Wenn der nichtdeutsche Nachname vom Klingelschild verschwindet – Der Mitbewohner unserer Autorin kommt aus dem Kongo. Schon mehrmals haben Unbekannte seinen Nachnamen vom Klingelschild entfernt.
Werte Nachbarn, nachdem zum vierten Mal das Namensschild meines Mitbewohners von unserem Briefkasten entfernt wurde, möchte ich Sie darüber informieren, dass dies einen Straftatbestand darstellt und ich mir vorbehalte, das nächste Mal eine Anzeige gegen unbekannt zu erstatten. Auch wenn Sie mit dem nichtdeutschen Namen meines Mitbewohners nicht einverstanden sind, werden Sie auf diese Weise trotzdem nicht verhindern können, in Zukunft weiterhin mit Menschen zusammenzuleben, die aus anderen Gegenden der Welt zu uns gekommen sind. Wir sind alle Menschen. Letztlich stammen wir alle von der gleichen Mutter und vom gleichen Vater ab.
Mein Mitbewohner ist Coco. Er ist der kleine Bruder meines verstorbenen Freundes, eigentlich sein lebenslang bester und längster Freund. Sie kannten einander, seitdem Coco 13 war, mein Freund hatte sein gesamtes Leben auf Coco aufgepasst und ihn beschützt. Nach dem Tod meines Freundes im letzten Jahr bin ich Cocos große Schwester geworden. Wir haben beide zusammen getrauert und uns gegenseitig geholfen.
Als Coco vor einigen Monaten in Schwierigkeiten geraten war, bot ich ihm ein Zimmer in meiner Wohnung an. Ich hatte jetzt viel Platz, seitdem mein Freund nicht mehr bei mir ist. Coco ist wie mein verstorbener Freund im Kongo geboren, in Kinshasa. Er hat einen schönen Nachnamen, schöner als einige deutsche Familiennamen, finde ich, einen Namen mit einem runden, vollen Klang. Obwohl seine Familie zur Volksgruppe der Kikongo gehört, ist er in Angola aufgewachsen, denn sein angolanischer Vater hatte seine Familie später nach Angola gebracht.
Die Kikongo leben in Kongo und Angola und wurden durch die willkürlichen Grenzziehungen nach der Berliner Kongo-Konferenz 1884, bei der die europäischen Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten, getrennt. Ich finde, dass Cocos Name gut zu meinem Familiennamen passt, der übrigens auch kein deutscher ist. Vor über einem Jahrhundert ist mein Urgroßvater vom polnischen Kowno aus, das heute zu Litauen gehört, nach Paris gegangen, um an der Sorbonne seinen Doktor in Philosophie zu machen.
Von Frankreich aus zog er weiter nach Berlin, wo mein Großvater geboren wurde. Die Mutter meines Großvaters, meine Urgroßmutter, stammte aus einer wohlhabenden deutsch-jüdischen Familie, die sowohl ein Kalkwerk bei Berlin als auch eine Rosenzucht in Nizza besaß. Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges entschied sich die Familie für die Rosenzucht und ging zwischenzeitlich nach Frankreich zurück.
Ein feiger Angriff
Ich hatte mir nichts Böses dabei gedacht, als ich Cocos Namensschild an unserem Briefkasten befestigt hatte, ich hatte zuvor korrekt den Untermietvertrag bei unserer Wohnungsgenossenschaft genehmigen lassen, Coco hatte sich polizeilich angemeldet und ich hatte pünktlich mit meiner Miete einen Obolus für die Untervermietung gezahlt. Coco ist ein ruhiger Mieter, er kommt meistens spät und geht früh aus dem Haus. Er hat eine schwere Arbeit, er arbeitet in einer Automobilfabrik, und wenn er einmal feiern möchte, besucht er seine Freunde, verlässt leise die Wohnung und kehrt noch leiser mitten in der Nacht zurück. Es ist unvorstellbar, dass Coco irgendjemanden stört.
