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Zinsen

Neoliberale Totengräber der Demokratie?

Europa steht aufgrund des Klimawandels und des Ukrainekrieges, sowie der damit verbundenen Energie- und Wirtschaftskrise, am Rande des ökonomischen Abgrunds. Die Bauindustrie geht am Krückstock, das Ziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, liegt in einem anderen Universum, das Lichtjahre entfernt  scheint. Das betrifft den Mittelstand, das Handwerk und tausende junge Familien und ökonomisch vor der Krise scheinbar Bessergestellte. Darunter sind viele Menschen, die ihre Hoffnung auf das Ampelbündnis gesetzt haben. Und natürlich die Hunderttausenden, die eine Wohnung brauchen und nicht finden. Heute wird Frau Lagarde wieder den Zins der EZB verkünden und die Kriegsgewinnler freuen sich schon.

Die Bauwilligen und Wohnungssuchenden sind die Wählerklientel der Grünen, der FDP, der SPD, sowie die Schichten, die für die Grünen erreichbar sind, auch wenn sie aus konservativen Milieus kommen. Eine kluge sozialliberale Regierung würde in dieser Situation zwei entscheidende Dinge tun: zum Einen dafür sorgen, dass die unsägliche und ökonomisch schädliche Zinspolitik der EZB beendet wird. Sie ist der ausschlaggebende Grund, dass die gesamte Bauwirtschaft, aber auch öffentliche Investitionen und Teile des Mittelstandes vor Investitionen zurückschrecken.

Das Zinsniveau verhindert, dass die Energiewende von privaten Investoren so genutzt wird, dass sie effizient voran kommt. Privatleuten wird es schwer gemacht, Elektroautos zu kaufen, oder zuhause in die Ladeinfrastruktur zu investieren.  Die Zinserhöhungen der EZB haben sich als Flop erwiesen. Die “Inflation” ist keine konjunkturgetriebene Überhitzung der Ökonomie, gegen die Zinserhöhungen wirken, sondern eine klassische Wegelagerei im Stil der Spekulanten und Kriegsgewinnler des Ersten Weltkriegs.

Die EZB müsste einlenken und Lindner aufhören, zu irrlichtern

Nicht nur die EZB würgt derzeit die Wirtschaft der EU und insbesondere die Bauindustrie ab, es ist aberwitzig, dass Christian Lindner meint, unter den Bedingungen eines Krieges in Europa, an dem die Bundesrepublik ökonomischer Teilnehmer in Form von Waffenlieferungen in Milliardenhöhe, Flüchtlingsaufnahme in Millionenzahl und hunderter Millionen für humanitäte Hilfe ist, mit der Einhaltung der “Schuldenbremse” politisch überleben zu können. Die schon in diesem Bundeshaushalt erkennbare Austeritätspolitik ist geeignet, ein angemessenes Krisenmanagement der Bundesregierung schon im Ansatz zu diskreditieren.

Will die Ampelkoalition überleben, muss sie in wesentlichen sozialen Bereichen – Wohnungsbau, Bildung und Ausbildung, Einwanderung und Minderung des Fachkräftemangels, Verbesserung von Kinderbetreuung und Pflege – deutliche Fortschritte schaffen, und zwar vor der Bundestagswahl 2025. Das sind zum Teil investive, zum Teil aber konsumptive Ausgaben.  Das geht nicht konform mit neoliberaler Haushaltspolitik eines ideologisch fixierten und deshalb nicht nachhaltig regierungsfähigen Christian Lindner.

Er könnte sich als Totengräber der Ampelkoalition aus mangelnder Perspektive über 2025 hinaus erweisen. Lindner sieht nur sein machtvolles Ressort, die heile Welt der Bundesrepublik Deutschland, vielleicht noch die Nachwirkungen von Corona. Aber der Krieg in Europa, die weltweite Depression durch die Energiekrise, ausgelöst durch  diesen Krieg und die Umstellung der Wirtschaft auf nachhaltige Erneuerbare, kommen darin nicht oder nur rudimentär vor.

Die Bundesrepublik steht vor der größten Verfassungs- und Legitimationskrise der Geschichte 

Christian Lindner hat den Schuss nicht gehört. Im kommenden Jahr wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Die liberalen Freiheitsrechte stehen mehr als jemals in diesen 75 Jahren unter Beschuss von Rechtsextremisten. Sie leben von der Erzählung, dass die Zumutungen, die die Ampel aus Gründen des Klimawandels und 16 Jahren bleiernen Stillstands die Menschen mit Zumutungen überziehen, die unnötig sind, weil ja der Klimawandel gar nicht stattfinde.

Schlimmer noch die CDU/CSU, die die Grünen zu ihren Hauptgegnern erklärt hat und nicht nur die Versäumnisse der letzten 16 Jahre an der Regierung verharmlost, sondern weit hinter Merkel zurückfällt, die ja zumindest das Pariser Abkommen und die Rettung der 1,5 Grad-Grenze für Erwärmung geteilt hat. Merz fällt dahinter zurück und vertritt eine unverantwortliche Politik des “Wachstum First” und will die Energiewende ebenso wie die Verkehrswende aufhalten.  Sie senden damit das Signal, dass die Rechte eigentlich recht hat. Das ist fatal. Dass die CDU/CSU darüber hinaus den Konsens, den es noch unter Merkel und Laschet gegeben hat, dass Klimapolitik die Aufgabe Nummer eins ist, aufgekündigt hat, treibt das Land immer tiefer in diese Krise.

Neoliberalismus wird das Klima nicht retten und den Krieg nicht beenden

Zurück zu Frau Lagarde: Wenn sie heute die Zinsen erhöht, werden die Aktienkurse fallen, die Bauunternehmen Insolvenz anmelden, Investoren sich aus Europa zurückziehen und die Kriegsgewinnler trotzdem nicht aufhören, Profite zu machen.  Die sozialen Gegensätze in Deutschland und der EU müssen von Regierungen bekämpft werden. Wer das nicht schafft, läuft Gefahr, extrem Rechts in die Hände zu spielen. Die aktuelle Krise ist mit den Methoden der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht zu überwinden. Robert Habeck müsste dazu etwas sagen. Er traut sich wohl nicht. Das ist ein großer Fehler.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. doc sumbolle

    “Die aktuelle Krise ist mit den Methoden der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht zu überwinden. Robert Habeck müsste dazu etwas sagen.” Und Frau Baerbock sollte vielleicht manchmal die Klappe halten. 😉

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