Der “größte Gefangenenaustausch der Geschichte” zwischen Ost und West, an dem die deutschen, US-amerikanischen und russischen Verurteilten als Nutzniesser beteiligt werden, ist rechtsstaatlich höchst umstritten und zweifelhaft. Dass in Zeiten des “Kalten Krieges” und bis heute Spione ausgetauscht und Diplomaten gegenseitig ausgewiesen werden, gehört zum diplomatischen Spiel auf internationaler Ebene. Dass aber zu jahrzehntelanger Haft verurteilte Mörder auf diesem Wege freigepresst werden können, hat eine neue Qualität. Die Frage nach der Rechtstaatlichkeit eines solchen “Deals” muss deshalb gestellt werden.
ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke hat denn auch im “Heute Journal” am 1.8.24 festgestellt, dass der rechtlich einwandfreie Weg allein die vorherige Begnadigung des Deliquenten durch den Bundespräsidenten und anschließende Auslieferung oder Abschiebung des Täters gewesen wäre. Allerdings wäre dies bei einem Mörder, der unter normalen Umständen noch mindestens 10 Jahre seiner Strafe bis zur gesetzlichen 2/3 Strafen-Regelung und vorzeitigen Entlassung hätte absitzen müssen, bevor er hätte freigelassen werden können, ein politisches und juristisches Unding gewesen.
Also hat man offensichtlich zu einem Trick gegriffen, den § 456a StPO anzuwenden, der ausschließlich für den Fall kennt, dass ein verurteilter Straftäter auch vor Verbüßung seiner Strafe an seinen Heimatstaat ausgeliefert werden kann, um dort den Rest seiner Strafe abzusitzen oder wegen anderer Verbrechen angeklagt werden kann. Bei der Verurteilung des Täters wurde eine “besondere Schwere der Schuld” festgestellt, die eine vorzeitige Entlassung durch Anwendung der 2/3- oder gar Halbstrafenregelung ausschließt. Nach § 456a StPO unterliegt es dem Gernealbundesanwalt zu beurteilen, ob ein Überwigen des Strafinteresses vorliegt.
Auslieferung von Straftätern ist etwas anderes
Bei Mitgliedern der Mafia etwa, die nach Italien ausgeliefert werden, wird diese Möglichkeit bisweilen angewandt. Dieser Praxis hat man sich in diesem Fall offensichtlich bedient. Allerdings wird dem Tiergartentäter in Russland keineswegs ein Prozess oder Haft drohen, sondern Wladimir Putin hat seinem langjährigen Agenten den “roten Teppich” ausgerollt. Ganz anders übrigens als Julian Assange in Großbritannien, dem bei der Auslieferung an die USA 170 Jahre Haft gedroht hätten. Dem Generalsbundesanwalt hat dieser Anwendung des § 456a StPO offensichtlich widersprochen, wurde aber, so wird berichtet, von Bundesjustizminister Buschmann (FDP) angewiesen, seinen Widerspruch aufzugeben, den Verurteilten Krassikov in Haft zu behalten. Dies, so die ZDF-Rechtsexpertin, sei juristisch nicht angreifbar, weil politisch vom Kanzleramt und Bundesjustizminister verfügt. Bundesregierung und die von Scholz offensichtlich ins Boot geholte CDU/CSU-Opposition haben den Austauch insgesamt begrüßt und alle Beteiligten berufen sich darauf, es sich “nicht leichtgemacht” zu haben.
Entscheidung mitnichten sakrosankt
Fakt ist, dass die Bundesanwaltschaft vom Justizminister angewiesen werden kann. Dann sind – wie in diesem Fall – die Ausgetauschten weg. Außerdem wird in der Regel § 456a nur auf z.B. Ausländer angewednet, die als Drogendealer den Großteil ihrer Strafe abgesessen haben und dann abgeschoben werden. Nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz steht gegen das Handeln der Exekutive, also auch der Bundesregierung, der Rechtsweg offen. Die Frage ist also die nach dem Rechtsweg gegen diese Anweisung des Bundesjustizministers und damit die nachträgliche Möglichkeit, sein politisches Handeln zu überprüfen. Zwar betont die Bundesregierung zur Begründung, eine Vielzahl von Menschenrechten bei Dritten wären betroffen gewesen und hätten durch den Gefangenenaustausch gewahrt werden können. Etwa das Leben des in Belarus unter fadenscheinigen Begründungen zum Tode verurteilten Deutschen.
Der Elefant im Raum
Aber die Frage steht wie ein Elefant im Raum, ob in Zukunft jede willkürliche Verhaftung eines oder einer Deutschen – durch Regime wie Iran, Tunesien, Ägypten, die Türkei oder die üblichen Verdächtigen in Osteuropa oder Fernost einen solchen Gefangenenaustausch zur Folge haben könnte. Helmut Schmidt würde sich darüber sicher im Grab herumdrehen, denn die Frage ist berechtigt, was die Bundesregierung tut, wenn der Iran sämtliche ARD- und ZDF-Korrespondent*innen unter Spionageverdacht zum Tode veruerteilt, um im Gegenzug Hamas- und Hisbollah, die Türkei politisch kritische Doppelstaatler verhaftet, um IS-Terrorist*innen aus Deutschland freizupressen?
Frage nach der präjudizierenden Wirkung
Problematisch ist aber darüber hinaus auch die Frage, welches deratige staatliche Handeln in Zukunft erlaubt sein soll, wenn diese Art des Vorgehens zur “Gewohnheit” wird. Wir hatten es im vorliegenden Fall mit einem nach humanitären Maßstäben moralischen Deal zu tun, der zudem der US-Regierung Biden nützt. Der allerdings die Frage aufwirft, warum dieser nicht zugunsten von Alexander Nawalny genutzt worden ist, um ihn vor dem Tod im Folterlager zu retten.
Was aber, wenn eine zukünftige CDU/CSU-AfD-Regierung auf die Idee käme, deutsche Neonazis, die in den USA unter der dritten Trump-Regierung wegen Menschenjagd und Totschlags schwarzer Demonstranten zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, gegen linke Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen von ADA und Greenpaece aus den USA auszutauschen, die sich hier vor dem Bundeskanzleramt von Friedrich Merz gegen dessen rigide Abschiebungen nach Nordafrika festgeklebt haben. Sie waren deshalb im Rahmen der neuen “Antiterrorgesetze” der schwarz-blauen Koalition zu 10 Jahren Gefängnis wegen “staatsgefährdender Nötigung” verurteilt worden. Dieses Beispiel macht hoffentlich klar, dass es ein Agieren im rechtsfreien Raum in Zukunft nicht geben kann.
In manchem Einzelfall stimmt die herrschende Erzählung nicht:
https://overton-magazin.de/top-story/politische-geiseln-im-austausch-gegen-moerder/
Mein Vorschlag für einen Austausch: freies Geleit und würdiges Leben für den Helden unserer digitalen Freiheitsrechte Edward Snowden
https://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Snowden