Rezension, böse Rezension: Über eine Biographie zu Mercedes Sosa die keine ist
Nabelschauen in der Literatur oder was manche dafür ausgeben sind Legion. Besuchte man etwa früher die Mainzer Minipressen-Messe so fanden sich dort durchaus interessante Handpressenverlage, Buchdruckkunst eben. Finanziert wurde das Ganze aber wohl weitgehend durch die Egomanien der ausstellenden Fastaufschreiber, die es wie Sand am Meer gab, und von deren Konsumenten und Innen. Allesamt hielten sie ihr Scheissgeräusch gleich für das Scheissgeräusch der Welt und bliesen zur Bauchnabelschau. Man verstand sich. Kein abendfüllendes Programm, doch zwischen hypochondrischen selbstverlegten Autobiographien, Esoterikgedöns, Motivationsratgebern und – wie es damals ebenso böse wie treffend hiess: – Hausfrauenlyrik fühlten sich die Gefangenen von derlei Frevel am gedruckten Wort geborgen wie Häuptling und Squaw am heimischen mentalen Buchstabenherdzerwürfnis. Schulterklopforgien für Belanglosigkeiten waren die Regel. Diese Art von Missverständnis existiert, man glaubt es kaum, bis heute.
Gerade ist der Schmöker „Mercedes Sosa – Die Stimme der Hoffnung. Eine Begegnung, die mein Leben veraenderte“ erschienen, verfasst von der in Bodrum, Türkei lebenden Dänin Anette Christensen. Das Buch wird im Netz als Biographie feilgeboten, doch das ist irreführend, da wird ein X für ein U vorgemacht. Über Frau Sosa sind im deutschsprachigen Raum im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche spannende Werke publiziert worden, die meisten kaum noch zu bekommen. Eine aktualisierte Biographie ist notwendig und wäre spannend.
Als Anlass der deutschen Veröffentlichung (eine englische und spanische liegen bereits vor) wird die Tournee angeführt, die Mercedes Sosa im Mai/Juni 1988 zusammen mit Konstantin Wecker und Joan Baez durch die alte Bundesrepublik sowie Zürich und Wien führte. Ich goutierte damals den Auftritt des Trios im Braunschweiger Kennel-Bad. Es war erwartet mies besucht. Das Buch beginnt mit Danksagungen, so könnte es meinetwegen enden. Christensen bedankt sich bspw. bei ihren „Investoren“, die es ihr „ermöglichten, mit erstklassigen Redakteuren zusammenzuarbeiten“. Hat ihr Anspruch gegen Null tendiert? Ein David Larkan soll sich der „Endredaktion“ des Buches gewidmet haben. Nun, ein Lektor haette dem Buch durchaus gutgetan.
Zum Eingemachten. Frau Christensen hat Frau Sosa weder je getroffen noch überhaupt gekannt. „Ich hörte zum ersten Mal von Mercedes Sosa, als ihr Tod in den Nachrichten verkündet wurde.“ Frau Christensen hat von dem Genre, das sie beackerte (angeblich neun lange Jahre) keinen blassen Schimmer. Früher wollte sie die Inder missionieren, später verhökerte sie mit ihrem Mann Reisen und Immobilien. Sie heiratete mit über 30, sexuelle Erfahrungen habe sie bis dahin nicht gehabt. Die Weltwirtschaftskrise, die sie euphemistisch „Finanzkrise“ nennt, brach ihnen das Genick, obwohl sie nach eigenen Angaben mit den solventesten Finanzmagnaten Dänemarks kooperierten. Das ihre „Finanzkrise“ Länder wie Argentinien nie wieder verlassen hat – eine Unbekannte. Sie war noch nie in Lateinamerika, spanischsprachige Quellen hat sie für ihr Buch erst gar nicht genutzt.
Es kommt noch besser. Nach nicht verarbeiteten Kindheitstraumata entdeckt Christensen in der mittlerweile mausetoten Mercedes Sosa eine Art Ersatzmutter, die fortan alles anders und also besser machen wird, und beruft sich dabei auf „Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie“. Bei der Klolektuere derselben hat´s ja so einige befallen.
Was Christensen im ersten Teil des Buches dann doch über Mercedes Sosa zusammenzimmert, ist unreflektiertes Nacherzählen, unkoordiniert und extrem lückenhaft. Dafür legt die Dänin ein psychologisches Profil der Volkssängerin an, stülpt es über die Tote und zieht daraus ihre Schlüsse. Grässlich. Dabei verheddert sich Christensen auch wiederholt in armutsromantisierende Interpretationen, etwas das in den von Sosa interpretierten Texten ein Tabu ist. Umgekehrt kolportiert die Dänin, Sosa habe am Leiden ihres Volkes gelitten. Erzählen Sie mal einem armen Argentinier (etwa die Hälfte der Bevölkerung) er sei arm – der wird ihnen was Husten!
