Ohne die Wirkungen öffentlicher Haushalte wird gestorben
Was wird da zu Berlin, Karlsruhe und anderswo dem verwirrten deutschen Volke vorgespielt? Komödie, Tragödie, Schnulze, Thriller, der Prinz von Dänemark, der Prinz von Homburg, der „Prinz aus dem Sauerland“, der gegen gegen einen grünen „Deichgrafen“ kämpft? Wissen Sie´s?
Der Haushaltssprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Christian Haase, hat am Dienstagabend im Zweiten Deutschen Fernsehen treuherzig versichert, das von seiner Fraktion bewirkte jüngste Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts sei „kein Shutdown“. Ähem. Schluck. Der „Shutdown“ ist in der US-amerikanischen Haushaltspolitik der abrupte Stopp aller Bundesausgaben, Lohn- und Gehaltszahlungen, Sozialausgaben, Subventionen und Investitionen. Das ist real „Ende Gelände“. Erstaunlich, was da im Kopf eines Unions-Haushälters vorgeht. Ein Sprichwort lautet: Sprich nicht im Haus des Gehängten vom Strick. Hat der Abgeordnete mit dem variabel interpretierbaren Nachnamen vergessen, dass man diesen Satz in Kommunikations-Angelegenheiten meidet wie der Teufel das Weihwasser? Assoziationen können schrecklich sein. Es scheint, als gäre und brodle da etwas in Köpfen der CDU-CSU-Bundestagsfraktion.
Warum hat Haase sich nicht an das von Zeitungen übermittelte Verbot des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz gehalten, keine dummen Sachen zu erzählen, wenn´s um das Urteil des Verfassungsgerichts geht? Nicht in ein triumphierendes Geheul auszubrechen, wie das der CSU-Abgeordnete Dobrindt am vergangenen Sonntag in der Anne-Will-Sendung tat. Ausgerechnet Dobrindt. Der gehört zu den drei Bundesverkehrsministern aus der CSU, die buchstäblich nichts zu Wege gebracht haben. Nun feiert Dobrindt eine Gerichtsentscheidung, die dazu führen könnte, dass der Bahn mit ihren veralteten Anlagen nicht genügend Mittel aus dem Bund zugeführt werden können, damit sie kundenfreundlicher, pünktlicher, moderner, wettbewerbsfähiger werden könnte.
Was ist da eigentlich geschehen? Was bedeutet die erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sonder- und Extrahaushalten im Allgemeinen und zum Nebenhaushalt wegen der Corona-Lasten im Besonderen?
Öffentliche Haushalte legen fest, wie viel Geld für vom Parlament beschlossene Zwecke ausgegeben werden darf. Haushalte gehen als Sachentscheidungen von Parlamenten voraus. Diese Entscheidungen folgen Festlegungen und Zielen, die von den Abgeordneten stammen, Festlegungen die unablässig unser Leben beeinflussen. Von der Wiege bis zur Bahre sozusagen. Die um Steuerzuschüsse angereicherte Höhe der real ausgezahlten Renten; dann die Milliarden zur Existenzsicherung, Zuschüsse und Erleichterungen unternehmerischen Tuns, schaffen und verbessern der Infrastruktur, der Regionalstruktur, der Sozialstruktur, Hilfen für ärmere Länder, Mittel, die in die EU fließen und so weiter und so weiter. Die Wirkungen öffentlicher Haushalte sind wie ein- und ausatmen. Ohne diese Wirkungen wird gestorben. Für eher links angesiedelte Geister steckt in den Haushalten ein Großteil der Auseinandersetzung um die Verteilung der Wertschöpfung insgesamt. Was da „gespielt wird“, das ist für uns alle zentral.
2009 haben Bundestag und Bundesrat freilich beschlossen, eine Verschuldensbremse zu etablieren und ins Grundgesetz zu bringen. Man wollte damit deutlich machen, dass die Haushaltspolitiken der lebenden Generationen die Lasten für künftige Generationen nicht weiter und weiter auftürmen dürfen. Jährlich darf danach die Neuverschuldung in den Körperschaften von Bund und Ländern 0,35 v.H. des laufenden Bruttoinlandsprodukts nicht mehr übersteigen – es sei denn der Staat mit seinen ausführenden Organen gerate in eine nicht vorhersehbare, den Bestand gefährdende Krise.
Diese Verschuldensbremse war von Anfang an umstritten. Den einen war sie eine dringend erforderliche Selbstdisziplinierung des Parlaments. Anderen war diese Bremse der Rückgriff auf eine veraltete Haushaltspolitik, die letztlich nicht mehr in eine Zeit der Globalisierung mit ihren immanenten, übergreifenden, Parlamentsperioden und Haushaltsjahre „missachtenden“ Krisen passt. Gemessen am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik von an die vier Billionen Euro ist eine um 40, 50 oder 60 Milliarden höhere Neuverschuldung sowieso keine alarmierende Größe.
Der Zweck rechtfertigte das Mittel
Als Bundeskanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ konstatierte und im Rahmen dieser Wende den Deutschen Bundestag aufforderte, ein neben den Verschuldungsregularien des Bundeshaushalts angesiedeltes 100-Milliarden Euro- Sondervermögen zu beschließen, hat Oppositionsführer Friedrich Merz nicht nur nicht zustimmend genickt, sondern Beifall gespendet. Da spielte die im Grundgesetz festgelegte Verschuldungs-Obergrenze keine Rolle. Der Zweck rechtfertigte das Mittel. Deswegen wurde damals die Verfassung geändert, geändert um die 100 Milliarden sattelfest zu machen. Für diesen Fall zählten die 0,35 v.H. nicht mit.
