Was machen eigentlich unsere “Volksvertreter” im Bundestag? Was sie tun sollten, steht im Grundgesetz.

Artikel 38 des Grundgesetzes befasst sich mit den Bundestagsabgeordneten. Dort heißt es:

“(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.”

Soweit das Gesetz, soweit die Theorie. Tatsächlich sind die Abgeordneten auf das Wohlwollen ihrer Fraktionen angewiesen, um im Bundestag die von ihnen angestrebten Zuständigkeiten auch zu bekommen. Die Fraktionen entsenden ihre Abgeordnete in die einzelnen Ausschüsse und bestimmen wer dort den Hut auf hat. Nur selten gelingt es einzelnen Abgeordneten davon unabhängig zu agieren. Ein Beispiel ist Prof. Dr. Karl Lauterbach. Lauterbach hatte in der vorherigen Wahlperiode innerhalb der SPD für Gesundheitspolitik formal überhaupt keine Zuständigkeit. Er war nicht einmal einfaches Mitglied des Gesundheitsausschusses, sondern im Europa-Ausschuss, bestimmte aber mit seiner Politik im Sinne bestimmter Gruppen in der Gesundheitsindustrie das Erscheinungsbild “der SPD-Gesundheitspolitik”. Die für Gesundheitspolitik tatsächlich zuständige Abgeordnete im SPD-Fraktionsvorstand hieß Bärbel Bas und Sprecherin der SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuß war die praktizierende Ärztin Sabine Dittmar.

Bärbel Bas wurde, sicherlich auch für ihr ruhiges Erdulden der medialen Bedeutungslosigkeit neben dem medial präsenten Lauterbach, für die nachfolgende 20. Wahlperiode mit dem Amt der Bundestagspräsidentin bedacht und Sabine Dittmar unterstützt nun den Minister Lauterbach als echte Fachfrau als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit.

Somit verfügt in der Leitung des Ministeriums wenigstens eine über medizinischen Fachverstand. Der Minister war in seiner praktischen Berufsausübung weniger als Arzt tätig, sondern mit Finanz- und Wirtschaftsaspekten der Gesundheitspolitik befasst. Möglichst viele kleinere Krankenhäuser schließen wollte Lauterbach schon immer.

Die großen privaten Krankenhaus-Konzerne können sich auf ihren Minister verlassen. Er macht genau das weiter, was er als Mitglied der Rürup Kommission begonnen hatte.

Von wegen “freies Mandat”

Doch abgesehen von diesem “Sonderfall” bestimmten in der Regel die jeweiligen Fraktionsvorstände und die Obleute der Fraktionen die Politik ihrer jeweiligen Fraktion in den Ausschüssen und in der Öffentlichkeit. Wer anderer Meinung ist, wird oft innerhalb sehr kurzer Zeit aus dem Ausschuss abberufen und durch stromlinienförmige Abgeordnete ersetzt.

Obwohl sich die Abgeordneten nicht ihre Gesamtverantwortung für alles, was der Bundestag beschliest, entledigen können, werden in der Praxis Anfragen aus dem Wahlvolk an die jeweils inhaltlich zuständigen Fraktionssprecher verwiesen.

Nicht selten schreiben auch diese Fachpolitiker ihre Antwort nicht etwa selbst, sondern lassen sich die in den jeweiligen Ministerien formulieren. Doch in vielen Ministerien sitzen oft Vertreter der Lobbyverbände als temporäre Mitarbeiter und schreiben Gesetzentwürfe, Rede-Entwürfe für den Minister und eben auch solche Antworten für die Abgeordneten. Die ohnehin, gemessen an ihrer tatsächlichen Leistung meist deutlich überbezahlten Ministerialbeamten haben so genügend Zeit, um sich auf – für die Teilnehmer teuren – Vortragsveranstaltungen vorzubereiten. Dort informieren Ministerialbeamte aus dem Verteidigungsministerium in Fachvorträgen vor Abgesandten der Rüstungsindustrie über neue Planungen des Ministeriums. Natürlich werden diese Angaben eigentlich nur für den Dienstgebrauch und manchmal auch gegenüber den Normalbürgern geheim gehalten.

Leitende Männer – es sind meist Männer – aus dem Innenministerum plaudern für Vorhaben im Sicherheitsbereich. Und hochbezahlte Beamte aus dem Finanzministerium geben reichen Menschen Ratschläge zur Steuervermeidung. Wenn diese Typen alt genug sind, bekommen sie auch noch das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Es gab und gibt immer wieder Berichte über die Tätigkeit der Lobby in den Ministerien. Doch diese Veröffentichungen wurden und werden weiterhin in der Regel von NGOs recherchiert und aufgedeckt – und werden nur sehr selten durch die Kontrolltätigkeit der Parlamentarier bekannt.

