Die Umstrukturierung der kolumbianischen Regierung soll Reformvorhaben erleichtern

Als der linksliberale kolumbianische Präsident Gustavo Petro im August 2022 sein Amt antrat und seine Regierung präsentierte, reagierten die internationalen Mainstreammedien durchaus wohlwollend. Vor allem wurde gelobt, dass Petro einer Reihe liberaler und konservativer Politiker*innen aus der alten Machtelite wichtige Positionen in seinem Kabinett anvertraut hatte. Damit schien gesichert, dass sich die versprochenen Veränderungen in engen Grenzen halten würden. Tatsächlich bemühten sich die meisten Repräsentant*innen der Elite in Petros Regierung, dessen Reformkurs zu sabotieren. Als Petro Ende April mehrere Regierungsmitglieder aus dem Mitte-Rechts-Spektrum durch ihm politisch nahestehende Politiker*innen ersetzte, war sofort von einem „Linksruck“ die Rede. So meinte etwa die einst kritische, inzwischen eher rechtsliberale „Frankfurter Rundschau“, durch die Kabinettsreform sei Petro „autoritärer und populistischer“ geworden. Dies bestätigt einmal mehr, dass das Etikett „Populismus“ vor allem ein Kampfbegriff ist und keine ernsthafte politische Kategorie darstellt. Im folgenden Beitrag von Eduardo Giordano werden die Hintergründe der Kabinettsumbildung in Kolumbien analysiert.

Am 26. April fand die zweite Kabinettsumbildung in den ersten acht Monaten der Regierung von Gustavo Petro statt. Dabei erbat der kolumbianische Präsident den protokollarischen Rücktritt seines gesamten Teams und ersetzte sieben Minister und Ministerinnen, darunter so bedeutende wie die für die Ressorts Finanzen, Inneres, Gesundheit und Landwirtschaft. Die neuen Minister*innen traten ihr Amt am 1. Mai an. Diese Erneuerung des Kabinetts, die von einigen Medien als „Krise“, „Umwälzung“ oder „Umbruch“ bezeichnet wurde, ist in Wirklichkeit eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten, nachdem der Pakt der Linksregierung mit Parteien aus dem rechten und liberalen Lager zunehmend zerbröckelt war. Der Pakt wurde mit der Absicht geschlossen, im Parlament Mehrheiten für die geplanten sozialen Reformen zu erreichen.

Gesundheit ist Grundrecht, kein Geschäft

Die inneren Widersprüche traten vor allem bei der Parlamentsdebatte über die Gesundheitsreform zutage, die ein zentraler Punkt des Regierungsprogramms und eine nachdrückliche Forderung der kolumbianischen Gesellschaft ist. Die bisherige Gesundheitsministerin Carolina Corcho, die mit intellektueller Souveränität ihren Vorschlag der Reformierung des öffentlichen Gesundheitswesens verteidigte, wurde von der Presse und den Befürworter*innen des bisherigen Systems beständig angegriffen. Trotz ihrer Bemühungen, Unstimmigkeiten auszuräumen, wurde sie nicht als Gesprächspartnerin anerkannt. Corcho legte den Grundstein für eine Reform, die für die traditionellen Parteien inakzeptabel ist, auch wenn sie sich lediglich darauf beschränkt, die Gesundheitsversorgung der kolumbianischen Bevölkerung mit den internationalen Standards in Einklang zu bringen. Mediziner*innen und Patient*innen fordern ein, dass die Gesundheit nicht länger ein Geschäft sein darf, sondern zu einem Grundrecht der Bürger*innen wird. So haben beispielsweise im Mai 2022 (während des Wahlkampfs) mehrere medizinische Berufsverbände ein Nationales Gesundheitsforum einberufen, dessen Hauptforderung war, die Hindernisse für den Zugang der Bevölkerung zur Gesundheit zu beseitigen. Bisher sei dem „Ansatz des Marktes“ und nicht dem „sozialen Ansatz, den die Gesundheit erfordert“, Priorität eingeräumt worden.

Das kolumbianische Gesundheitssystem ist im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern mit öffentlichen oder gemischt öffentlich-privaten Systemen schlecht. In Kolumbien machen zwischengeschaltete Unternehmen, die Gesundheitsdienste anbieten, die „Entidades Promotoras de Salud“ (EPS), riesige Gewinne und bieten einen miserablen Service. Diese EPS (eine Art privater Krankenkassen – d. Red.) sind für die Aufnahme und Registrierung der Mitglieder und den Einzug ihrer Beiträge zuständig. Während der Vorgängerregierung, geleitet von Präsident Iván Duque, erklärten sich viele EPS für zahlungsunfähig und stellten ihre Dienste ein, nachdem sie die Beiträge ihrer Mitglieder einbehalten hatten. In seiner Rede vom 1. Mai sagte Petro: „Wenn der Kongress die Reform nicht endgültig verabschiedet, werden die EPS wie Dominosteine nach und nach umfallen und den Markt für immer verlassen. Ursprünglich gab es 110, davon verbleiben nur noch sechs. Die Mehrheit davon erhalten wir künstlich am Leben. Wenn es kein Gesetz gibt, werden auch diese EPS Pleite gehen.” Was bedeutet, dass sieben Millionen Mitglieder ohne Gesundheitsservice bleiben würden.