Es gibt also neben dem Bundeshaushalt mit seinen Kennziffern über Zuwachs, Verwendung und Verteilung, Neuverschuldung und Zinslast sogenannte „Schattenhaushalte“. Das sind Kreditaufnahmen, Ankündigungen von Kreditbeschaffungen, von Parlamenten bekräftigte Zusicherungen von Zuwendungen, Hilfen und Entlastungen des Bundes oder auch der Länder zwecks länger laufender Verwendung, zum Beispiel zur Verbesserung der Infrastruktur, Klimaschutz, Bahn AG- Sanierung, Bundeswehr wie beschrieben.
Jetzt hat die Merzsche Opposition einen solcher Schattenhaushalt praktisch in die Luft gejagt. Und zwar den Sondertopf Krisenausgaben wegen der Corona-Pandemie. Der war so weit aufgefüllt, dass nach Ende der Pandemie viele Milliarden nicht mehr abgerufen wurden. Merz & Co haben das Bundesverfassungsgericht veranlasst, eben dieser Art der Verschuldung einen Riegel vorzuschieben. Die Jährlichkeit der Kredit- und Schuldenzurechnung sei unbedingt einzuhalten; ein Umwidmen der Verwendung von aufgelaufenen Steuermitteln aus sogenannten Sondertöpfen auf künftige Jahre und andere, wenngleich unabweisbare Zwecke sei verboten. Tatsächlich wollte die Ampel-Regierung Verpflichtungen aus diesem Corona-Fonds für andere Ziele einsetzen.
Man jubelt nicht mehr, aber Merz und seine Leute sind ganz stolz auf das, was sie im Sonderfonds aus den Corona-Jahren angerichtet haben. Daraus sollten 60 Milliarden Euro auf den Klima- und Transformationsfonds übertragen werden. Merzens Oberhaushälter Mathias Middelberg MdB verstieg sich denn auch zu der Aussage, die Ampelkoalition habe „von Anfang an nicht ehrlich haushalten“ wollen. Da bleibt die Frage, warum CDU und CSU zusammen mit der Ampel die Verfassung änderten, um die erwähnten 100 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen. Mit – wie Middelberg heute meint – Schwindlern und Unehrlichen zusammen macht man das doch nicht.
Middelberg erzählte der Republik in diesem Zusammenhang Geschichten, die einen schwindlig werden lassen. Im Haushalt des Bundes stünden jährlich 30 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, wenn es dem Bundesarbeitsminister gelinge, eine Million Menschen aus dem Bürgergeld in Beschäftigung zu bringen. Das ist ebenso Unfug, wie wenn jemand die Bundesforschungsministerin auffordern würde, die Temperatur der Sonne zu senken, damit es weniger Sonnenbrände gebe. Der Bundesarbeitsminister generiert in seinem Ministerium eben keine Arbeitsplätze; die entstehen in Unternehmen. Die FAZ, die Middelberg interviewte, verzichtete an dieser Stelle auf eine Nachfrage, erinnerte den Oppositionspolitiker aber freundlich daran, dass in der Frage der klimafreundlichen Wirtschaft 16 Jahre lang unter Unionsführung nicht genug getan worden sei.
Kaum hat die Unions-Opposition den einen Nebenhaushalt in die Luft gejagt, will sie untersuchen lassen, ob sie den Extrafonds für Klima und Transformation auch sprengen könne. Am Dienstag haben Sachverständige während einer Anhörung des Bundestages zum Thema Sonderhaushalte erklärt, sowohl der Corona-Topf mit der vorgesehenen Verwendung nicht genutzter Mittel als auch der Sondertopf zum Umbau der Wirtschaft wie weitere Nebenhaushalte in einer Reihe von Ländern seien aus der Sicht des jüngsten Urteils von Karlsruhe neben dem Grundgesetz. Ob Merz und seine Leute sich im Klaren waren, was sie für die Zukunft anrichteten, ist offen.
Wenn verzwergte Führungen Taktisches im Sinn haben
Es gibt vorsichtige Leute in der CDU/CSU-Fraktion, die dem Karlsruher Gericht eine sehr enge Auslegung von Regeln bescheinigen, die das Haushaltsrecht ausmachen. Karlsruhe habe die außergewöhnlichen Umstände der Jahre 2023 und 2024 nicht hinreichend bedacht. Offen wird das nicht diskutiert, weil sich niemand mit der Fraktionsspitze anlegen will.
Was also steckt als Absicht hinter dem „in die Luft jagen“? Es war wie immer in der Politik, wenn verzwergte Führungen Taktisches im Sinn haben, aber Strategisches bewirken. Man wollte verhindern, dass die verwünschte Koalition 2025 – im Jahr der nächsten Bundestagswahl – in der Lage sein würde, ein versprochenes und befriedigendes Klimageld auszahlen zu lassen; also den versprochenen, milliardenschwere Ausgleich für wachsende C02-Lasten. Dieses Klimageld ist zwar bis heute nicht im Finanzplan des des erwähnten weiteren Sondertopfes, des Wirtschafts- Transformationsfonds aufgeführt. Aber aus den darin gesammelten Ermächtigungen sollte dieser Ausgleich irgendwie finanziert werden.
Was jetzt kommt ist bitter: Es ist nun völlig offen, wie die Transformation tausender Unternehmen in die CO2-arme Zukunft bewältigt werden soll: in möglichst kurzer Zeit, angetrieben auch durch den Staat, sozial halbwegs abgefedert. Also wird für den „Prinzen Friedrich aus dem Sauerland“ gelten, was für Hamlet, den Prinzen aus Dänemark galt: The rest is silence.
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