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Absage zum Kirchentag

Absage meiner Teilnahme am Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg wegen der Entscheidung des DEKT-Präsidiums zur Zensur der NAKBA-Ausstellung und der dialogfeindlichen Haltung von Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere

Im September letzten Jahres erhielt ich die Anfrage des DEKT, vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges am Samstag, 10.Juni in der Nürnberger Frankenhalle an einer Podiumsdiskussion zur Welt-UN-Ordnung teilzunehmen, unter dem Titel “Wer Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor?” Ich sagte meine Teilnahme zu.

Heute habe ich meine Teilnahme wieder abgesagt, weil das Präsidium des DEKT unter Vorsitz von Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere seinen ursprünglich im Oktober gefassten Beschluss zum Verbot der NAKBA-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag bekräftigt hat und zur versuchten Rechtfertigung für diese Zensurmaßnahme auf unbelegte Pauschalvorwürfe, Falschbehauptungen und Verleumdungen Dritter über die Ausstellung verweist.

Damit werde ich – genau so wie Konrad Raiser, der frühere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), zum ersten Mail seit 1969 nicht an einem Deutschen Evangelischen oder Ökumenischen Kirchentag teilnehmen. Raiser, der viele Jahre lang Mitglied des DEKT-Präsidiums war, hat die Einladung, als Ehrengast in Nürnberg teilzunehmen, wegen des Verbots der NAKBA-Ausstellung abgelehnt.

Zu meiner Entscheidung beigetragen hat die dialogfeindliche und selbstherrliche Art, mit der insbesondere Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere, aber auch fast alle anderen der 31 Mitglieder des Präsidiums, seit dem Beschluss vom Oktober auf mindestens 50 schriftliche Anfragen und Bitten um eine Begründung ihres Beschlusses reagierten – oder eben überhaupt nicht reagierten. Persönlich an ihn gerichtete Briefe ließ de Maiziere ins Leere laufen. Seine Büromitarbeiterin, die CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel, wimmelte Anfragen ab mit dem Satz: “Ihr Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse.“ Und warum nicht? Warum hat der DEKT – laut ständiger Selbstdarstellung dem _„Dialog“ und dem_„gesellschaftlichen Diskurs“ verpflichtet – auf die zahlreichen an ihn gerichteten Anfragen nicht reagiert? Auf diese Frage des Deutschlandfunks für eine am 21.März ausgestrahlte Sendung wollte DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn ausdrücklich keine Antwort geben.

Am 10. März beschloss das des DEKT-Präsidiums einstimmig: “Das Präsidium des Kirchentags hat im Oktober 2022 nach Beratung durch eine Prüfgruppe entschieden, den Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V. zum Markt der Möglichkeiten zuzulassen, hingegen die Ausstellung zur NAKBA nicht zu zeigen. Diese Entscheidung bleibt bestehen. Denn die Ausstellung, die in früheren Jahren gezeigt wurde, ist in ihrer Einseitigkeit seit Jahren überarbeitungsbedürftig, und sie ist diese Überarbeitung bisher schuldig geblieben. Die Ausstellung in dieser Form schließt die Diskussion mehr, als dass sie sie öffnet. Wir wollen aber das strittige Thema aufgreifen und ihm auf dem Kirchentag in Nürnberg durch eine eigene Veranstaltung Raum geben.”

Für die behauptete „Einseitigkeit“ der NAKBA-Ausstellung haben die DEKT-Geschäftsstelle und das Präsidium auch auf mehrfache Nachfragen seit dem 10. März kein einziges Beispiel oder gar einen Beleg nennen können. Stattdessen erklärte DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn in der Sendung des Deutschlandsfunks vom 21.3.:_„Der Verein Flüchtlingskinder im Libanon weist auf seiner Homepage von sich aus selbst daraufhin, dass er eine bewusste Einseitigkeit in der Ausstellung gewählt hat.“ Auf Nachfragen, wo denn dieser angebliche Hinweis zu finden sei, reagiert die DEKT-Generalsekretärin nicht. Tatsächlich gibt es einen solchen Hinweis auf der Homepage des Vereins nicht, und es hat ihn auch nie gegeben. Dennoch wird diese tatsachenwidrige Falschbehauptung der DEKT-Generalsekretärin wider besseres Wissen inzwischen auch von DEKT-Sprecherin Milena Vanini verbreitet.

