Mpox: Alarmismus bezüglich „gesundheitlicher Notlage“ sollten wir vermeiden – Die wahre Notlage in der DR Kongo lässt sich nicht auf ein Virus reduzieren, sie hat eher mit unseren Handys zu tun. Dass die WHO reagiert hat, ist trotzdem richtig.
Vergangenen Mittwoch erklärte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch von Mpox in der Demokratischen Republik (DR) Kongo und einigen Nachbarländern der DR Kongo zur „gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite“. Diese wird im Folgenden mit ihrem englischen Kürzel als PHEIC (für Public Health Emergency of International Concern) abgekürzt, was kurioserweise wie „Fake“ ausgesprochen wird.
Eine PHEIC wurde 2005 in den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) definiert als „ein außergewöhnliches Ereignis, das bestimmt ist, durch internationale Krankheitsübertragung ein Risiko für die öffentliche Gesundheit anderer Staaten darzustellen und potenziell eine koordinierte internationale Antwort zu erfordern“.
Bisher wurde eine solche Notlage siebenmal ausgerufen, zuletzt bereits 2022 wegen Mpox. Damals bereitete der WHO vor allem die Ausbreitung in bisher nicht betroffenen Ländern außerhalb Afrikas Sorge. Betroffen waren fast ausschließlich homo- und bisexuelle Männer, die sich beim Geschlechtsverkehr mit der in Westafrika endemischen Variante Klade II infizierten. Die PHEIC wurde im Mai 2023 beendet, nachdem die weltweiten Fallzahlen gesunken waren.
Im Kongo, wo die Krankheit 1970 entdeckt wurde, ist Mpox jedoch endemisch und breitete sich zuletzt weiter aus. Dort überwiegt die Klade I, die häufiger zu Todesfällen führt, wobei die Datenlage schlecht ist und die höhere Sterblichkeit zum Teil auch durch die katastrophale humanitäre Situation in Teilen der DR Kongo bedingt sein kann: Unter anderem infolge der bewaffneten Konflikte in der Region leben Millionen Menschen auf engstem Raum. Krankheiten können sich hier rasant ausbreiten, wie auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen betont.
2024 wurden aus der Demokratischen Republik Kongo bereits 15.600 Fälle mit 537 Toten gemeldet. Jedoch dürfte die Dunkelziffer insbesondere milder Erkrankungen um einiges höher liegen, sodass die hohe Fallsterblichkeit nicht aussagekräftig ist. Im Vergleich starb von den rund 3700 im Jahr 2022 in Deutschland mit Mpox (Klade II) diagnostizierten Patienten kein einziger.
Die WHO schlägt nicht nur wegen der seit Jahren steigenden Inzidenz Alarm, sondern auch weil im Oktober 2023 in der Provinz Süd-Kivu eine neue Variante (Klade Ib) entdeckt wurde, die sich mittlerweile auch auf Nachbarländern ausgebreitet hat und vergangene Woche außerdem bei einem Stockholmer Patienten festgestellt wurde, der sich jedoch in Afrika infiziert hat. Ob Ib ansteckender ist, ist nicht gesichert, wie die niederländische Virologin Marian Koopmans feststellt, zudem gebe es „keine Hinweise auf eine erhöhte Erkrankungsschwere von Viren der Subvariante Ib“. Eine Studie aus Süd-Kivu, die als Preprint erschienen ist, stellt heraus, dass die Klade Ib dort offenbar vor allem beim Geschlechtsverkehr übertragen wurde und fast ein Drittel der Betroffenen Prostituierte waren.
Was ist Mpox?
Symptome von Mpox sind vor allem Pusteln auf der Haut, die sehr schmerzhaft sein können und die häufig auch von allgemeinen Krankheitssymptomen wie Fieber begleitet werden. Die Hautveränderungen ähneln denen, die von deutlich weiter verbreiteten Krankheiten wie Windpocken oder Herpes verursacht werden können. So sind Fehldiagnosen nicht unwahrscheinlich. Beispielsweise beschreibt Focus Online den Leidensweg eines deutschen Mpox-Patienten, dem mehrere Ärzte zunächst einen Sonnenbrand und später Windpocken diagnostizierten, bevor im Krankenhaus schließlich Mpox festgestellt wurde.