Die meisten Abgeordneten der jeweiligen Regierungsfraktionen verzichten weitgehend auf ihr Fragerecht. Sie schreiben nur Briefe an die Ministerien, deren Beantwortung im Gegensatz zu ordentlichen Anfragen im Parlament nicht veröffentlicht werden. Mit der im Grundgesetz gefordeten Kontrolle der Bundesregierung durch die Abgeordneten hat das wenig zu tun.

Doch Abgeordnete, die etwa dem Sozialausschuß angehören, sind natürlich auch für das, was der Bundestag etwa zur Verteidigung oder im Bauausschuss verabschiedet, mitverantwortlich. Denn eigentlich müssten sie bei allen Abstimmungen im Plenum mit abstimmen. Wenn sie das täten, würden sie der Forderung des Grundgesetzes gerecht.

Tatsächlich sitzen bei den Abstimmungen im Plenum meistens nur die Abgeordneten, die dem jeweils zuständigen Bundestagsausschuss angehören und sich zuvor in diesen Ausschüssen mit dem, zur Beratung anstehenden Thema befasst haben. Nur relativ selten wird die Beschlussfähigkeit des Bundestages auf Antrag einer/eines Abgeordneten hin überprüft oder auf namentlicher Abstimmung bestanden. Jeder Abgeordnete kann durch Antrag auf Prüfung der Beschlussfähigkeit fast jede Plenarsitzung jederzeit beenden.

So bleibt den Abgeordneten genügend Zeit für ihre Nebentätigkeiten und -geschäfte, die sie aufgrund ihrer Stellung mit Hilfe ihres Mandats ausüben. In ihrer Selbstdarstellung suchen sie sich dann die Politikbereiche heraus, die sie möglichst positiv erscheinen lassen. Niemand wird sich der eigenen Verantwortung etwa für Kürzungen im Sozialbereich oder Steuergeschenke an ohnehin Superreiche brüsten.

Unbequeme Fragen bleiben unbeantwortet

Mehr und mehr gehen Abgeordnete dazu über, Anfragen aus der Bevölkerung völlig zu ignorieren. Ich habe dafür einige Beispiele aus meinen eigenen Recherchen gesammelt. Wenn es etwa um den russischen eher zwielichtigen Geschäftemacher und daraus resultierenden Multi-Millionar und Oppostionspolitiker Alexei Anatoljewitsch Nawalny geht, gibt es sehr schnell eine Antwort. Alle berichten gerne über ihre Aktivitäten für dessen Freiheit und Wohlergehen. Fragt man, was sie konkret für den in Folterhaft in Großbritanien langsam dahin vegitierenden Journalisten Julian Assange tun, gibt es gar keine Antwort oder man wird an die Außenpolitiker der jeweiligen Fraktion verwiesen. Dort wird gerne auf einen Jahre zurück liegendne Brief einiger Abgeordneter an das Britische Parlament verwiesen. Oft bleibt eine Antwort völlig aus. Gleiches gilt für Anfragen etwa nach Aktivitäten der Abgeordneten zur Abschaffung des US-Foltergefängnisses Guantanamo.

Die Frage, wer eigentlich die Verwendung von hunderten Millionen Euro an eines der korruptesten Länder dieser Welt, nämlich der Ukraine, kontrolliert, bleibt offen. Es gibt offenbar keine ernsthafte Kontrolle – ganz anders als etwa bei Zahlungen an die Regierungen von Entwicklungsländern. Selbst von der Linken Haushaltspolitikerin Gesine Lötzsch nur der etwas hilflose Verweis auf die mangelnde Aktenlage: “Wir werden leider nur sehr unzureichend von der Bundesregierung über die Lieferungen informiert. Die Bundesregierung kann auch keine Aussage über den Verbleib der Lieferungen geben..” Gefragt hatte ich nach Geldüberweisungen an die ukrainische Regierung. Auf meine weiteren Fragen, ob und wie die damals (Februar 2023) noch bestehende Fraktion Die Linke ihre recht tiefgehenden Möglichkeiten der Haushaltskontrolle – etwa im Rechnungsprüfungsausschuss – im Fall der Ukraine ausnutzen würde, gab es keine Antwort mehr.