Der Entwurf für eine Gesundheitsreform der Regierung greift in den Kern des aktuellen staatlichen Gesundheitssystems ein, da die Vermittlung privater Kassen zwischen Patient*innen und Kliniken abgeschafft und so das öffentliche System gestärkt werden soll. Der jüngst ernannte Gesundheitsminister Guillermo Jaramillo ist Kardiologe und hat umfassende politische Erfahrung. Er war zweimal Gouverneur des DepARTEments Tolima und in der Amtszeit von Gustavo Petro als Bürgermeister von Bogotá für das Gesundheitsressort zuständig. Seine wichtigste Mission wird darin bestehen, die Arbeit seiner Amtsvorgängerin zu Ende zu führen und die nötige Unterstützung für die Verabschiedung des Reformgesetzes zu gewinnen, ohne dass mit den vorgeschlagenen Änderungen der zentrale Geist der Reform verloren geht.

Agrar- und Bodenpolitik

Die Ablösung der Landwirtschaftsministerin Cecilia López von der Liberalen Partei durch die Anwältin und Menschenrechtlerin Jhenifer Mojica betrifft ein weiteres zentrales Thema der Regierung Petro, die integrale Reform des ländlichen Raums. Die neue Ministerin hat ein geeigneteres Profil, um bei diesem heiklen Thema voranzukommen: Sie war Leiterin der Abteilung für ethnische Angelegenheiten des Amts für Landrückgabe (Unidad de Restitución de Tierras) und war an der Ausarbeitung des Opfergesetzes von 2011 beteiligt, das zur Schaffung dieser Einrichtung führte.

Das Landwirtschaftsressort ist ein Schlüsselministerium für die Umsetzung der Agrar- und Bodenpolitik, die sich die Regierung vorgenommen hat und die eine Einlösung der Vereinbarungen des 2016 in Havanna unterschriebenen Friedensvertrags zwischen Regierung und FARC-Guerilla bedeutet. Für dieses Agrarreformprojekt hat die Regierung Petro vorgeschlagen, drei Millionen Hektar Land vom Viehzüchterverband FEDEGAN zu kaufen, um sie an landlose Bauernfamilien, Vertriebene und ehemalige FARC-Kämpfer*innen zu übergeben. Ein Teil der Ressourcen dafür soll mittels der vom Kongress bereits gebilligten Steuerreform erbracht werden. Jedoch hat die von der Rechten vorangetriebene Haushaltskürzung das Volumen der Steuereinnahmen auf weniger als die Hälfte des ursprünglichen Regierungsvorschlags reduziert.

Mittlerweile sprechen sich die traditionellen Parteien mit wenigen Ausnahmen gegen den massiven Aufkauf von Land durch den Staat aus. Auf diese Weise verschließen sie sich den Versöhnungsversuchen der Regierung, radikalisieren ihre oppositionelle Haltung und zwingen die Regierung quasi dazu, für die Agrarreform aggressivere Mechanismen anzuwenden, wie etwa eine höhere Besteuerung von unproduktivem Land oder die direkte Enteignung. In einer feurigen Rede am 25. April in Zarzal im DepARTEment Valle del Cauca verkündete Präsident Petro: „Der Kongress der Republik hat heute in seinen Wirtschaftsausschüssen den Artikel gestrichen, der es erlaubt hätte, Land ohne Enteignung aufzukaufen, um es der kolumbianischen Bauernschaft zu überlassen. Jetzt bleibt nur noch ein Artikel des Gesetzes in Kraft, der besagt, dass das Land enteignet werden muss. Der Kongress selbst streicht also den Artikel, der eine sanfte und friedliche Verhandlung möglich macht, und verpflichtet dazu – soll der Friedensvertrag eingelöst werden – , diejenigen zu enteignen, die das Land besitzen. Ich verstehe nicht, ob der kolumbianische Kongress den Krieg will.“

