Die EU finanziert gemeinsam mit den USA nahezu jeden Bereich in der Ukraine, natürlich auch den Agrarsektor. Das trägt mit dazu bei, dass in der Ukraine Weizen weitaus billiger produziert werden kann als in den Nachbarländern. Der Weizen aus der Ukraine, so erfuhren wir in den vergangenen Wochen aus unseren Medien, sei auch von enormer Wichtigkeit für die Welternährungsprogramme und von zentraler Bedeutung, um etwa drohende Hungersnöte in afrikanischen Staaten abzuwenden. Dafür wurden sichere Transportkorridore geschaffen, auch auf dem Landweg. Doch ein Großteil des Weizens wird durch diesen Korridor mal gerade über die ukrainischen Grenzen transportiert und ruiniert die dortige Landwirtschaft, statt zur Sättigung der hungernden Menschen in Afrika beizutragen. Weil das so ist, hat der EU-Agrar-Kommissar Janusz Czesław Wojciechowski nun angekündigt, 56,3 Mio. Euro an die der EU angehörenden Länder mit Grenze zur Ukraine zu zahlen. Weil, so heißt es in einer Presseerklärung: “Die Landwirte in den an die Ukraine angrenzenden Ländern äußerten sich besorgt über die Auswirkungen der zunehmenden Einfuhren von ukrainischem Getreide und Ölsaaten auf die lokalen Märkte. Die Handelsstörungen der russischen Aggression sollten nicht auf Kosten der Landwirte aus den Nachbarländern erfolgen.”
Im weiteren Text wird auch verraten, wer wie viel bekommen soll: “Die Finanzhilfe wird an die drei Mitgliedstaaten verteilt, die sie dann so bald wie möglich an die Landwirte verteilen. Die Kommission schlägt vor, Polen 29,5 Mio. EUR, Bulgarien 16,75 EUR und Rumänien 10,05 Mio. EUR zuzuweisen. Die drei Länder können diese EU-Förderung bis zu 100 % durch nationale Mittel ergänzen, die sich auf insgesamt 112,6 Mio. EUR für betroffene Landwirte belaufen würden.”
In einem “Hintergrund” zur eigentlichen Presseerklärung heißt es weiter: “Die Kommission hat der Ukraine und ihren Landwirten geholfen, Getreide und Ölsaaten anzupflanzen und anzubauen, die für sich selbst und für die Welt dringend benötigt werden, und ihre Ausfuhren zu erleichtern, insbesondere durch die Solidaritätsstraßen und die Initiative für Schwarzmeerkorn sowie durch die vorübergehende Abschaffung aller Zölle und Quoten auf ihre Ausfuhren. Die Kommission ist entschlossen, die Ukraine in diesen schwierigen Zeiten weiterhin zu unterstützen und gleichzeitig die Auswirkungen der russischen Aggression gegen die Ukraine auf die Landwirte in der EU zu überwachen.”
Nix für Afrika
Bleibt die Frage, warum die angesichts des Hungers in der Welt allgemein und in Afrika im besonderen sicherlich hoch motivierten Transporteure des mit EU-Hilfe erzeugten Ukrainischen Weizens bei ihrer Mission bereits kurz nach der Ukrainischen Grenze zur EU schlapp machen und das Getreide bereits dort ausladen?
Andererseits stellt sich die Frage, warum das anders sein soll. Schließlich bewegen wir uns im Bereich der EU-Agrarpoliitk. Und die soll nun mal nicht ganz frei von Korruption sein. So hörte ich auch schon vor über 20 Jahren. Damals habe ich mich manchmal auch mit Europa befasst In Brüssel traf ich einen mir bereits bekannten Menschen, der in der EU-Kommission im Bereich Regionalpolitik tätig war und mir erzählte, dass beispielsweise Griechenland so viel Subventionen im Zusammenhang mit dem Olivenanbau erhalte, dass das gesamte Land, also auch die Stadtbereiche von Athen oder Thessaloniki nur aus Olivenhainen bestehen müssten – weil sonst die von der EU subventionierte, vermeintliche Anbaufläche in Griechenland nicht erreichbar wäre. Gut – das war wie gesagt vor gut 20 Jahren. Und überprüfen konnte ich diese Angaben auch nicht. Heute ist sicher alles anders. Bestimmt.
Bisschen korrupt?