Cocos und meiner sind nicht die einzigen Namen, die an meinem Briefkasten stehen. Neben meinem Namen befindet sich der Name meiner Söhne, den sie von ihrem Vater bekommen haben. Es ist ein kambodschanischer Name, den man als solchen jedoch nicht erkennt. Der Ururgroßvater meiner Söhne war vor über 200 Jahren aus China nach Kambodscha gekommen, er hieß Keat Lee, aber irgendwann wurden die beiden Namen vertauscht, so dass der Name Lee zu seinem Vornamen und Keat zu seinem Familiennamen wurde. Vielleicht konnten die Kambodschaner das leichter sprechen.
Dass die Familie ihren erkennbar chinesischen Familiennamen im Laufe der Zeit verloren hatte, war während der Diktatur der Roten Khmer übrigens ihr Glück. Die Roten Khmer brachten damals nahezu alle Ausländer um. Trotzdem hatte der Vater meiner Söhne in diesem Krieg seine Eltern und acht seiner insgesamt zwölf Geschwister verloren, bevor er als Zehnjähriger nach Deutschland kam. Die Namen an den übrigen Briefkästen in unserem Haus sind deutsch. Bauer und Wiechmann und Segert* und so.
Ich wohne in Niederschönhausen, einem ruhigen Zipfel von Berlin, weit draußen, viele Ausländer gibt es hier nicht. Nur eine Frau aus Ghana mit zwei kleinen Kindern gegenüber und ein junges deutsch-französisches Paar im Haus nebenan, aber die Leute hier sind Ausländer traditionell nicht gewohnt. Vielleicht müssen sie deshalb den Namen an meinem Briefkasten entfernen, vielleicht sind sie einfach nur rechts? Ich kann es nur erahnen.
Das Schlimme an diesem Angriff ist, dass man nicht weiß, von wo er kommt. Er kommt aus dem Unbekannten, ein feiger Angriff, gegen den man sich nicht wehren kann. Die Geschichte unserer Namen ist eine Geschichte von Kriegen. Von Vertreibung, von Flucht und Exil. 1933 ging mein in Berlin geborener Großvater mit seiner Ehefrau nach Frankreich ins Exil. Seine Ehefrau stammte wie seine Mutter aus einer jüdischen Familie, die ebenfalls aus Polen nach Berlin gekommen war. Zudem waren meine Großeltern Kommunisten, deshalb gehörten sie zu den Ersten, die nach Hitlers Machtantritt flohen.
Niemand hier ist ein offener Rassist
1939, kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, kam ihr zweiter Sohn, mein Vater, in Clermont-Ferrand auf die Welt. Nach dem Krieg kehrte meine Großmutter mit ihren beiden Söhnen nach Deutschland zurück, nach Ostdeutschland, in der Hoffnung, dass zumindest in diesem Teil Deutschlands die Nazis verschwunden seien.
In unserem Haus ist niemand ein offener Rassist. Nie hat irgendjemand gegenüber meinem verstorbenen Freund oder meinem Mitbewohner eine solche Bemerkung gemacht. Nur einmal, kurz nach der Wende, erzählte mir eine ältere Nachbarin aufgebracht, dass die Zigeunerinnen unsere Mülltonnen plündern würden, sie hätte eine mit ihrem Besen verjagt.
Ein anderes Mal hatte mein verstorbener Freund abends um halb zehn eine Spülmaschine in unsere Wohnung transportiert. Mein Freund war ein stiller, ja fast übervorsichtiger Mann, der die Fähigkeit besaß, sich unsichtbar zu machen, und manchmal hatte ich mich gefragt, was er wohl bisher erlebt habe in unserem Land. Als mein Freund die Maschine vorsichtig Stufe um Stufe nach oben stemmte, kam die jüngere Nachbarin aus dem Erdgeschoss aus ihrer Tür und schrie ihn an.
