Die Eschbachtalsperre, aus der Remscheid lange Jahre sein Trinkwasser bekam, soll wieder genutzt werden. Die 1891 eingeweihte Anlage war die erste Trinkwasser-Talsperre Deutschlands. Vor zwanzig Jahren wurde das Wasserwerk außer Betrieb genommen – es entsprach nicht mehr dem Stand der Technik.
2020 beschloss die Stadt Remscheid wegen des Klimawandels, die Eschbachtalsperre für die Trinkwasserversorgung zu reaktivieren. Die Staumauer war schon Anfang der 1990er Jahre verstärkt worden. Geplant ist der Bau einer Ultrafiltrationsanlage (Membrantechnik), so dass die Trinkwasseraufbereitung wieder beginnen kann. Natürlich gehört dazu eine Einweihungsfeier. Einer der Gäste hat sich so seine Gedanken gemacht:
Ein Mensch liest morgens in der Zeitung,
dass künftig in der Wasserleitung
membrangefiltert Wasser sei,
kristallklar und partikelfrei.
Dank dieser neuen Technik schmeckt
das Eschbachwasser jetzt wie Sekt.
Das Bauwerk sei zur Gegenwart
das leistungsstärkste seiner Art.
Und heute würd’ es eingeweiht
mit einer großen Lustbarkeit.
Der Mensch bleibt nicht zu Hause hocken.
Er lässt sich gern nach Remscheid locken,
nimmt in der letzten Reihe Platz
und lauscht den Reden Satz für Satz,
damit er möglichst rasch versteht,
wie das mit den Membranen geht.
Dem Menschen schwirren bald die Ohren,
von Kapillaren, Viren, Poren,
von Parasiten und Bakterien,
von Trink- und Rohwasserkriterien,
von Filtern für Mangan und Eisen,
bis dass im Kopf die Worte kreisen.
Und bei den Flocken, den porösen,
fängt er ganz langsam an zu dösen.
Da weckt ihn kräftiger Applaus,
die letzte Rede ist jetzt aus.
Der Mensch schließt sich dem Beifall an,
das Schläfchen hat ihm gut getan.
Er fühlt sich nunmehr als Experte
für Wasseraufbereitungswerte.
Und er erwartet ganz entzückt:
Jetzt wird der rote Knopf gedrückt,
dann springen die Membranen an,
damit das Wasser fließen kann.
Doch das Gedränge ist zu groß,
er hört entfernt die Worte bloß:
„Zum Rundgang gehen wir jetzt alle
in uns’re Druckmembranenhalle.“
Der Mensch reiht sich mit festem Schritte
in die Membranbesuchermitte,
bleibt gleich beim ersten Filter stehen,
solch Ding hat er noch nie gesehen.
Doch er verkennt die Nutzanwendung
und meint, es sei gewiss Verschwendung,
für solche winzigen Membranen
ein riesengroßes Fest zu planen.
Er sieht die Pumpen und die Röhren,
da scheint ihn irgendwas zu stören.
Urplötzlich wird es ihm bewusst:
Er hat auf ganz was and’res Lust.
Man hatte ihm doch kurz und bündig
auch einen Umtrunk angekündigt,
mit Imbiss – wie es angebracht,
wenn jemand eine Feier macht.
Der Rundgang steht ihm bis zum Kragen,
er braucht jetzt etwas für den Magen.
Membranen dort, Membranen hier,
viel lieber wär’ ihm jetzt ein Bier.
So schleicht der Mensch gekonnt von hinnen
und findet mit geübten Sinnen
das Festzelt vor der Ausgangstür.
Dort trinkt er rasch ein kühles Bier.
Auch das Buffet ist sehr zu loben.
Er fühlt sich bestens aufgehoben.
So sitzt er, weil es ihm gefällt,
allein in einem großen Zelt.
Zum Feiern ist er wild entschlossen
und hat den Tag vergnügt genossen.
Er trinkt und isst und säuft und prasst
und fühlt sich fast als Ehrengast.
Der Anlass ist ihm allemal
inzwischen ganz und gar egal.
Membrane oder Filterbecken –
solange nur die Bierchen schmecken,
wenn er sich kostenlos bezecht.
Im Grunde hat der Mensch wohl recht.
Anm. d. Red.: Wenn Sie sich an diesem Poem erfreut haben, dann schätzen Sie mglw. auch Erich Kästner sehr, dessen 50. Todestag jüngst öffentlich begangen wurde. Ein sehr guter ARD-Film von 1999 “Bürgerschreck und Menschenfreund” – danke ARD – als Video nicht verfügbar. Aber die Lange Nacht des DLF “‘Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es’ – Erich Kästner schrieb unvergessene Bücher für Kinder und Erwachsene. Zum 50. Todestag erzählt die ‘Lange Nacht’ über das Leben und Werk eines Mannes, der bis heute als einer der bedeutendsten Autoren und Intellektuellen seiner Generation gilt.”, Audio 160 min.
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