Zwischen Menschen überträgt sich Mpox vorwiegend durch engen Hautkontakt mit symptomatisch Infizierten, vor allem beim Geschlechtsverkehr, jedoch auch etwa zwischen Kindern. So stellt Justin B. Eyong, epidemiologischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in der DR Kongo, fest, dass Kinder unter 15 Jahren 56 Prozent aller Mpox-Fälle bzw. 79 Prozent aller Todesfälle im Jahr 2024 ausmachen (im Vergleich zu 47 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung). Die Pockenbläschen oder auch der Schorf abheilender Pusteln sind besonders infektiös. Diese können sich auch auf Schleimhäuten, bspw. im Mund befinden und müssen daher nicht unbedingt sichtbar sein. In Endemiegebieten sollen zudem auch Infektionen über von Infizierten berührte Oberflächen vorgekommen sein.
Was bedeutet die PHEIC?
Das Ausrufen einer gesundheitlichen Notlage stößt heute auf breiteres Interesse, als das wohl vor 2020 der Fall gewesen wäre. Noch frisch ist die Erinnerung an Corona als „epidemische Notlage nationaler Tragweite“, die in Anlehnung an die PHEIC benannt, hierzulande jahrelang den Alltag bestimmt hat. Eine PHEIC impliziert jedoch nicht zwangsläufig eine Pandemie. Ohnehin wird auch eine Pandemie gemeinhin als eine ungewöhnlich schnelle globale Verbreitung einer Infektionskrankheit verstanden. Es gibt allerdings keine verbindliche oder allgemein anerkannte Definition.
In der Anfang Juni beschlossenen Reform der IGV, die noch nicht in Kraft getreten ist, einigten sich die WHO-Mitgliedstaaten zwar erstmals auf eine Pandemiedefinition, die jedoch so vage ist, dass um deren Auslegung sicher bei jedem künftigen Krankheitsausbruch gestritten werden wird. Die meisten bisherigen gesundheitlichen Notlagen internationaler Tragweite waren jedenfalls keine Pandemien, so wurde z.B. 2018 ein Ebola-Ausbruch in der DR Kongo als PHEIC klassifiziert, obwohl eine Gefahr allenfalls für benachbarte Staaten bestand.
Eine von der WHO eingesetzte Expertenkommission gibt regelmäßig Handlungsempfehlungen an die betroffenen Staaten und koordiniert Nothilfen, was jedoch jederzeit möglich ist. So hat die WHO bereits angekündigt, für den Kampf gegen Mpox einige Millionen Dollar aus ihrem Notfallfonds freizugeben, und nutzt die PHEIC-Erklärung vor allem auch, um Geberländer und -Organisationen aufzufordern, weitere Spenden beizusteuern. Damit sollen die betroffenen Staaten etwa mit Geräten zur Testung und Gensequenzierung ausgestattet werden, aber auch Kontaktnachverfolgung und Risikokommunikation unterstützt werden.
Diese Ausgaben könnten aber von den Kosten für Impfstoffe in den Schatten gestellt werden. So hat Gavi, die Impfallianz, eine der einflussreichsten öffentlich-privaten Partnerschaften, angekündigt, bis zu 500 Millionen Dollar für Impfstoffe bereitzustellen. Gavi finanziert sich, wie die WHO, vor allem aus Spenden großer Staaten wie den USA, dem Vereinigten Königreich und Deutschland sowie der Gates-Stiftung.
