Der 24. März 1999 ist ein denkwürdiger Datum. An diesem Tag, vor 25 Jahren, begannen die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien. Deutschland war dabei. Gerhard Schröder als Kanzler, Rudolf Scharping als Verteidigungsminister und Joschka Fischer als Außenminister folgten den Forderungen der USA und bombten mit. Die Begründung dieses Militäreinsatzes war, dass Jugoslawien nicht zur Unterzeichnung eines Abkommens bereit war, das im Februar 1999 in Rambouillet in Nordfrankreich ausgehandelt worden war.
Drei Punkte des Vertrages waren für Jugoslawien hinnehmbar: Der Kosovo bleibt bei Jugoslawien, erhält jedoch einen Autonomiestatus; Jugoslawien zieht sich aus dem Kosovo zurück; die UÇK wird entwaffnet; die NATO verwaltet den Kosovo. Die Vereinten Nationen tauchen in dem Abkommen nicht auf. Nicht akzeptieren wollte Jugoslawien einen weiteren Punkt, der auf Drängen der USA hinzugefügt worden war: Die NATO wollte einen Teil Jugoslawiens militärisch besetzen. Warum hätte Jugoslawien dies tun sollen? Warum hätten sie einem fremden Bündnis, das ihren Kriegsgegner, die albanische UÇK, unterstützt, einen Einmarsch erlauben sollen?
Daher war dieser Krieg, der allein von der NATO beschlossen wurde, ein Bruch des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen. Er verstieß auch gegen Art. 26 unseres Grundgesetzes, das die Führung von Angriffskriegen als verfassungswidrig einstuft und unter Strafe stellt, und gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der Grundlage der deutschen Vereinigung war. Der Militäreinsatz war noch nicht einmal durch das NATO-Statut gedeckt, das (damals) militärische Einsätze auf die Verteidigung des Bündnisgebietes begrenzte. Die Mitwirkung am Kosovokrieg war somit Deutschlands erster Angriffskrieg seit 1945, und zudem noch völkerrechtswidrig.
Der Militäreinsatz der NATO dauerte bis zum 9. Juni 1999, der Einigung durch Verhandlungen. Die Bombardierung endete. Das Zweck des NATO-Einsatzes war erreicht, Jugoslawien zum Rückzug aus dem Kosovo gezwungen. Es musste auf seine Ziele verzichten, nämlich den Schutz seiner Minderheit im Kosovo und die Abwehr der externen Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Am 10.6.1999 unterstellten die Vereinten Nationen den Kosovo der Verwaltungshoheit der UN-Mission im Kosovo (UNMIK). Für die militärische Sicherheit im Kosovo sorgt die von der NATO gebildet KFOR.
Der Kosovokrieg war Folge eines jahrzehntelangen Streits um den Status des Kosovo innerhalb der Jugoslawischen Föderation. Der Konflikt verschärfte sich 1989, als Jugoslawien die bisher vereinbarten Autonomierechte annullierte und den Kosovo wieder zu einer “Autonomen Region” herabstufte. Dies bewirkte nicht nur rechtliche Änderungen, sondern brachte auch deutliche Benachteiligungen der albanischen Bevölkerung.
Diese Lage führte zur Bildung der kosovo-albanische Befreiungsarmee UÇK und ihrem Kampf für die Unabhängigkeit. Anfangs wurde die UÇK von den westlichen Staaten als Terrororganisation bezeichnet und behandelt, später jedoch auf Drängen der USA anerkannt und gefördert. Westliche Militär- und Geheimdienste unterstützten die UÇK, sogar mit schweren Waffen. In Deutschland durfte die UÇK bei den hiesigen Albanern Kriegsabgaben eintreiben (man stelle sich mal vor, Kurden und Palästinenser würden dies heute tun).
