Die Frage nach rechts und links

Was heute links sei, wird gefragt und beantwortet. Der vor Jahren verstorbene Bundesforschungs- und Bundesfinanzminister Hans Matthöfer sagte auf die Frage, was er unter links verstehe: Achtung und Einhalten der Menschenrechte, Eintreten für soziale Gerechtigkeit und die Schaffung von Chancen-Gleichheit. So habe ich das noch im Ohr. Matthöfer war Bildungsfachmann der IG Metall, er arbeitete für internationale Einrichtungen, wurde in den siebziger Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, weil er als Minister die Putsch-Militärs in Chile im Bundestag eine Mörderbande nannte und deswegen gerügt wurde. Das war die Zeit, zu der der damalige CDU-Generalsekretär von einer Reise nach Chile zurückkam, um den Bonner Journalisten zu erzählen, im Stadion von Santiago, wo Tausende zusammengetrieben worden waren, von denen manche gefoltert wurden, in diesem Stadion sei es bei Sonnenschein ganz angenehm.

Die Frage danach, was links sei und was nicht, die ist nicht so einfach zu beantworten. Manche gegen die Hartz-Gesetze Demonstrierende demonstrierten, weil die Arbeitslosenhilfe abgeschafft wurde. Das war eine steuerfinanzierte, zeitlich nicht begrenzte Transfer- und Lohnersatzleistung, die jene erhielten, die arbeitslos wurden, aber wegen fehlender Anwartschaftszeiten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Für die Bezieher und Bezieherinnen der Arbeitslosenhilfe wurden damals steuerfinanziert Rentenversicherungsbeiträge gezahlt. Damals lag der Eingangssteuersatz nicht bei 15 v.H. sondern bei gut 20 v.H. und das steuerfreie Existenzminimum lag um die 6000 D-Mark per annum, meiner Erinnerung nach.

Das führte zu Rentenanwartschaften unter den Arbeitslosenhilfe- Beziehenden, die teils höher waren als die derjenigen, die mit ihrer Steuer die Hilfe mitfinanzierten. Das war ein „Sozialismus in einer Klasse“, den ich absolut nicht unter links zu buchen bereit war.

Auch heute gibt es noch solche, wie soll ich schreiben, Fehlentwicklungen, Verworfenheiten, abstruse Konstellationen. Behinderte mit Anspruch auf Pflegeleistungen nach den fünf Größen erhalten diese Leistungen aber nicht, sondern sie bekommen eine niedrige Pauschale. Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihr Leben lang schwer und belastend Beitragspunkte gesammelt haben, sterben im Schnitt fünf bis sechs Jahre früher als die etwas weniger belasteten weiße-Kragen-Beschäftigten. Ich könnte weitere solche Zustände nennen. Unter rechts oder links oder unter dem Stichwort der fehlenden Solidarität laufen die alle nicht; wenn jemand sich überhaupt dafür interessiert.

Eine der weiteren Merkwürdigkeiten besteht darin, links an Eigenschaften zu binden, an die Treue oder Verlässlichkeit und anderes mehr. Das ist ja ganz in Ordnung, aber „echt links“ und dazu noch durch die Sozialgeschichte gut unterfüttert ist etwas anderes, nämlich der Rechtsanspruch auf Mitsprache und Mitbestimmung; der Rechtsanspruch auf materielle Teilhabe durch Anschluss der Renten an die Einkommensentwicklung; der Rechtsanspruch auf Förderung der beruflichen Fähigkeiten und anderes mehr.

Vergessen wir das, kanns wieder finster werden.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.