Neben DEKT-Generalsekretärin Jahn kommt in der Sendung des Deutschlandfunks als KritikerIn/Gegnerin der NAKBA-Ausstellung einzig die frühere Geschäftsführerin des American Jewish Council in Berlin, Deidre Burger zu Wort – und dies ebenfalls mit einer von ihr bereits seit Jahren verbreiteten Falschbehauptung: der Verein Flüchtlingskinder im Libanon sei _„nicht am Dialog interessiert“, sondern er verbreite mit der Ausstellung „ein Narrativ, das auschließlich die Palästinenser als rechtmäßige Bewohner Israels zeigt“. Damit unterstellt Berger dem Verein Flüchtlingskinder im Libanon, der NAKBA-Ausstellung und allen Menschen, die diese Ausstellung unterstützen, sie würden das Recht von Jüdinnen und Juden, auf dem Territorium des Staates Israel zu leben oder gar das Existenzrecht dieses Staates in Frage stellen. Diese Unterstellung ist eine Verleumdung.

Die in der Ausstellung präsentierten Informationen sind sämtlich belegt durch die Forschungen israelischer Historiker. Deidre Burger hingegen behauptet, es gebe darüber einen “Historikerstreit”. Welche Historiker mit welchen Argumenten und Fakten welchen in der Ausstellung präsentierten Informationen widersprechen, sagt Burger nicht.

Eine Mischung aus Irreführung der Öffentlichkeit und tatsachenwidriger Falschbehauptung wider besseres Wissen ist auch der Satz aus dem Präsidiumsbeschluss: „Denn die Ausstellung, die in früheren Jahren gezeigt wurde, ist in ihrer Einseitigkeit seit Jahren überarbeitungsbedürftig, und sie ist diese Überarbeitung bisher schuldig geblieben.“ Tatsache ist: die Ausstellung wurde seit 2009 auf fünf Evangelischen Kirchentagen gezeigt. Ein Ersuchen des DEKT zur Überarbeitung der Ausstellung hat es nie gegeben. Die einzigen jemals unterbreiteten Vorschläge zur Überarbeitung durch einige Präzisierungen und Ergänzungen (vorgelegt auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll im Jahr 2018) wurden sämtlich umgesetzt. Diese Liste liegt auch dem DEKT vor.

Wer waren die Mitglieder der vom DEKT eingesetzten „Prüfgruppe“ (in früheren Äußerungen der DEKT-Geschäftsstelle auch als „Expertengremium“ bezeichnet), die dem DEKT-Präsidium das Verbot der Ausstellung empfohlen haben?

Auch diese Frage seit November letzten Jahres mehrfach gestellte Frage will der DEKT weiterhin nicht beantworten. Allerdings beriefen sich einige Präsidiumsmitglieder auf Nachfrage zu der von ihnen behaupteten „Einseitigkeit“ der NAKBA-Ausstellung auf Deidre Burger sowie auf Einschätzungen der beiden „Antisemitismusbeauftragen“ der Landesregierung Baden- Württemberg, Michael Blume und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa (auch Vorstandsmitglied der AG Juden und Christen beim DEKT). Michael Blume hatte in seinem Jahresbericht 2019 die Ausstellung unter dem Kapitel „Israelfeindlicher Antisemitismus“ erwähnt und damit stigmatisiert – ohne eine konkrete Begründung für diese Zuordnung. Auf Nachfragen in einem Zeitungsinterview ruderte Blume halb zurück: „Ich werte die Ausstellung nicht als antisemitisch, aber als einseitig.“
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Als Beleg für die angebliche „Einseitigkeit“ der Ausstellung über die Flucht und Vertreibung der PalästinenserInnen in den Jahren 1947/48 nannte Blume die fehlende Erwähnung des in den Jahren 1937-1945 bestehenden „Bündnisses zwischen Adolf Hitler und dem Großmufti von Jerusalem“. Damit betreibt der “Antisemitismusbeauftragte” Blume elenden Whataboutism und versucht offenbar, ein Übel durch ein anderes Übel zu rechtfertigen.

