Wenn Patrioten Wahlkampf machen, bleibt die Wahrheit auf der Strecke – Die Geburt der britischen Geheimdienste, Mc Carthy und seine Folgen für die US-Politik

Es gibt sogenannte Vaterlandsverräter, aber auch gute Patrioten. Ein guter Patriot ist jemand, der das Vaterland innigst liebt und es daher, komme was wolle, gegen alle Feinde beschützen will. Darauf gründet sich auch dessen Recht, wenn nicht sogar die selbstauferlegte vaterländische Pflicht, vor allen möglichen äußeren Feinden zu warnen, notfalls zunächst als einsamer Rufer in der Wüste. Der beste Patriot ist daher zutiefst paranoid, was er auch sein muss. Schließlich kommen die gefährlichsten Feinde nicht aufmarschiert wie ein preußisches Garderegiment. Nein, sie wirken im Dunkeln, sind finster und verschlagen, immer auf der Suche nach Schwächen, die es auszubeuten gilt, immer auf dem Sprung, im geeigneten Augenblick den Dolch in die Kehle der verhassten Nation zu stechen.

Die Geschichte ist alt, nur die Feinde wechseln. Das ändert nichts daran, dass sie über die Jahrzehnte immer wieder neu erzählt wird. Kommt politisches und mediales Steigbügelhalten dazu, dann ist auch das Ergebnis immer das gleiche: immer mehr Bürgerinnen und Bürger fürchten sich und sind überzeugt vom dämonischen Bösen, das überall lauert, und ihnen demnächst den Garaus machen wird.

So geschah es in Großbritannien in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als ein mittelmäßiger Schriftsteller, Le Queux, seinen „Patriotismus“ entdeckte und mit tatkräftiger Hilfe der Daily Mail die ahnungslosen Bürgerinnen und Bürger der Insel informierte, dass jede Menge deutscher Spione längst unter ihnen im Untergrund wühlten. Wo war die Wachsamkeit, wo blieb der Schutz gegen dieses sinistre Tun? Anfänglich zeigte sich die britische Gesellschaft noch robust, die Polizei hatte die wenigen deutschen Agenten im Blick (21), aber dann brach eine kollektive Hysterie los, alle mögliche Briten (Daily Mail-Leser) verdächtigten alle möglichen zugewanderten Deutschen, das Parlament beschäftigte sich mit der Sache und am Ende wurden die britischen Geheimdienste geboren. Schließlich bestand „Handlungsbedarf“. Während des Ersten Weltkrieges enttarnte der neu geschaffenen MI 5 weniger als 10 deutsche Geheimagenten.

Mythos von der jüdisch-bolschewistischen Verschwörung wurde geboren

In der Zeit des Ersten Weltkriegs, im Gefolge der Oktoberrevolution 1917, wurde von den russischen „Weißen“, also den Gegnern der Bolschewiki, der Mythos von der jüdisch-bolschewistischen Verschwörung geboren. Die Nazis griffen diese Verschwörungserzählung bereitwillig auf, zur ideologischen Unterfütterung ihres Anspruches, die Welt zu dominieren.

Aus der Geschichte wissen wir, wie effektiv das Nazi-Regime in Deutschland, in einer Mischung aus mörderischer Repression nach innen, gepaart mit massiver Propaganda großen Anteilen der deutschen Bevölkerung die Gehirne wusch. Bis heute ist es ein Gegenstand wissenschaftlicher Debatte, warum die deutsche Wehrmacht weiterkämpfte, obwohl die Niederlage längst besiegelt war. Als ein Grund wird die Furcht vor der Vergeltung der Roten Armee angegeben. Die Armeeführung wusste, was sie in der Sowjetunion angerichtet hatte, und dass ihre Rolle beim Holocaust keineswegs nur die eines Zuschauers war. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist viel über die Brutalitäten der Roten Armee gesprochen worden. Es hat sie gegeben, aber das Verhalten der Roten Armee stand in keinem Verhältnis zu dem, wie sich die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion aufgeführt hatte: Dort wurden mehr als sieben Millionen Zivilisten absichtlich getötet, erschossen, bei lebendigem Leib verbrannt. Die deutsche Bombardierung von Stalingrad, damals in keiner Weise ein militärisches Zentrum, kostete allein an einem Tag zwischen 40.000 und 70.000 Menschen das Leben, die Blockade von Leningrad, ein unbestreitbares Kriegsverbrechen, forderte 800.000 Opfer.

