Die sich einmauernde EU – Deutschland sowieso, die lachen über “uns”…

mit Update nachmittags

Wer sich voller Angst vor der gefährlichen Welt da draussen abwendet, darf nicht erwarten, von dieser Welt noch ernstgenommen zu werden. In dieses Stadium ist die – von Deutschland dominierte – Europäische Union mittlerweile eingetreten. Vielleicht wird noch Mitleid für sie empfunden, von der Minderheit mitfühlender Charaktere – spätestens nach der EU-Parlamentswahl am 9.6. nächsten Jahres.

Ich bin kein Freund apokalyptischer Weltsicht, noch nie gewesen. Die politische Handwerkskunst, die ich als Jugendlicher ab 1973 bei den Jungdemokraten gelernt habe – “Zielsetzung – Analyse – Strategie – Aktionen/Massnahmen” – hat mich vor sehr viel Vergeblichkeit geschützt. Eine politische Organisation, die sich wohltuend von Kirchen und anderen “politischen Heimaten” unterschied, weil sie ihre Mitglieder Individuum sein liess. In diesem besten Sinne liberal, aber gleichzeitig interessiert an Anderstickenden (Marxist*inn*en z.B.), ohne unkritisch alles zu fressen, was die – meist Grösseren und mit weit mehr Geld Ausgestatteten – einem auftischten.

Aus dem politischen Alltag seit einigen sehr schönen Jahren ausgestiegen, finden Sie hier in diesem Blog meine Nutzanwendung. Wie kam ich drauf? Apokalypse. Ich war in Naturwissenschaften immer schlecht. Ein paar Grundrechenarten – Schwerkraft, Einfalls- und Ausfallswinkel, dominant und rezessiv – sind mir erhalten geblieben. Ob die menschliche Welt nun wg. des Klimawandels untergeht, und wenn ja, wie schnell – ich weisses doch auch nicht. Tatsache ist: im real existierenden Kapitalismus wird alles beschleunigt, auch die drohende Klimakatastrophe. Wäre ich nicht 66 sondern 20, sässe ich hier nicht im herbstlichen Beueler Sonnenschein so ruhig am Computer.

Strategie

Den Jüngeren rate ich im Laufe ihrer zweifellos notwendigen Radikalisierung nach ihrem “Mir-nach”-Ausruf immer nachzuschauen, wie viele mitkommen. Alleine hats keinen Zweck. Die Alt-“68er”, noch älter als ich, hattens auch zu spät gemerkt: die Medien fanden ihre Action geil, die Mehrheit ihrer Altersgenossen*inn*en eher nicht. Und mit Waffengewalt war weder Polizei noch Staat noch Kapital zu schlagen. Die freuten sich über dieses Mittel zur Erregung.

Ich gebe zu: mit meinem Reformismus bin ich auch überall an Grenzen gestossen, in der FDP (bis ’82) sowieso, bei den Grünen auch, und in jeder anderen Partei wäre es auch nicht besser gelaufen. Vielleicht werden Parteien irgendwann durch was Anderes ersetzt. Der ökonomisch herrschende Neoliberalismus sabotiert jede Entwicklung von Organisation und Solidarität. Da ist es schwierig, den strategisch richtigen Weg zu finden. Ich weiss ihn auch nicht. Ich habe jetzt nur einen gefunden, der mir persönlich am meisten guttut, und bin so selbst ein braves Produkt dieses Neoliberalismus – und des sozialdemokratischen Sozialstaates! Davon, dass ich mich krankmache, hat auch keine*r was.

Analyse

So viel Vorrede, nur wg. der wenigen guten Texte, die ich heute gefunden habe, die aber direkten Bezug zu den in der Überschrift angekündigten Tatsachen haben.

Die Berliner Zeitung war mir vor einigen Jahren von Ludger Volmer und der zu früh verstorbenen Antje Vollmer empfohlen worden. Mehr als bei der immer braver gewordenen taz, seien dort abweichende Meinungen und Analysen willkommen. Verantwortlich dafür zeichnet Herausgeber Michael Maier. Meine Lektüre der letzten Jahre ergab den Eindruck: ja, was Volmer und Vollmer meinten, das stimmt. Aber es sind Nadeln in einem Heuhaufen von Trash. Mann ist ja schon froh, wenn mann solche Nadeln überhaupt noch identifizieren kann.

Also bitteschön. Michael Maier/Berliner Zeitung: Krieg in Israel: Die Auflösung der Welt, wie wir sie kennen – Der Krieg in Israel kommt zu einer Zeit, in der sich die Welt neu ordnet. Viele Mächte mischen mit, vor allem die USA und China. Wer wird am Ende gewinnen?” Diese Analyse ist cool und wirklichkeitsnah. Der Wirklichkeit muss ins Angesicht geblickt werden, sonst ist alles was mann*frau tut, falsch und vergeblich. Streit darüber ist nicht nur zulässig, sondern notwendig. Das aber nicht in elitären Hauptstadtzirkeln, sondern öffentlich, gesellschaftlich. Wenn Sie wissen, wo das passiert, sagen Sie mir bitte Bescheid.

Einer, der das mehr tut, als seinerzeit im Bundestag (wobei er dort zu den Besten gehörte), ist Fabio de Masi/Berliner Zeitung: Verschwörungsökonomie, oder warum es Deutschland schlecht geht – Unter dem Vorwand, die Inflation zu bekämpfen, nimmt die Bundesregierung eine schwere Wirtschaftskrise in Kauf. Dahinter stecken knallharte Interessen.” Anknüpfend an die albernen Klischees, in denen seine Ex-Partei streitet, stelle ich nach dieser Lektüre fest: aha, die vielbelästerten “Woken” stecken also schon mitten im Klassenkampf. Sie habens nur noch nicht bemerkt. Und die Partei, die es ihnen hätte sagen können, meldet sich gerade überall ab. Was wahrscheinlich niemanden mehr bekümmert, als eben de Masi. Und was mich ebenso bekümmert, ist de Masis Nachweis, warum die Ampelkoalition gescheitert ist.

Fazit. Wenn die einstigen Kolonialherren der Welt sich so vermauern und vernageln, hat das für die Mehrheit der einst beherrschten Welt auch Vorteile. Es entstehen politische Räume, in denen sie Alternativen zu ihrer jahrhundertelangen Versklavung entwickeln können.

Wenn da nicht dieser doofe Klimawandel wäre …

Update nachmittags

Lesen Sie ergänzend auch Klaus-Dieter Kolendas/telepolis Übersetzung von Jeffrey D. Sachs: Nato und Russland: ‘Der Ukraine-Krieg ist ein Krieg zur Nato-Erweiterung’ – Jens Stoltenberg gestand unlängst einen beachtlichen Grund für den Krieg ein. US-Wissenschaftler waren für dieselbe These verunglimpft worden. Was uns die Debatte lehrt”.

Die Aussenministerin – und damit mutmasslich die ganze Bundesregierung – hat sich entschieden auf dieses Pferd zu setzen. Ob das die richtige Wahl ist, darf diskutiert werden. Oder nicht?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net