In seiner Rede am 1. Mai auf der Plaza Bolívar in Bogotá bezeichnete Petro die Agrarreform als das vorrangigste Reformprojekt. Dabei erinnerte er daran, dass das Land „denen gehört, die es bebauen”, und beteuerte: „Bisher konnten wir nur 17000 Hektar Land kaufen, aber es sind mindestens drei Millionen Hektar nötig.” Angesichts des Widerstands gegen die Regierungspläne im Parlament ist von der Exekutive mehr Entschlossenheit gefordert, um ihr Vorhaben durchzusetzen. Die ehemalige Landwirtschaftsministerin Cecilia López hatte sich der Möglichkeit, Enteignungen von unproduktivem Land zum Marktwert gegen den Willen der Eigentümer*innen durchzuführen, widersetzt. Jedoch war diese Option ursprünglich sogar im Nationalen Entwicklungsplan vorgesehen. Ein Teil des Landes, das die Petro-Regierung bisher an Bauern übergeben hat, stammt von der staatlichen „Gesellschaft für Sondervermögen“ (Sociedad de Activos Especiales, SAE), die zum Finanzministerium gehört und die Aufgabe hat, beschlagnahmtes Vermögen aus illegalen Aktivitäten wie dem Drogenhandel für soziale Zwecke umzuverteilen.

Die Ablösung von Guillermo Reyes durch William Camargo als Verkehrsminister ist eine direkte Konsequenz der Vorwürfe, dass Reyes von einem Unternehmer, der Verträge mit der Straßenbehörde Invías abgeschlossen hat, Zuwendungen erhalten haben soll. Die Zeitung El Espectador berichtete in einem Leitartikel über die Interessenskonflikte zwischen Minister Reyes und einem Begünstigten von Aufträgen in Millionenhöhe, die von der staatlichen Einrichtung vergeben wurden. Die Ablösung von Reyes bekräftigt die Absicht des Präsidenten, jeden Anflug von Korruption unter den Mitgliedern seiner Regierung auszumerzen.

Wechsel im Finanzministerium

Im Finanzministerium wurde José Antonio Ocampo durch Ricardo Bonilla ersetzt, der während der Amtszeit von Petro als Bürgermeister von Bogotá das Finanzressort innehatte. Im Wahlkampf 2022 hatte er Petro als Berater für Wirtschaftsfragen unterstützt. Ocampo war in der ersten Phase der Regierung aufgrund seines akademischen Profils und des Vertrauens, das er mit seiner moderaten Haltung auf die Märkte ausstrahlte, von entscheidender Bedeutung. Seine Orthodoxie behinderte jedoch einige Projekte der Exekutive, weil er die Stabilität der makroökonomischen Variablen nicht gefährden wollte. Die US-Finanzmedien beklagten den Abgang von Ocampo, den sie als dem US-Finanzministerium nahestehend betrachten, mit Schlagzeilen wie dieser von Bloomberg: „Colombia’s foreign market-friendly (sic) finance chief leaves Petro’s cabinet.“ Auch wenn die Ernennung Bonillas der Regierung mehr Spielraum für eine linke Politik verschafft, bedeutet dies keineswegs, dass die Strenge bei der Aufrechterhaltung der wesentlichen makroökonomischen Variablen, die dem Land Stabilität verleihen, aufgegeben wird.

Die Mehrheit der neuen Minister und Ministerinnen teilen die Reform- und Friedensvorstellungen von Präsident Petro, einige sind sogar alte Weggefährt*innen aus Guerillazeiten, wie Carlos Ramón González, ehemaliger Ko-Vorsitzender der Partei Alianza Verde (Grünes Bündnis), der jetzt die Verwaltungsabteilung des Präsidialamtes der Republik (DAPRE) leitet, eine strategische Behörde, von der aus die Leitlinien für alle Regierungsstellen, einschließlich der Ministerien, formuliert werden. Ebenfalls entlassen wurden der Wissenschaftsminister Arturo Luna, der durch Yesenia Olaya ersetzt wurde, sowie die Ministerin für Informationstechnologien und Kommunikation Sandra Urrutia, deren Platz nun Mauricio Lizcano, der frühere Direktor der DAPRE, einnimmt.

Das neue kolumbianische Regierungsteam scheint nach den zwei Umbildungen in diesem Jahr kohärenter geworden zu sein. Es ist befreit von den politischen Zwängen, die der Pakt mit anderen Parteien im Parlament bedeutet und seinem Wirken eine ausdrückliche Heterogenität verliehen hat.

Der argentinische Journalist Eduardo Giordano ist unter anderem Autor des Buchs „iolencia política en Colombia tras el acuerdo de paz” (Icaria, 2022). Sein von der ila-Redaktion gekürzter und übersetzter Beitrag erschien bei der ecuadorianischen Agentur ALAI am 11.05.2023. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 466 Juni 2023, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

Über Eduardo Giordano / ILA:

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