Was ihm einfallen würde, einen solchen Krach zu machen, andere Leute in diesem Haus müssten früh aufstehen, weil sie arbeiten müssten, und ich weiß nicht, was sie sonst noch alles schrie. Sie schrie nicht: „Du bist schwarz, hau ab, du bist ein arbeitsscheuer geflüchteter Schmarotzer, der in meinem Land nichts zu suchen hat!“, obwohl ich mir sicher bin, sie hat das gedacht. Ich war froh, dass sich mein Freund an diesem Abend wehrte und zurückgeschrien hat. Dass wir alle hier arbeiten würden und dass die Nachbarin sich, wenn sie so geräuschempfindlich sei, doch besser ein Einfamilienhaus kaufen und in eine andere Gegend ziehen solle. Mein Freund, da bin ich mir sicher, war derjenige, der am härtesten gearbeitet hat in unserem Haus.
Wir sind alle Brüder und Schwestern
Dass wir alle Brüder und Schwestern sind und letztlich die gleiche Mutter und den gleichen Vater haben, habe ich bei meiner Reise nach Marokko immer wieder gehört. Vor kurzem war ich in Essaouira, einer kleinen mittelalterlichen Stadt am Atlantik, in der vor mehreren hundert Jahren die Bevölkerung zu über 40 Prozent jüdisch war. Nach dem Sechs-Tage-Krieg sind die meisten von ihnen weggegangen, nach Israel oder Frankreich, nur die israelischen Touristen kommen heute in Scharen in die Stadt, auf den Spuren des jüdischen Lebens, die man noch immer überall sieht.
Die Davidsterne über den Hauseingängen; die Hand der Fatima mit dem Davidstern, die bei den Juden Hand der Miriam heißt, in den Juweliergeschäften; die alte Synagoge, der alte jüdische Friedhof, sogar die marokkanische Währung zierte vor 150 Jahren der Davidstern. Man kann die alten Münzen noch in den Geschäften finden. Und angeblich nennt man das wunderschöne Blau, mit denen die alten Holztore und Fensterläden gestrichen wurden, das jüdische Blau, weil es zuerst von den Juden benutzt worden ist.
Während meiner gesamten Reise haben mir die Leute wieder versichert, dass Juden und Araber immer friedlich zusammengelebt hätten, und auch heute hätten sie mit ihren schwarzafrikanischen Nachbarn kein Problem. Die Geschichte unserer Namen ist eine Geschichte von Kriegen. Von Vertreibung, von Flucht und Exil. Und von Liebe. In Marokko habe ich mich verliebt. Auch wenn wir noch nicht lange zusammen sind und nicht wissen, ob wir es überhaupt bleiben werden, haben wir doch darüber gesprochen, wie unser Name lauten würde, wenn wir heiraten würden, so wie es Verliebte gerne tun.
Zu meinem Namen käme ein französischer dazu und zu den Ländern, in denen unsere Familien ihre Wurzeln hätten, würden neben Deutschland und Frankreich die Elfenbeinküste und Polen zählen, außerdem das frühere Russische Reich, China, Kambodscha, die Schweiz und der Libanon. Ich habe mir vorgestellt, wie es aussehen würde, wenn ich alle Namen unserer Familien an unserem Briefkasten befestige, direkt über dem meines Mitbewohners, einfach aus Trotz. Matondo / von Wroblewsky / Keat / Lee / Doctor / Wohlgemuth / Frankenstein / Becker / Matthesius / Lezou.
Eine Anzeige würde keinen Sinn ergeben, die Polizei hat für solcherlei Dinge keine Zeit. Und selbst wenn ich herausfinden würde, wer den Namen meines Mitbewohners entfernt, würde der Betroffene ja doch nicht zugeben, dass ihn der ausländische Klang oder die Hautfarbe meines Mitbewohners stört. Aber wenigstens würde es mehr Arbeit machen, alle diese Namen zu entfernen. Und ich könnte auch noch einige hinzufügen, Phantasienamen, damit die Arbeit sich auch wirklich lohnt: Abdullah, Perez, Nguen, Kovačić, Singh.
* Die deutschen Namen wurden geändert.
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