Obwohl – man sagt ja, der “Fisch stinkt vom Kopf her.” Die amtierende Kommissions-Chefin, bekannt für ihre wetterfeste Frisur, kann ja nur deshalb amtieren, weil sie erst nach Zugeständnissen an die der Demokratie eher abgeneigten Regimes in Polen und Ungarn zur Kommissionspräsidentin erkoren wurde. Die Wähler zum Europa-Parlament waren zuvor mit dem Versprechen gelockt worden, sie würden mit der Wahl auch über die neuen EU-Kommissionspräsidenten abstimmen. Eine Ursula von der Leyen stand nicht zur Wahl.
Obwohl es wenig Sinn ergibt, weil ich weiß, dass sie kritische Fragen nicht wirklich beantworten, sondern PR-Texte verschicken, richtete ich einige Fragen an den “Europapunkt” in Bonn – wie immer nüchtern, sachlich und zurückhaltend formuliert:
“Wieso hat die EU Transitstrecken für Weizen aus einem der korruptesten Länder dieser Welt – der Ukraine über weitere ziemlich korrupte Länder wie Polen und Rumänien geschaffen, ohne direkt für einen kontrollierten Transit zu sorgen? Welchen Firmen und Fonds gehören die Weizenfelder in der Ukraine?
Was hat die EU für diesen Transit bisher ausgegeben?
Wer sind die Geschäftspartner der EU in der Ukraine?
Wie hoch sind die bisher bereits gezahlten “Ausgleichsgelder” für polnische und rumänische Landwirte?
Wer bekommt dieses EU-Gelder tatsächlich ausgezahlt?
Wer verdient in der Kommission an diesem gigantischen Existenzvernichtungsprogramm der EU?
Wie viele Ermittlungsverfahren werden in diesem Zusammenhang bei OLAF geführt?”
Statt einer inhaltlichen Antwort kam aus Berlin von der Presseabteilung der dortigen Kommissions-Vertretung die bereits zitierte Pressemitteilung. Eine kurze Suche im Internet zum Thema “Ukraine Weizen” verfestigte den Eindruck, als gäbe es eine gewisse Diskrepanz zwischen den Erklärungen für die breite Öffentlichkeit und den Fakten. Denn bereits im August 2022 überschrieb der Fachdienst “agrar heute” einen Artikel so: “Getreidemarkt und Ukrainekrieg: Wohin verkauft die Ukraine ihr Getreide? – nicht nach Afrika” In der Meldung hieß es: “Die Hauptziele für den laufenden ukrainischen Getreideexport lagen im Juli und im August allerdings nicht in den Hungergebieten Afrikas. Hauptabnehmer von ukrainischem Weizen und Mais war vielmehr die Türkei. Von den bis 26. August registrierten 36 Schiffsabfahrten gingen allein 16 Schiffe an türkische Abnehmer. Danach folgen verschiedene EU-Länder…”
In einem “Hintergrundpapier” zum Thema, welches ungenannt bleibende Autoren gerne Journalisten zur Verfügung stellen, wenn sie versprechen, die Quelle nicht zu nennen, heißt es:
“Die Solidaritätskorridore sind zu einem wertvollen und unverzichtbaren Rettungsanker für die Ukraine geworden und dienen auch dem Schutz einer weltweiten Nahrungsmittelkrise. Als der russische Angriffskrieg die Schwarzmeerhäfen der Ukraine effektiv blockierte, sorgten diese Korridore dafür, dass ukrainische Getreide in bedürftige Länder weiter exportiert werden konnten.” Angesichts der Fakten müsste es korrekt “könnten” statt “konnten” heißen, denn verschiedenen Quellen zufolge wurde der Weizen weniger dorthin exportiert, wo er Hunger lindern könnte, als vielmehr in die Nachbarstaaten, insbesondere die, die Mitglied der EU sind, und sorgte dort für den Preisverfall des jeweiligen inländisch produzierten Weizen. So wie es auch “agrar heute” berichtete. Auch der “Bayerische Rundfunk” verbreitete am 31. März 2023 eine Meldung unter der Überschrift: “Weizen aus der Ukraine überschwemmt EU-Länder: Weil billiges Getreide aus der Ukraine Landwirte in Polen unter Druck setzt, bekommt das Land knapp 30 Millionen Euro an Agrarhilfe aus EU-Geldern. Auch Bulgarien und Rumänien erhalten Geld aus der EU-Agrarreserve: Sofia knapp 17 und Bukarest gut zehn Millionen Euro. Die Maßnahme sei am Donnerstag von den EU-Staaten angenommen worden, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission.”
