Nicht wenige Politiker*innen in Mitteleuropa beneiden das katholisch geprägte Lateinamerika um seinen “Caudillismo”, auch und gerade Linke, die in hiesigen Längen und Breiten immer wieder von basisdemokratisch geprägten Mitbestimmungsforderungen gepeinigt werden. Haben nicht Hugo Chávez und zuletzt AMLO bewiesen, wie erfolgreich das sein kann? In der Tat haben es diese Herren mit den mächtigst denkbaren politischen Gegnern auf diesem Globus aufgenommen. War das nun Realismus oder Grössenwahn?
Möglicherweise dürfen wir das nicht so platt gegeneinandersetzen, sondern müssen uns intensiver mit der Kunst der Dialektik beschäftigen. Und mit den fraglichen Ländern und ihren inneren Mechanismen, den dort im Alltag ständig präsenten Klassen- und Diskriminierungsfragen.
Der abgetretene mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador hat das offenbar getan, und unterscheidet sich darin – zu seinem politischen Vorteil, und dem seiner triumphal gewählten Nachfolgerin – von den dominanten Medien der kapitalistischen und neokolonialistischen Welt. Das wurde mir, mal wieder, mit diesem spannenden Interview von Paco Ignacio Taibo II (Interview: Marco Teruggi, Mario Santucho, Übersetzung: Susanne Schartz-Laux/amerika21 klar: “Reise auf den Grund der Vierten Transformation in Mexiko – Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II über das politische Experiment der Linksregierung, das ‘Vierte Transformation’ genannt wird”. Hier hat offenbar jemand nicht nur die gesamtgesellschaftlichen, sondern auch die Medien-Machtverhältnisse, intensiver studiert, als mitteleuropäische Politiker*innen dazu überhaupt in der Lage sind. Und hiesige Medien inkl. ihrer Korrespondent*inn*en, die in der Regel für ein Dutzend Länder zuständig sind, verstehen keine einzige der zahlreichen Andersartigkeiten.
Ich kann nachvollziehen, warum das Sahra Wagenknecht oder Jean-Luc Mélenchon gefällt. Und in der Tat finden sie auch in Mitteleuropa elektorale Fundamente, begünstigt durch die neoliberale Radikalität der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung. Inwieweit das nun eher strategische Intelligenzbeschränkung oder Klugheit ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Das wäre kein Schaden, sondern eine Diskursbereicherung, wenn nicht gleich nach jeder Meinungsverschiedenheit wieder eine neue “Partei” gegründet würde. So frisst sich der neoliberale Individualismus in die Reihen derer, die ihn (angeblich) bekämpfen wollen, subversiv hinein.
Ornella Guyet/Jungle World: “Die Linke, das bin ich! – Jean-Luc Mélenchon geriert sich als der Anführer der französischen Linken. Der Gründer der Partei La France insoumise ist ein Populist, der opportunistisch seine Positionen wechselt, antisemitische Ansichten vertritt und seine Partei in autokratischer Manier führt.”
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