Pocken und der Siegeszug der Impfungen
Gezielt gegen Mpox entwickelte Impfstoffe gibt es bisher nicht, jedoch ist die Krankheit eng verwandt mit den Pocken – der Krankheit, die wie keine andere für den Siegeszug von Impfungen steht. Schon der Begriff Vakzin (vom lateinischen Wort vacca, zu Deutsch: Kuh) verweist auf Edward Jenners Entdeckung im Jahr 1796, dass die Impfung von für den Menschen verhältnismäßig harmlosen Kuhpocken auch gegen die Menschenpocken immunisiert. Nach einer weltweiten Impfkampagne erklärte die WHO die Pocken 1980 als bislang einzige Infektionskrankheit für ausgerottet.
Auch die Affenpocken, wie Mpox bis 2022 genannt wurde, sind glücklicherweise sehr viel milder als die ausgerotteten Pocken. Und Pockenimpfstoffe, mittlerweile nicht mehr aus Kuhpusteln gewonnen, bieten einer systematischen Übersichtsstudie von 2023 zufolge einen Schutz von über 80 Prozent gegen eine Infektion mit Mpox. Die meisten vor 1980 Geborenen wurden als Kinder gegen die Pocken geimpft und dürften damit auch eine Grundimmunität gegen Mpox aufweisen.
Der Pockenimpfstoff MVA-BN der Firma Bavarian Nordic ist bisher der einzige, der in der EU eine Zulassung als Mpox-Impfstoff erhalten hat. Ein im April erschienenes Preprint fasst die Ergebnisse bisher veröffentlicher Studien zur Wirksamkeit von MVA-BN gegen Mpox in reichen Ländern zusammen und findet eine Effektivität von 35 bis 85 Prozent nach einer Dosis und zwischen 66 und 90 Prozent nach zwei Dosen.
Die Ergebnisse beider Studien fußen jedoch auf nicht-randomisierten Beobachtungsstudien, das heißt, dass unter anderem Unterschiede in der Gesundheit und im Verhalten zwischen Geimpften und Ungeimpften das Ergebnis beeinflussen könnten. Zudem beziehen sie sich auf die Klade II, wobei die ohnehin für das Pockenvirus entwickelten Impfstoffe auch Infektionen mit Klade I verhindern können sollten.
Die während der Coronapandemie geschaffene Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen hat bereits eine Zusammenarbeit mit Bavarian Nordic verlautbart, die vorsieht, über 215.000 Dosen des Pockenimpfstoffs MVA-BN an das Africa CDC zu spenden. Schon in der Woche vor Ausrufung der PHEIC hat der WHO-Generaldirektor Impfstoffhersteller aufgefordert, eine Notfallzulassung der Vakzine zu beantragen, damit sie auch in Ländern verimpft werden können, die sie bisher nicht zugelassen haben. Der Schritt ermöglicht es außerdem Organisationen wie Gavi und Unicef, Impfstoffe zu beschaffen und zu verteilen.
Die wahre gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite
Corona hat gezeigt, welch dramatische Konsequenzen die politische Feststellung einer gesundheitlichen Notlage haben kann. Lockdownmaßnahmen behinderten den Handel und führten zu einer weiteren Verschärfung der extremen Armut, in der nach Angaben der Weltbank drei Viertel der rund 100 Millionen Kongolesen leben, die weniger als 1,95 Euro am Tag verdienen. Die langen Schulschließungen während der Pandemie führten zu einem starken Anstieg von Teenagerschwangerschaften – und auch dazu, dass sich mehr Schülerinnen prostituieren mussten, um ihre Familien zu unterstützen.
Das zeigt: Man sollte Alarmismus nicht nur in Bezug auf das Virus, sondern auch auf die PHEIC-Erklärung vermeiden. Die enge Zusammenarbeit und teilweise Finanzierung der WHO durch öffentlich-private Partnerschaften sollte kritisch beäugt werden, und natürlich nützt eine nun angestoßene Impfkampagne auch den Profitinteressen der Pharmaindustrie. Der Aktienkurs von Bavarian Nordic ist jedenfalls seit letzter Woche in die Höhe geschnellt.
