Sehenswerte Schwedenkrimiserie – und keine*r merkts?

Gewöhnlich wird um schwedische TV-Krimiserien viel PR-Gewese gemacht – auch und gerade von deutschen öffentlichen Anstalten. Aus irgendeinem mir nicht bekannten Grund scheint sich die ARD für “Deg/Dough”, verfügbar bis 15.6., irgendwie zu genieren. Warum nur?

Starke Frauenrollen, zahlreiche windige gewalttätige Männer, verlogenes Familienleben an der Schnittstelle zwischen blondem Schwedenmittelstand und multinationaler proletarischer Kriminalitätsszene. Strippenzieher der Produktion Levan Akin, der anders als seine Serie immerhin einen Wikipedia-Eintrag hat. Geborener Schwede übrigens, Verwandtschaftsverhältnisse mit unserem Fatih Akin sind mir nicht bekannt.

Die Geschichte von einer erbeuteten Beute ist spannend erzählt, schnell geschnitten, lakonisch kurz gesprochen, die Gesichter und Körper der Schauspieler*innen sprechen viel mit. Die weiblichen Hauptrollen Helena Af Sandeberg und Bianca Kronlöf sind sehr, sehr stark besetzt.

Spoilerwarnung

Das Ende der ersten Staffel lässt absichtsvoll mehr Fragen offen, als es beantwortet – ganz wie im richtigen Leben. Da die erste Staffel schon 2021 abgedreht wurde, scheint es zu einer zweiten aber nicht gekommen zu sein. Meine Hypothese: der gesellschaftspolitische Zusammenhang ist unter den nach rechts entwickelten politischen Verhältnissen in Schweden offenbar zu “schwierig” geworden. Wenn die AfD hierzulande in die Machtpositionen kommt, in die es die “Schwedendemokraten” schon geschafft haben, werden wir sowas nicht mehr zu sehen bekommen. Wobei: in Deutschland bekommen wir sowas ja jetzt schon nicht …

Ebenfalls sehr zu empfehlen: “The Actor”/Iran

“The Actor” ist in der Arte-Mediathek verfügbar bis 8.11. Arte-Teaser: “Die beiden Schauspieler Ali und Morteza machen das heutige Teheran zu ihrer Bühne: Sie werden für Heiratsanträge oder die Partys der Reichen engagiert und führen ihr unwissendes Publikum in ihren raffinierten Sketchen hinters Licht. Doch ihre Gagen reichen kaum zum Überleben … – Die achtteilige Serie (2022) aus dem Iran ist eine herausragende Hommage an die Schauspielerei.”

Dieser Plot ist aber nur der Vorwand, um uns soziale Wirklichkeit im Iran zu vermitteln: Armut und Reichtum, gebrochene Familienverhältnisse, damit einhergehender Lug und Trug, Geschlechterkrieg und die subtilen Mittel, die den Frauen bleiben, sich zu wehren und zu behaupten. Nicht zuletzt war der letzte soziale Aufstand gegen das Mullahreginme ein Aufstand, der von den Frauen ausging und -geht.

Faszinierend bleibt, wie sich die iranische (Film-)Kunst unter den repressiven Bedingungen behauptet. Fast schon beneidenswert aus der Perspektive des real existierenden deutschen Trashs.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net