bevorraten und während der 45 Minuten IC-Fahrt zu studieren. Ich holte mir täglich GA, Express und WAZ. Auf der Rückfahrt lieh ich mir in der Fraktionspressestelle SZ und FAZ aus, und brachte sie am nächsten Morgen zum Archivieren zurück. Es war eine intellektuelle Freude und machte mich nicht dümmer.

Gestern lief alles anders. Der Kaufpreis gedruckter Zeitungen hat sich vervielfacht. Und ich kam gar nicht zum Lesen, weil ich einen jungen “alten” Freund auf dem Bahnsteig traf, mit dem ich viel zu quatschen hatte. Ich verschob die Lektüre auf die Rückfahrt. Dabei erlebte ich ein ähnliches Lesegefühl, wie vor ein paar Tagen, als drei Tage hintereinander der Express in meinem Briefkasten lag, vermutlich eine verzweifelte Werbeaktion des Verlages. Damals, 1990-2005 las ich den Express, weil der “Boulevard”, ob ich wollte oder nicht, ein relevanter Teil der Öffentlichkeit war, und der Express zumindest gelegentlich eine erträgliche Alternative zum Lügenblatt aus dem Springerkonzern. Was die Verlagsleitung davon noch übrig gelassen hat, ist eine Tragödie. Damals identifizierte ich noch richtige Journalist*inn*en, Klaus Kleinöder, Marion Steeger, Michael Spreng – davon scheint kaum noch was übrig geblieben zu sein. Der Bonner Lokalteil ist verschwunden.

Gestern auf der Rückfahrt in 16 Minuten von Köln-Süd bis Bonn Hbf. hatte ich – ernsthaft! – die “dicken” Samstagsausgaben von Kölner Stadt-Anzeiger und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (die aber samstags erscheint, also ohne Bundesliga, und auch sonst weit dünner als in ihrer starken Anfangszeit) durch. Ich konnte beide gleich im Zug liegenlassen, für interessierte Folge-Fahrgäste. Dieser Bericht von Harald Staun über einen Istanbul-Besuch von Claudia Roth war der einzige Artikel, den ich interessiert und vollständig gelesen habe.

Das Politikum

Das passt gleichzeitig als Überleitung zum hier zu kommentierenden Politikum. Über Jahrzehnte konnte weniger als ein Dutzend Verlegerdynastien sich über ihre regionalen Medienmonopole ungehemmt bereichern. Sie vernichteten kulturelle und Meinungs-Vielfalt mit strategischem Kalkül, weil das umso effizienter ihre Konten füllte, und sie sich im Nebenberuf als Immobilienhaie und lokale Oligarchen über normalmenschliche Billig-Existenzen erheben, sowie als “Mäzene” Politiker*innen-Karrieren fördern oder vernichten konnten. Es war ihnen eine wachsende Freude. Bis “dieses Internet” kam.

Erst haben sie es bekämpft, so gut sie konnten. Dann merkten sie: ach Du Schreck, das lässt sich ja leider gar nicht auffressen, wie wir es immer mit Konkurrent*inn*en gemacht haben. Das scheint irgendwas Grösseres zu sein, da müssen wir dabei sein. Aber herrje – die Internetnutzer*innen gucken da einfach rein, und bezahlen gar nichts (jedenfalls nicht an uns, nur an PC-Verkäufer und Netzprovider). Und wir haben dafür überhaupt kein Geschäftsmodell. Und Leute, die intelligent genug sind, eins zu entwickeln, haben wir gar nicht eingestellt, weil die nicht kostengünstig sind.

Kostengünstig, wie z.B. die Austräger*innen unserer gedruckten Zeitungen. Die schwärmten doch tatsächlich für Hungerlöhne in die morgendliche Dunkelheit aus, um unsere Nachrichten und Meinungen, vor allem unser Agendasetting, in die Briefkästen der Menschen draussen im Land zu verteilen.

Und dann heckt unsere Regierung, die wir selbst ausgesucht haben, die Grosse Koalition, einen ansatzweise beinahe schon menschenwürdigen Mindestlohn aus. Was haben die sich bloss dabei gedacht?

Dann sollen sie diese Kosten gefälligst aus der Staatskasse auch bezahlen. Denn sonst schmälert das ja unsere Rendite. Wir Verlegerfamilien wollen schliesslich nicht nur Macht über Nachrichten und Meinungen ausüben – in erster Linie wollen wir uns bereichern, wie es früher einmal war. Da hatten es doch alle gut.

Auftragsgemäss hat das Bundeswirtschaftsministerium noch unter der Merkel-Regierung ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass staatliche Pressefinanzierung – Meinungsfreiheit und Staatsunabhängigkeit hin oder her – doch irgendwie verfassungsgemäss sein könnte. Vor einiger Zeit kam das auf die neubesetzten Minister*innen-Tische (Wirtschaft/Habeck und Kultur/Medien/Roth). Beide fassen das nur mit spitzen Fingern an, und haben einsilbig erklären lassen, dass das Gutachten nicht die Position ihres Hauses sei. Um Ärger zu vermeiden wären sie am liebsten beide gar nicht “zuständig”.

Entsprechend laut wird es nun in einigen Zeitungsspalten. Jahrzehntelang haben Bundesregierungen immer das getan (oder gelassen), was der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger von ihnen verlangte (auch und besonders in Brüssel). Und das soll nun vorbei sein? Wo kommen wir denn da hin?

Ich hätte da eine Idee: gemeinnützigen Journalismus fördern. Sein Zweck darf nicht das realisieren von Rendite und Profit sein, sondern die Information der demokratischen Öffentlichkeit über alle öffentlichen Angelegenheiten, mit gleichberechtigtem diskriminierungsfreiem Zugang für alle Betroffenen, und nicht nur die, die es sich mit ihrem Kapitalgewicht leisten können. Eine Zensur findet nicht statt.

Mann wird doch wohl noch träumen dürfen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net