Gleichwohl ist Mpox nicht, wie mancher jetzt argwöhnt, die nächste „Plandemie“, sondern eine unangenehme Krankheit, die zwar selten tödlich endet, die man dennoch niemandem wünscht. So ist es richtig und wichtig, dass die WHO Ressourcen mobilisiert, um betroffene Staaten zu unterstützen. Da sich Mpox in der Regel durch engen Hautkontakt mit Infizierten verbreitet, sollten Aufklärungskampagnen über Symptome und Infektionswege im Mittelpunkt stehen. Insbesondere für Risikogruppen wie Prostituierte scheint aber auch eine Impfung vernünftig und könnte nach aktueller Studienlage zur Eindämmung des Ausbruchs beitragen.
Die Erklärung einer Mpox-PHEIC im Jahr 2022 war wegen der relativ geringen Krankheitslast höchst umstritten, zumal es das erste Mal war, dass der WHO-Generaldirektor diese gegen die Mehrheit der einberufenen Expertenkommission ausgesprochen hat. Die aktuelle Entscheidung ist jedoch folgerichtig. Schließlich sollte die Weltgesundheitsorganisation das Leiden von Kongolesen genauso ernst nehmen wie das von Deutschen oder Amerikanern, und im Kongo ist Mpox nie verschwunden. Der PHEIC-Erklärung ging zudem die Erklärung eines regionalen Gesundheitsnotstands durch das Africa CDC unmittelbar voraus.
Gleichwohl darf man nicht übersehen, dass Mpox noch eines der geringeren Probleme ist, mit denen die Menschen in der DR Kongo zu kämpfen haben. Das Land hat eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten der Welt. Mpox spielt dabei statistisch so gut wie keine Rolle. Während in diesem Jahr rund 500 Menschen in der DR Kongo an Mpox gestorben sind, sind rund 40.000 an Malaria gestorben, größtenteils Kinder unter fünf Jahren. Dabei ist Malaria in den meisten Fällen behandelbar, doch es fehlt an Tests, Medikamenten und Moskitonetzen. Durchfallerkrankungen oder Tuberkulose wären ebenfalls leicht behandelbar und verursachen eine ungleich höhere Krankheitslast als Mpox.
Dabei ist die DR Kongo ein an Rohstoffen reiches Land. Besonders wichtig ist Kobalt, das vor allem für Lithium-Ionen-Batterien in Elektroautos und in elektronischen Geräten von Smartphones bis zu Vape-Pens gebraucht wird. Drei Viertel der weltweiten Kobaltförderung entfällt auf die DR Kongo. Leider beschert sein Rohstoffreichtum dem Land bislang keinen Wohlstand, sondern macht es vielmehr zum Schauplatz blutiger Konflikte. Menschen werden vertrieben und leben dann in Verhältnissen, in denen sich Krankheiten besonders leicht ausbreiten können.
Nicht zuletzt dadurch, dass wir fast alle Mineralien aus der DR Kongo in unseren Hosentaschen mit uns tragen, hat die permanente gesundheitliche Notlage dort eine internationale Tragweite, gegen die aber bislang wenig globale Anstrengungen unternommen werden.
Jean Merlin von Agris ist Doktorand an der Universität Leeds und forscht im Projekt „Re-Evaluating the Pandemic Preparedness And REsponse Agenda“ (REPPARE) zur internationalen Pandemiepolitik. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.
Gestern meldete die Bundesregierung die Spende von 100.000 Impfstoffdosen.
https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/mpox-impfstofflieferung-100.html
Spanien spendet 500.000.
https://aussiedlerbote.de/de/spanien-wird-500-000-mpox-impfstoffdosen-nach-afrika-liefern/
Die besonders betroffene DR Kongo hat 110.000.000 Einwohner*innen.
Der Kontinent besteht aus über 1,300.000.000 Menschen.
Entscheiden Sie selbst, was Ihnen das sagt …