Einen wunderschoenen guten Morgen! Die Politfarce um die Präsidentschaftswahlen im Club Atlético Boca Juniors sind zunächst zu Ende. Trotz katastrophischem Wetter kam es am Sonntag zu einer Rekordbeteiligung der stimmberechtigten Mitglieder, 46.402 „Socios“ der rund 90.000 Mitglieder Bocas stimmten an den Urnen ab, ein nationaler Rekord. Mehr Mitglieder (57.000) konnte vor einigen Jahren lediglich einmal der FC Barcelona mobilisieren.

Die Abstimmung war auch und vor allem eine Glaubensfrage. Auf der einen Seite kandidierte Juan Román Riquelme (grösstes Idol der Vereinsgeschichte und bis dato bereits 1. Vizepräsident des Klubs) mit seinem Formelpartner, dem Gastro-Unternehmer Jorge Amor Ameal, 2008-2011 bereits Präsident der Xeneizes und seit 2019 erneut. (2011 und 2015 hatte Ameal die Wahlen an Daniel Angelici verloren, Baron des Glücksspiels in der Autonomen Stadt Buenos Aires, Funktionär der Unión Cívica Radical/Sozialdemokraten und enger Verbündeter des PRO/Republikaner.) Ihnen gegenüber stand die Formel Andrés Ibarra/Mauricio Macri. Letzterer, Sohn eines italienischen Einwanderers, zu Lebzeiten einer der sieben, acht reichsten Maenner Argentiniens (obszön reich), war von 1995-2007 Praesident der Boca Juniors und machte den Klub zur Weltmarke. Als er 2007, ein halbes Jahr nach der WM, Juan Román Riquelme repatriierte und Boca vor allem deshalb bis heute zum letzten Mal die Copa Libertadores gewann, brachte Macri dieser Coup den Posten des Regierungschefs von Buenos Aires ein. Von 2015-2019 war er dann Staatspräsident und fuhr das Land mit einem Heer von CEO´s endgueltig gegen die Wand. Sein Formelpartner Ibarra war auf Staatsebene sein „Minister für Modernisierung”.

Im argentinischen Fussball gibt es bis dato keine privatisierten Klubs, keine Scheichs, nichts in der Art. Die Klubs sind Vereine aus dem Barrio/Viertel und üben eine soziale Funktion aus, sie gehören ihren Mitgliedern. Macri will das silberländische Balltreten seit Aeonen privatisieren, die Klubs in Aktiengesellschaften transformieren. Er ist ein Freund der Dividende, ein Feind des Sports und aktueller Präser der FIFA-Foundation (Fleischtöpfe). Das Wahlergebnis vom Sonntag, 30.318 Stimmen (65,3%) für Riquelme und 15.949 Stimmen (34,3%) für Ibarra ist ein Schlag ins Gesicht des Neoliberalismus, die Boca-Fans haben Eier gezeigt und Zivilcourage demonstriert.

Riquelme, zuletzt Erzfeind Maradonas, hatte die reale Macht, das System, herausgefordert, Macri, Monopolmedien und die korrupte Justiz besiegt. Er hätte auch die Oligarchie, die Viehbarone (tausend Familien), vernichtend geschlagen. Soziale Sensibilität lernt man nicht, man hat sie im Blut. In Argentinien ist ein Verein ein kollektives Integrationskonzept, eine Alltagsstütze. Riquelme gewann mit dem mit Abstand besten Resultat in der Geschichte des Vereins. Für Macri war es die schlimmste demokratische Niederlage seines Lebens. Sieben von Zehn Mitgliedern stimmten gegen den Landesverräter und Führer des PRO, der die Wahlen zunächst durch republikanische Winkeladvokaten gestoppt hatte. Während des Wahlkampfs hatte er sogar, ohne Rot zu werden, von Riquelme u.a. gefordert, für „ein paar Spiele“ den Mittelstuermer Katars auszuleihen, um Qatar Airways nicht als Trikot-Sponsor zu verlieren. Dann wurde die Wahl justizialisiert (wie man es von dem Abhoörideologen Macri gewohnt ist). Riquelme wurde Antisemitismus angeheftet, weil die Wahlen ursprünglich an einem Sonnabend stattfinden sollten. Die „jüdischen Unterzeichner“ einer entsprechenden Petition negierten das auf Nachfrage. Dann unterstellte Macris Bagage Fälschungen bei der Anzahl der Wahlberechtigten. Letztlich wurden die 13.000 Mitglieder, die das „betraf“ zwar zugelassen, mussten aber separat wählen und einwilligen dabei gefilmt zu werden. (Die Hälfte wählten nur, fast alle für Riquelme.) Mehr Bananenstaat geht nicht. Macris Cousin Jorge, Regierungschef von Buenos Aires, ermahnte das Volk am Sonntag „wegen des Unwetters“ nicht auf die Strasse zu gehen. Es ging. Macri schickte den ultrarechten Staatspräsidenten Javier Milei zum Abstimmen. Der ist erklärter River Plate-Fan, aber noch Mitglied bei Boca (sowas geht ja gar nicht). Er ging (und wurde mörderisch ausgebuht). Riquelme weiss zumindest, was er nicht will: “Dieser Señor (Macri) will mich seit 20 Jahren kaufen.“ Wie sagte Maradona: „Boca gehört nicht Macri, Boca gehoert dem Volk!“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Jungen Welt, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Über André Dahlmeyer, La Boca:

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