All das ist „passenderweise“ im Kalten Krieg vergessen gemacht worden. Stattdessen wurde nun die „rote Gefahr“ an die Wand gemalt. Dafür stand die Mc Carthy-Ära in den USA exemplarisch. Überall wurde „unamerikanischen“ Umtrieben nachgespürt, Menschen der Illoyalität oder der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verdächtigt, mit dem Ziel politisch unbequeme Gegner mundtot zu machen. Diese Ära ging erst zu Ende, als Mc Carthy sich verstieg, die US-Armee der Beförderung kommunistischer Umtriebe zu verdächtigen. Das wäre für die amerikanische Nation eine Frage auf Leben und Tod, so der „Patriot“ Mc Carthy. Über Wochen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen im Senat, da sich die US-Armee entschieden wehrte. Millionen US-Bürger verfolgten das Spektakel.

Schließlich brach die ganze Verschwörungsgeschichte in sich zusammen, und Mc Carthy starb wenig später, politisch isoliert, entehrt und gebrochen.

Aber das geistige Erbe von Mc Carthy lebte fort.

Bereits Anfang der 90er Jahre wurde die Verdächtigung, mit den Russen zu paktieren, wieder zum Teil des politischen Kampfes in den USA. Zunächst traf es Bill Clinton, der vom Amtsinhaber Bush beschuldigt wurde, womöglich ein „Agent“ des Kremls zu sein. Clintons Reisen in die Sowjetunion und in die Tschechoslowakei galten nun als anrüchig. FBI-Untersuchungen wurden gestartet und prompt geleakt. Auch (willige) tschechische Medien beteiligten sich an der Verschwörungserzählung. Jede Menge bösartiger Anwürfe waren schon geplant, wie etwa die Frage, wo Clintons rechtmäßiger Wohnsitz sei: in Little Rock oder in Leningrad? Clinton ging damals in die Offensive und erinnerte Bush daran, dass dessen Vater gegen Mc Carthy aufgestanden war, zu Recht. Am Ende wurde Clinton zum nächsten Präsidenten gewählt.

An all das erinnerte der unabhängige Journalist Robert Barry in einem Artikel im August 2016.

Und warum? Weil er argwöhnte, dass nunmehr die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sich an das alte Drehbuch von Mc Carthy erinnert hatte, um es gegen den konservativen Trump zu verwenden. Er sah das gleiche Muster: haltlose Verdächtigungen ohne Beweise, die Unterstellung, Trump sei womöglich ein Agent des Kreml oder durch ihn erpressbar. Zum Zeitpunkt, als Perry den Artikel schrieb, war das ganze Ausmaß der demokratischen Verschwörungstheorie, dass Russland Trump als Kandidaten bevorzugt und sich daher in die US-Wahlen eingemischt haben soll, noch nicht offensichtlich. Was schon offen zutage lag, war damals der Vorwurf, dass angeblich die Russen das DNC gehackt und Wikileaks die Emails mit der Absicht zugespielt hatten, um Clinton zu schaden. Assange hat dem immer widersprochen. Aber bis heute wird dieses Märchen erzählt, weil im Unterschied zu Mc Carthy Hillary Clinton auf jede Menge „Patrioten“ zählen konnte: In US-Sicherheitskreisen, in der Obama-Administration und selbstverständlich in den Massenmedien. Robert Parry hat nicht mehr erlebt, wie Recht er mit seiner Skepsis hatte. Erst 2020 wurde bekannt, dass die Firma Crowdstrike, die den Diebstahl der DNC-Daten durch russische Hacker beglaubigt hatte, sehr freizügig mit der Wahrheit umgegangen war. Der Vertreter von Crowdstrike, der ehemalige FBI-Agent Henry, gab unter Eid zu Protokoll, dass alles, was sie an Aktivitäten im DNC-Server gesehen hatten, „konsistent“ gewesen sei mit allen Erfahrungen, wie russische Hacker (im Fachjargon the Dukes) agierten. Aber den Abfluss der Daten konnte er nicht bestätigen. Sie wären fertig gemacht worden für den Versand am 22. April 2016. Beweise, dass die Daten den Server verlassen hätten, habe das Unternehmen nicht gefunden. Nur Indikatoren. (ab S. 32)

