Beueler-Extradienst

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Wer merkt noch was?

Das gegenwärtige Strukturproblem der Demokratie ist die gegenseitige Abgeschlossenheit der Lebenswelten der Mehrheit der Wahlberechtigten einerseits, und der Mehrheit ihrer Repräsentant*inn*en andererseits. Meine persönliche These ist, dass das mit der Hauptstadtwerdung Berlins 1999 ff. noch beschleunigt und verschärft wurde, weil die Mehrheit der Gewählten damit lebensweltlich (und ganz analog) wesentlich weiter von ihren Wählenden entfernt wurde, als sie es zuvor in Bonn waren. Um dieses Grundproblem zu mildern, wurden von der Menschheit immer wieder neue Medien erfunden. Die jüngsten Erfindungen dieser Art werden als “digital” bezeichnet. Was ist daraus geworden?

Es geht nicht nur um Nuancen, sondern um Leben oder Tod, Krieg oder Frieden. Die Gewählten in Berlin und die sie begleitenden Medien reagieren schockiert bis unflätig, wenn ein Gewählter Gefühlen und Meinungen einer Mehrheit der Wahlberechtigten öffentlich Ausdruck gibt. Das legt unbarmherzig zutage, dass etwas am System nicht stimmt.

Aktuelle Bestandsaufnahmen dieser Dysfunktion finden Sie regelmässig im MDR-Altpapier, aktuell z.B. bei Christian Bartels oder Ralf Heimann. Meine Beinahenachbarin Annika Schneider ist dort bedauerlicherweise ausgeschieden, um bei uebermedien anzufangen. Dafür wünsche ich alles erdenklich Gute, gerade weil dort nach meinem Eindruck bislang eine auffällige Personalfluktuation wahrzunehmen war (warum weiss ich nicht).

Da ist es fast schon wieder eine Lokomotive für Optimismus (zur Eisenbahn komme ich gleich), wenn sogar der alte Biden was gemerkt hat. Das ist natürlich nicht so platt personalisierbar. Gemeint ist seine riesige heterogene Administration, was es aber eher noch besser erscheinen lässt. David Goeßmann/telepolis: Von Gaza bis Assange: Kann Joe Biden sich aus der Wahlschlinge befreien? – Mit Feuerpause-Resolution scheinen USA Gazakrieg-Blockade zu räumen. Zudem ist Assange-Deal im Gespräch. Ist das Bidens Offensive gegen Trump?” Sollte hier tatsächlich ein Fenster der Gelegenheit für Assange (und Biden!) entstehen? Das wäre spektakulär.

Paradigmatisch für die gestörte Verbindung zwisschen herrschender Politik und der Realwelt da draussen ist seit Jahrzehnten das Bahnbauprojekt “Stuttgart21”. Jüngst widmete sich die SWR-Eisenbahnromantik-Redaktion einem Rückblick von 2020, mit der bei ihr bewährten Fachkunde und Sachlichkeit, die in diesem Fall mit Deutlichkeit einhergehen muss – es geht gar nicht anders.

Während sie beim SWR in den “Archivkeller” steigen mussten (ein Bild, das die Digitalisierung leider längst abgeschafft hat), macht es die Kontext-Wochenzeitung tagesaktuell: 700. Montagsdemo gegen Stuttgart 21: Das Desaster-ohne-Ende-Projekt – Nach Kostenexplosionen und ungeklärten Brandschutzfragen macht auch die geplante Kappung der Gäubahn ehemalige Stuttgart-21-Fans zu Projektgegner:innen. Auf der 700sten Montagsdemo hielten Regisseur Volker Lösch und DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch bemerkenswerte Reden.”

Mit den gehaltenen Reden muss frau*mann nicht völlig übereinstimmen. Was ich aber bewundere und was mir grossen Respekt einflösst, ist die Tatsache, dass die Redner offenbar bei klarem Verstand und in der Lage geblieben sind, einen utopischen Optimismus zu vermitteln.

Ok, das muss damit zusammenhängen, dass frau*mann in dieser Stadt mit der Strassenbahn zu Vincent Klink fahren kann. Ich glaube, ich wäre sonst unter diesen Umständen längst verrückt geworden …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Lorscheid

    Ja ich bin davon überzeugt, auch den völkerrechtlich verbrecherischen Überfall auf Jugoslawien hätte es mit einer Bundesregierung in Bonn nicht gegeben. Dieser staatlaiche Mord passt zum Berlin-Umzug. Die Architektur im Bundeshaus spricht Bände. Ein, wie ich finde, ebenso banales wie für mich eindrucksvolles Beispiel: Während man in Bonn, egal ob im Tulpenfeld (übrigens jetzt vollständig eingezäunt und Sitz der Bundesnetzagentur) die Türen zu den Abgeordneten-Büros von Hand zuziehen mußte – sie standen meist auf – muß man sie in Berlin künstlich offen halten. Sie fallen sonst zu. Die Abgeordneten kapseln sich ein. Jetzt wird wie hörte auch noch ein Graben an einer Seite des Reichstags gezogen. Wie früher bei den Wasserburgen.

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