Christensen führt an, dass Mercedes Sosa in die Kommunistische Partei eingetreten sei, aber kurz darauf auch wieder aus. Passt auch besser ins Konzept ihres Selbstheilungsthrillers, sich permanent mit der Revolutionärin zu vergleichen. In einem Interview mit dem argentinischen Schriftsteller Martín Caparrós, um das Millenium herum, bemerkte Sosa: „Ich trat 64, 65 in die KP ein und 86, 87 wieder aus. Ich weiss nicht, ob ich in Russland Kommunistin gewesen wäre. Für uns war das eine Schwärmerei, in Russland? Keine Ahnung …“ Mercedes Sosa begann in einer Epoche mit dem Singen, als die meisten Künstler und Intellektuellen links waren. Unter den „folkloristas“ gab es einen kommunistischen Nukleus, der federführend war: César Isella, Armando Tejada Gómez, Horacio Guarany. Sie brauchte keinen Lenin um zu kapieren wo das Unrecht war. „Kommunistin zu sein war meist schwierig, man wurde marginalisiert, auch von den eigenen Leuten, von links.“ Sosa glaubte nicht an den bewaffneten Kampf: „Frieden wird mit vielen Menschenleben bezahlt.“ Die Militärs diffamierten sie als Trotzkistin. „Den kannte ich gar nicht.“ Die Zeit von 1976-1983 bezeichnet Christensen als „Militärdiktatur“. Es war aber eine zivil-militärische Diktatur, und deshalb konnte sie so blutig sein. (Interessant ist, dass Christensen ihr Buch mit einer Rezension der Tageszeitung „Clarín“ bewirbt, die Komplize der Diktatur war.) Entgegen der Dänin hat Sosa die Partei also weder vor, noch in der Diktatur noch während ihres – eher kurzen – Exils in Europa verlassen.
Wenn Christensen Sosas Schaffen in einen geschichtlichen Kontext, den argentinischen der vergangenen Dekaden, zu rücken versucht, wird es abenteuerlich. Weder erwähnt sie das „Massaker von Ezeiza“ (1973), bei dem rechte Peronisten linke Peronisten bei der Rückkehr Peróns in einen Hinterhalt lockten, noch den „Rodrigazo“ (1975), einen brutalen Angriff auf die Reallöhne der in den Putsch mündete, noch die Fussball-WM 1978. Wer das nicht versteht und ausblendet, versteht Argentinien nicht. Zu den zahlreichen schwerwiegenen Fehlern des Machwerks gesellen sich andere, die auch ein Unwissender richtig zu machen hat, etwa Namen von Städten, Künstlern, Songtiteln. Eine kurze, beliebige Anhäufung des Wahnsinns: Tucumán ist kein „Staat“. La Plata ist kein „Ferienort“. (Mar del Plata?) Der Sommerabend 1983 war ein Winterabend, da läuft niemand bei Temperaturen gegen den Gefrierpunkt auf Konzerten in Buenos Aires halb nackig herum. Das Viertel „Banjo Flores“ in Baires heisst „Bajo (Unteres) Flores“. Die Grenzstadt zu Bolivien heisst nicht „La Quack“, sondern „La Quiaca“. Der Sänger Jorge Cafrune heisst nicht Jorge Carne (Fleisch). Ein Lied von Victor Heredia, der Verschwundene in der Familie hat, wird als „Ottava Centimos“ angegeben. Es heisst „Todavía cantamos“ (Wir singen immer noch), einer der wichtigsten Texte gegen die Völkermörder. Heredias Lied „Razón de vivir“ (Grund zu Leben) nennt Christensen egal-egaler-am egalsten „Inzensier“. Mercedes‘ Musikerfreund aus Brasilien heisst nicht Chico Baroque, sondern Buarque. Wow, was für eine Poetin!
Entgegen des Waschzettels ist das Buch der Wahl-Türkin sehr lieblos hergestellt. Bestialische Kategorisierungen wie „Mentalitaet der Armut“ möchte niemand hören. Es gibt auch keine „Aufmachung“ von Gauchos. Allen leidgeplagten Seelen, die sich so gerne am Ungemach anderer erlaben, empfehle ich jedoch den zweiten Teil des Buchs, da geht es quasi nur noch um Anette und wie sie die Anettewelt rettet. Garantiert ohne Schiessgewehr. Geoblocking für Fastautoren hat die Schlierenampel noch nicht für sich entdeckt. Der Lernende stirbt zuletzt.
Anette Christensen: Mercedes Sosa – Die Stimme der Hoffnung. Eine Begegnung, die mein Leben aenderte, BoD, Norderstedt 2023, tb mit s/w-Fotos, 274 Seiten, ISBN 978-3-7519-8270-2, Euro 20. Eine gekürzte Version dieses Beitrages erschien im nd, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors. Links wurden nachträglich eingefügt.
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