Außer Mutmaßungen gab es nichts

Diese Aussage wurde am 5. Dezember 2017, vor genau 6 Jahren gemacht und prompt unter der Decke gehalten. Außer Mutmaßungen, die lauthals als eherne Wahrheit verkündet wurden, gab es nichts. Das änderte nichts daran, dass sich die Geschichte in der Demokratischen Partei und ihrer Anhängerschaft festsetzte. Wenn man heute nach einer Wurzel des Hasses auf Russland und auf Julian Assange sucht, so ist sie dort zu finden: im Glauben, die Russen hätten den DNC gehackt, Wikileaks die Emails zugespielt und damit Hillary Clinton schwer geschadet. Tatsächlich schadete die Veröffentlichung dieser Emails Clinton politisch, denn sie offenbarten, dass Clinton das DNC manipuliert hatte, zu Lasten ihres demokratischen Herausforderers Bernie Sanders. Die Führung des DNC musste den Hut nehmen. Gleichwohl galt es in den USA auch danach sehr lange als sicher, dass Hillary Clinton die Wahlschlacht für sich entscheiden würde. Selbst am Wahltag, im Angesicht der Niederlage, konnte es Clinton nicht fassen, dass sie verloren hatte. Um daraufhin mit voller Wut auf alle und jeden zu schimpfen, die ihre Wahl angeblich sabotiert hatten. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass sie es selbst vergurkt hatte, und so blieb das bis heute.

Je abenteuerlicher etwas klingt, um so wahrer muss es sein

Nichts an der gesamten Geschichte, die Crowdstrike für die Hillary-Clinton-Kampagne von den diebischen Russen erzählte, ergab Sinn. Sie folgte allein dem Grundsatz: Je abenteuerlicher etwas klingt, um so wahrer muss es sein. Nach der Geschichte hatte das FBI im September 2015 den IT-Administrator des DNC gewarnt, dass sich womöglich Russen im Netzwerk tummelten. Man telefonierte, man traf sich, der Administrator fand nichts. Nirgendwo gab politische Aufregung. Dann, so ging die Geschichte weiter, kam eine zweite russische Hackergruppe ins Spiel (die von den Aktivitäten der ersten keine Ahnung hatte, wegen der Rivalität russischer Geheimdienste). Nun wurde die Anwaltskanzlei des DNC aktiv. Genauer gesagt Herr Sussmann, der nachgewiesene Erfinder der Lüge von einem direkten Kontakt zwischen dem Trump Tower und der russischen Alfa-Bank, die Steele in seinem „Dossier“ verwurstete. Sussmann soll am 30. April, so Henry, Crowdstrike kontaktiert haben, weil es verdächtige Aktivitäten im Netzwerk eines Klienten gegeben hätte. Darauf sei Crowdstrike tätig geworden und hätte dann im Juni alles gesäubert, bevor es die Nachricht von dem skandalösen russischen Hack in die Welt blies. Das wiederum wurde dann durch zwei US-Geheimdienste im Oktober 2016 bestätigt, die allerdings weder mit Crowdstrike zusammengearbeitet noch die DNC-Server untersucht hatten. Obama leistete Schützenhilfe und ließ öffentlich werden, dass er Putin gewarnt hätte, sich nicht an der US-Wahl zu vergreifen. Das FBI wiederum war damit beschäftigt, die Trump-Kampagne zu überwachen, auf der Suche nach einer Verschwörung mit Russland (Crossfire Hurrican). Da hatte man für DNC-Server-Untersuchungen auch keine Zeit.

Bei dem ganzen damaligen Russland-Geschrei ging unter, dass das DNC mit der Sanders-Kampagne seit Dezember 2015 über Kreuz lag, da wegen eines IT-Fehlers Mitarbeiter von Sanders an Daten kamen, die ihnen nicht zustanden. Das DNC reagierte umgehend auf höchster Ebene, sperrte der Sanders-Kampagne den Zugang, was diese mit einem Gang vor Gericht beantwortete. Um die Sache zu klären, wurde Crowdstrike eingeschaltet. Das Unternehmen sollte genau prüfen, was vorgefallen war. Am 29. April wurde der Streit beigelegt. Unabhängige Untersuchungen durch Crowdstrike hätten nichts Belastendes gegen die Sanders-Kampagne gefunden, erklärte die Führung des DNC.