Zutreffend ist, dass vor dem Krieg erhebliche Übergriffe Jugoslawiens im Kosovo stattgefunden hatten. Allerdings gab es damals noch die schützende Hand der OSZE-Beobachter, die jedoch rechtzeitig vor dem NATO-Angriff rasch zurückgezogen wurden. In den Auseinandersetzungen zwischen dem jugoslawischen Militär und der UÇK begingen beide Kriegsgegner schwere Menschenrechtsverbrechen.
Als erstes im Krieg stirbt die Wahrheit. Im Kosovokrieg galt dies auch für die Bundesregierung, für die meisten Medien und natürlich für die NATO-Informationspolitik. Grausamkeiten und Fehlleistungen der NATO wurden solange dementiert, bis sie nicht mehr zu leugnen waren. Angebliche jugoslawische Konzentrationslager erwiesen sich als Fußballstadien, die behaupteten Massengräber wurden nie gefunden. Menschenrechtsverletzungen während des Krieges wurden auf die Vorkriegszeit datiert, um den Überall zu rechtfertigen. Der von Scharping beschriebene Hufeisenplan, der die geplante ethnische Säuberung des Kosovo belegen sollte, hatte keinen sachlichen Hintergrund.
Die Bombardierungen der NATO richteten sich gegen verschiedenste Ziele in Serbien, sogar in der Hauptstadt Belgrad. Die Erklärung der Bundesregierung, es würden nur militärische Ziele bombardiert, erwies sich rasch als falsch. Unter dem Vorwand, die Anlagen könnten auch militärisch genutzt werden, wurden jugoslawische Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Heizwerke, Kraftwerke, Telekommunikationseinrichtungen und Produktionsanlagen, sogar Regierungsgebäude, Wohnstätten, Krankenhäuser und Schulen zerstört. Die Bombardierung wurde erst nach elf Wochen gestoppt.
Den USA und Großbritannien wurde immer wieder vorgeworfen, dass sie bewusst auf ein militärisches Eingreifen der NATO hingearbeitet und eine friedliche Konfliktlösung hintertrieben hätten. So habe es auch keinerlei Bemühungen um ein UN-Mandat gegeben, selbst wenn zu erwarten war, dass Russland ein Veto einlegen würde. Man konnte den Eindruck gewinnen, es ginge um die Unterwerfung Jugoslawiens (und um die Demütigung seines Partners Russland). Heute wird sogar spekuliert, ob die NATO mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien vielleicht eine Blaupause für den Angriff Russlands auf die Ukraine geliefert habe. Russland hat sich jedenfalls bei der Besetzung der Krim diese Argumentation zu eigen gemacht.
Der Deutsche Bundestag hatte dem Einsatz im Kosovo bereits im Oktober 1998 zugestimmt – allerdings gegen das Votum des FDP-Justizministers. Anfänglich waren Kritik und Proteste in Deutschland noch recht schwach. Im Zuge des Bombardements änderte sich dies. Die Auseinandersetzungen wurden härter, auch in den Medien. Persönlichkeiten aus der Politik meldeten sich kritisch, vor allem als klar war, dass die Öffentlichkeit getäuscht wurde. Besonders deutliche Worte der Kritik fand der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, der von einem „ordinären Angriffskrieg“ sprach und meinte: „Noch nie haben so wenige so viele so gründlich belogen.“ Selbst der damalige Kanzler Gerhard Schröder bezeichnete 2014 den Kosovokrieg als völkerrechtswidrig (und damit sich selbst als Rechtsbrecher).
Die im Februar 2001 gezeigte WDR-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ sorgte für Furore und zahlreiche Sonderveranstaltungen. Viele Täuschungen wurden entlarvt und richtig gestellt. Trotz mancher Proteste von Kriegsbefürwortern blieb der WDR bei seiner Darstellung. Die gern benutzte Aussage, der Krieg habe eine humanitäre Katastrophe verhindern müssen, ließ sich nicht mehr halten. Ein einzelstaatliches Recht auf humanitäre Interventionen gibt es im Völkerrecht ohnehin nicht.