PR-Texte als Hintergrund
In dem Hintergrundpapier heißt es über die Korridore, von denen ich dachte, sie seien direkt von der EU geschaffen und vor allem auch kontrolliert: “Solidaritätskorridore sind keine Korridore im Sinne des TEN-T-Netzes der Europäischen Union (Trans-European Transport Network). Das bedeutet, sie wurden nicht mit EU-Mitteln geschaffen. Die EU hat ihre Umsetzung erleichtert(…) Es sind die ukrainischen, moldauischen, rumänischen und polnischen Behörden, die sie zusammen mit mehreren Verkehrsunternehmen diese Handelswege gegründet haben.” Die EU hat “nur” gezahlt, übt aber keinerlei Kontrolle aus.
Und weiter: “Seit Mai 2022 hat die Ukraine über diesen Weg (also die Korridore) mehr 56 Millionen Tonnen Güter transportiert (neben Getreide auch Geflügel, Fleisch, Nicht-Agrargüter…). Das brachte den ukrainischen Unternehmen und bäuerlichen Betrieben mehr als 25 Milliarden Euro an Einkommen und hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaft überleben und die Kriegsanstrengungen aufrecht erhalten werden konnten.”
Wer will das nicht, den geschundenen Bauern in der Ukraine zu Einnahmen verhelfen. Doch wer sind diese Menschen, deren Weizen dubiose Händler in den EU-Ländern mit Grenze zur Ukraine reich macht, die dortigen Bauern ruiniert und keinen Beitrag gegen den Hunger leistet?
Darüber fand ich einen aufschlussreichen Beitrag in der Zeitung der kommunistischen Partei Luxemburgs über die Besitzverhältnisse an den ukrainischen Weizenfeldern. Dem Blatt zufolge sind bekannte US-Firmen wie Cargill, Dupont und Monsanto in der Ukraine Großgrundbesitzer. Zu den in der Ukraine tätigen Unternehmen gehören insbesondere Vanguard, Blackstone und Blackrock mit einem Kapital von 10, 6 bzw. 0,9 Billionen US-Dollar.
Bestätigung für Großinvestitionen der US-Firmen finden sich aber auch in anderen Medien. So schrieb Zeit online bereits am 16. März 2015 unter Berufung auf Frédéric Mousseau, Strategiedirektor des kalifornischen Oakland Instituts, eines auf Nahrungssicherheit und Klimathemen spezialisierten Think Tanks:
“Zuletzt hätten die Firmen ihre Investitionen erheblich erhöht”, sagt Mousseau – so sehr, dass es einer “Übernahme der ukrainischen Landwirtschaft durch westliche Konzerne” gleichkomme. Und die Finanzinstitutionen des Westens, etwa die Weltbank und der Weltwährungsfonds, unterstützten die Interessen des Kapitals durch ihre Politik.
Die gewaltigen Produktionssteigerungen beim Weizenertrag in der Ukraine könnte etwas damit zu tun haben, dass es sich bei einigen der US-Investoren um Firmen handelt, die großflächig Gentechnik zur Ertragssteigerung einsetzen.
Die EU fördert mit Steuergeldern also Investitionen von Black Stone und Black Rock, die aus lauter Dankbarkeit dafür die Landwirtschaft in den Nachbarländern der Ukraine ruinieren. Vielleicht können sie daraufhin den Grundbesitz der zuvor ruinierten Getreidebauern in Polen, Rumänien, Ungarn und der Slowakei günstig kaufen.
Inzwischen hat Polen die Einfuhr ukrainischen Weizens verboten. hat aber “Gespräche” mit der Ukraine über den Weizen angekündigt. Wahrscheinlich wird es auf weitere Zahlungen oder andere Leistungen der EU hinauslaufen.
Ich erinnere mich, dass es früher mal ein Fachministerium in der Bundesregierung gab, das solcherart Krisen in der EU frühzeitig heraufziehen sah, und sich darum kümmerte sie friedlich und intern beizulegen, bevor sie öffentlich eskalierten. Es war irgendwas mit “Amt”.