Nur mit Sanders beschäftigt

Anders ausgedrückt: Eine FBI-Vermutung, die Russen könnten sich im Netzwerk des DNC tummeln, hat die Führung des DNC nicht aufgeschreckt. Ein unbotmäßiger Zugriff aus der Sanders-Kampagne, der eine Stunde dauerte, führte in den innerparteilichen Konflikt und zu einer Untersuchung durch Crowdstrike, bevor Herr Sussmann tätig wurde. Aber da waren die Kammerjäger von Crowdstrike offenbar nur mit Sanders beschäftigt.

Aber es kommt noch schöner. Laut Crowdstrike waren die Daten am 22.April 2016 abmarschbereit gemacht worden für den mutmaßlichen Transfer (nach Russland). Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente allerdings stammten mehrheitlich vom Mai 2016. Es war also ein anderes „Versand-Päckchen“, eines, von dem Crowdstrike nie geredet hatte. Aber Feinheiten sind nicht wichtig, wenn die Lüge nur groß genug ist.

Denn auch hier gilt eine inzwischen uralte Richtschnur: Wenn die Patrioten das Gleiche immer wieder und wieder erzählen, dann weiß man ja, dass es nur die Wahrheit sein kann, so wie man „weiß“, dass all die Ungläubigen, Zweifler und jene, die nach Beweisen verlangen, eben keine Patrioten sind, sondern lediglich vaterlandsloses Gesindel, mit einer Neigung zu Landes- und Hochverrat. Genau dessen machte sich Trump in den Augen seiner Kritiker schuldig, als der nach seinem ersten und einzigen Treffen mit Putin öffentlich erklärte, er glaube Putin, dass sich Russland nicht in die Wahl 2016 eingemischt hätte. Dann kam es erst richtig dicke für Trump, ganz so, wie es der demokratische Fraktionsvorsitzende im Senat Schumer schon 2017 vorhergesagt hatte: Der dumme Trump hatte nicht begriffen, dass man sich nicht mit den US-Geheimdiensten anlegt, aber wenn man das täte, dann hätten die alle erdenklichen Möglichkeiten, es ihm heimzuzahlen. Die Geheimdienstgemeinschaft, so Schumer, sei ziemlich sauer auf Trump.

Skandalöse Abwertung des Wählerwillens

Das Bemerkenswerteste an den Schumer-Äußerungen damals war, dass er es völlig in Ordnung fand, dass US-Geheimdienste einen US-Präsidenten bedrohen. Tatsächlich war es eine skandalöse Abwertung des Wählerwillens in den USA. Das aber interessierte Schumer nicht, ihn interessierten die US-Geheimdienste. Ohne die, so Schumer, hätten wir das russische Hacking nie rausbekommen. Und schon saß er sicher im warmen Nest der wahren US-Patrioten, denen die US-Geheimdienste selbstverständlich nie etwas antun würden.

Weil nichts, was auf der anderen Seite des Atlantiks geboren wird, nur dort verbleibt, hat sich mit tätiger Hilfe der Medien auch auf dieser Seite des Ozeans eingefressen, dass die Russen die Teufel sind, die sich an der westlichen Demokratie vergreifen. Immer wieder, überall, wo sie es können, immer dann, wenn die patriotische Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick nachlässt. Aber es kommt noch schlimmer: Inzwischen haben die Russen längst das Ziel gewechselt. Bloße Wahleinmischungen oder Desinformation waren gestern. Nun geht es um territoriale Aggression – im Balkan (laut Selenskyj), im Baltikum (laut deutscher Experten), dann, wenn sie den ukrainischen Bissen verdaut haben. Und wer weiß, demnächst stehen sie womöglich in Berlin oder gar am Ärmelkanal. Für alles das gibt es zwar keine Anzeichen, aber wie gesagt, Patrioten haben das Recht und die Pflicht, paranoid zu sein.

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.