Zuvor hatte ich mir vom Bundesfinanzministerium erklären lassen, wie deren Verwendungskontrolle im einzelnen ausschaut und wurde dabei u.a. auf den Bundestag verwiesen. Wörtlich hieß es:

“Für den Haushaltsvollzug, das heißt für die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel sind die jeweils zuständigen Ressorts verantwortlich, siehe Art. 65 GG. Die Kontrolle erfolgt durch den Bundesrechnungshof, den Bundestag und den Bundesrat, siehe Art. 114 GG. Der Bundesrechnungshof überprüft die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Einzelheiten hierzu finden Sie in Teil ‘Rechnungsprüfung’ der Bundeshaushaltsordnung, §§ 88-104. Bundestag und Bundesrat entlasten schließlich die Bundesregierung, siehe auch § 114 BHO. Für weitere Informationen verweise ich an die genannten Stellen.”

Wie gründlich man die Ausgaben der Bundesminiserien mit Hilfe der Rechnungsprüfung kontrollieren kann, hatte der Abgeordnete der Grünen, Hans Verheyen, aufgezeigt. Den Linken kam es scheinbar mehr auf Schau an als auf effektive Kontrolle. Durch den Verlust des Fraktionsstatus haben die einzelnen Abgeordneten in den Ausschüssen ledliglich beratenden Status, spielen also eine Nebenrolle.

Keine Auskunft zu sinnfreien Boni-Zahlungen

Mitte Dezember 2023 wollte ich vom Grünen Abgeordneten und Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn Stefan Gelbhaar erfahren, wie er sich zur Selbstbedienung des Bahn-Vorstands mit anlasslosen Boni-Zahlungen verhalten hat. Eine Antwort steht trotz zwischenzeitlicher Erinnerung noch aus. Andere Fragen von mir zur Bahnpolitik beantwortetre das Büro Gelbhaar dagegen innerhalb weniger Stunden. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) beantwortete meine Fragen innerhalb weniger Tage und teilte mit:

“Diskussionen und Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat sind vertraulich, so viel können wir aber sagen, dass alle EVG-Mitglieder im Aufsichtsrat der Auszahlung der leistungsbezogenen Gehaltsbestandteile der DB Vorstände nicht zugestimmt haben.” Eine solche Selbstauskunft hätte auch das Aufsichtsratsmitglied Gelbhaar geben können. An rechtlicher Unsicherheit kann es kaum liegen, Gelbhaar ist Rechtsanwalt von Beruf.

Noch immer kein Presseauskunftsrecht

Unbeantwortet blieben auch meine Anfragen an den medienpolitischen Sprecher der Grünen, Erhard Grundl nach einem Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene. Seit 2013 gibt es nämlich auf Bundesebene kein einklagbares Presseauskunftsrecht mehr. Die Petition für ein Presseauskunftsgesetz läuft am Sonntag aus.

2013 hatte die damals oppositionelle SPD gleich einen Gesetzentwurf eingebracht, der natürlich von der CDU/FDP-Regierung abgelehnt wurde. In den Folgejahren scheiterte es nach Darstellung der SPD am Widerstand der CDU. Federführend war dabei u.a der heutige Innenminister von Baden-Württemberg Thomals Strobl, übrigens der Ehemann der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl.

Von der SPD erfuhr ich zwischenzeitlich, dass es derzeit an den Grünen liegt, dass immer noch kein Presseauskunftsrecht verabschiedet wurde. Wörtlich heißt es in der SPD-Antwort: “Zum Thema Presseauskunftsgesetz gab es etwas unerwarteten Widerstand vom grünen Koalitionspartner. Wir haben uns jetzt nach einigem Drängen darauf verständigt, dass die BKM die Federführung übernehmen wird. Ein Berichterstattergespräch dazu ist in der kommenden Sitzungswoche geplant.” Erstaunlich, denn von Claudia Roth war in den letzten Monaten allerhand zu hören, aber nie etwas zu dieser wichtigen Gesetzeslücke.

Junge Abgeordnete abhängig von der Partei

Nicht besonders positiv wirkt sich die deutliche Verjüngung des Bundestages aus. Denn immer mehr Studienabbrecher ohne beruflichen oder Studienabschluß bevölkern das Parlament. Nie waren so viele Jusos im Bundestag und nie habe ich so wenig von deren Existenz gespürt. Leute wie Kevin Kühnert – SPD MdB und SPD-Generalsekretär, oder auch die Grünen Vorsitzende Ricarda Lang, sind auf Gedeih und Verderb auf ihre politischen Ämter angewiesen. Sie haben – wie viele andere – sonst nichts gelernt. Sie sind jung an Jahren und damit für eine noch lange Zeit auf ihre Partei und Fraktionen existentiell angewiesen. Keine gute Voraussetzung für “unabhängig Abgeordnete”. Sie werden ganz gewiss nichts tun, was ihre Karriere gefährden könnte. Solche Abgeordnete braucht niemand. Ich habe mich mit diesem Thema schon einmal im Beueler Extradienst befasst, das war 2021. Es ist seit dem nicht besser geworden, eher schlimmer.