Christian Staffa bezeichnete die NAKBA-Ausstellung auch in Reaktion auf einige Fragen nach einer Begründung für die Verbotsentscheidung des DEKT, pauschal und ohne irgendwelche Details, als „schlecht“ und unterstellte den Fragestellern Unkenntnis („Kennen Sie die Ausstellung überhaupt?“).

„Die Ausstellung in dieser Form schließt die Diskussion mehr als dass sie sie öffnet.“

Diese – ebenfalls durch nichts belegte – Behauptung des DEKT-Präsidiums steht im Widerspruch zu den gemachten Erfahrungen an den über 120 Orten, an denen die Ausstellunng seit ihrer Konzeption im Jahr 2008 gezeigt wurde.

Mit diesem Beschluss zum Verbot der NAKBA-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag fällt das DEKT-Präsidium allen Menschen in den Rücken, die sich in Israel/Palästina und in Deutschland seit Jahrzehnten für eine menschenrechts- und völkerrechtskonforme Friedenslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzen. Ohne eine solche Friedenslösung kann und wird es auch keine unbedrohte Existenz des Staates Israel geben.

Im letzten Satz seiner Verbotsentscheidung verspricht das DEKT-Präsidium: „Wir wollen aber das strittige Thema aufgreifen und ihm auf dem Kirchentag in Nürnberg durch eine eigene Veranstaltung Raum geben.”

Auf Nachfragen, wo auf dem Kirchentag dies geschehen soll, verwies die DEKT-Geschäftsstelle in einer schriftlichen Antwort, sowie in Beantwortung von Presseanfragen auf folgende Veranstaltung im Kirchentagsprogramm:

“Minderheiten in Israel – Kulturell, politisch, demografisch. Gespräch: Dr. Lidia Averbukh, Expertin für israelische Innen-und Außenpolitik, Bertelsmann Stiftung, Berlin; Prof. Dr. Johannes Becke, Israel- und Nahostforscher, Wiesbaden; Moderation: Prof. Dr. Doron Kiesel, Direktor Bildungsabteilung Zentralrat der Juden in Deutschland, Frankfurt/Main; Anwältinnen des Publikums: Dr. Franziska Grießer-Birnmeyer, Henfenfeld; Dora Charlotte Köhler, Berlin; Fr. 11.00–12.30; Zentrum Juden und Christen; Podium.”

Damit greift der DEKT dem Ergebnis von Bestrebungen vor, die die neue israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu bereits in ihrem Koalitionsvertrag ganz unverhohlen angekündigt hat: „Das jüdische Volk hat ein exklusives und unanfechtbares Recht auf alle Gebiete des Landes Israel. Diese Regierung wird überall die Siedlungen ausbauen, auch in Judäa und Samaria.“ Mehrere an der Regierung beteiligte Parteien und ihre Minister fordern die Annexion zumindest der Westbank, sowie die Vertreibung der dort lebenden Palästinenser. Diejenigen Palästinenser, die nach Umsetzung dieser Vorhaben vielleicht noch auf dem 1947 von der UNO und im Oslo-Abkommen von 1993 für ihren Staat vorgesehenen Territorium verblieben, wären dann tatsächlich nur noch eine der „Minderheiten in Israel“.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Ein Kommentar

  1. Annette Hauschild

    Lieber Andreas, das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung in der EKD. Es ist ja auch zu befürchten, dass die Konservativen wie de Maizière noch andere Positionen der EKD zurückdrehen, z.B. den Aufruf zum Frieden, die Haltung zu Atomwaffen etc. . Da werden in Zukunft noch viele Kämpfe auf uns zukommen.
    Aber die Teilnahme absagen heißt für mich, nicht zu kämpfen. Das ist sehr schade. Wäre es nicht besser gewesen, die Diskussion auf dem EKD offensiv zu führen im Verein mit Gleichgesinnten, als den rückwärts gewandten Kräften das Feld zu überlassen? Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich diesmal zum EKD gekommen.

    Beste GRüße

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