Für die Grünen wurde die Beteiligung am Kosovokrieg zur Zerreißprobe. Befürworter des NATO-Einsatzes meinten, das Grüne Projekt würde scheitern, wenn die Grünen als Regierungspartner zu ihren friedenspolitischen Grundwerten zurückkehren und im Bundestag eine Oppositionshaltung einnehmen würden. Gegner sahen es genau andersherum: Wenn die Grünen wegen ihrer Regierungsbeteiligung ihre friedenspolitischen Überzeugungen aufgeben, scheitert das Grüne Projekt. Manche bedauerten sogar, dass die Grünen 1998 in die Bundesregierung gelangt waren. In der Opposition wäre es selbstverständlich gewesen, gegen den Kriegseinsatz zu demonstrieren.
Die Entscheidung über die Kriegsbeteiligung fiel auf einer außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz Mitte Mai 1999 in Bielefeld. Weil Demonstranten den Eingang zur Tagungshalle blockiert hatten, musste Polizei eingesetzt werden. Außenminister Fischer warb für den deutschen Kriegseinsatz, warnte vor einem Völkermord im Kosovo und zog sogar Parallelen zu Auschwitz. Dieser Vergleich löste bundesweit Empörung aus. Damals wurde Fischer mit einem Beutel mit roter Farbe beworfen.
Eine Mehrheit von 444 Delegierten stimmte für die deutsche Beteiligung am NATO-Einsatz. Der Alternativantrag, der einen sofortigen und bedingungslosen Abbruch der NATO-Angriffe forderte, erhielt 318 Stimmen. Die Entscheidung führte innerhalb der Grünen Partei zu einer Vielzahl von Protesten und Auseinandersetzungen, zu einer Reihe von Austritten (darunter auch der Autor) und sogar zu (kurzlebigen) Abspaltungen. Bei einer Reihe von Grünen, die in Bielefeld Joschka Fischer unterstützt hatten, wuchs nach einiger Zeit die Erkenntnis, dass die damalige Entscheidung ein Fehler gewesen war.
Angesichts der Rechtswidrigkeit des Angriffs gab es verschiedene Bemühungen um eine (straf)rechtliche Aufarbeitung. Im April 1999 erhob Jugoslawien beim Internationalen Gerichtshof Klage gegen zehn NATO-Staaten. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, da Jugoslawien während des Krieges nicht Mitglied des IGH war. – 2001 befasste sich der Europäische Menschengerichtshof mit einer Klage Belgrader Bombenopfer gegen die 17 NATO-Staaten. Die Kläger sahen in den Angriffen Verstöße gegen verschiedene Grundrechte, so das Recht auf Leben. Der Gerichtshof erkannte indes keine Zuständigkeit nach der Menschenrechtskonvention und sah damit die Zulässigkeit der Klage nicht als gegeben an.
Eine Schadensersatzklage serbischer Opfer von NATO-Luftangriffen gegen Deutschland hat der Bundesgerichtshof 2006 zurückgewiesen. Etwaige Entschädigungsansprüche stünden nur dem Heimatstaat der Opfer zu. – Bei der Bundesanwaltschaft wurde eine Reihe von Strafanzeigen gegen Kriegsverantwortliche gestellt. Diese lehnte es jedoch mit einer fadenscheinigen Begründung ab, tätig zu werden: Es seien nur solche Handlungen strafbar, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Dieses sei jedoch im Kosovo bereits gestört gewesen. Dazu muss man wissen, dass der Generalbundesanwalt gegenüber dem Bundesjustizminister weisungsgebunden ist.
Danke für diese Erinnerung an einen in der Tat erinnerungswürdigen Vorgang: den Beginn eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs. Annalena Baerbock – wie komm ich nur drauf? – bereitete sich damals auf ihr Abitur vor.
ich habe damals die Grünen verlassen, wegen dieses Angriffskrieges.