Es gibt nur wenige auf der Welt, denen ich lieber ein Problem an den Hals wünsche, als der umsatzstärksten Mafia der Welt, der Fifa – “Fédération Internationale de Football Association”. Deren Kopf Gianni Infantino – wer soll mehr wissen, was in dem vorgeht, als sein Friseur? – hat eine grundsätzlich schlaue strategische Entscheidung gefällt: der Rest der Welt ist weit grösser und mächtiger, als der mächtige aber klitzekleine Wurmfortsatz Europa. In diesem klitzekleinen Wurmfortsatz erzielt der Welt-Profifussball (der Herren) derzeit noch seine höchsten Umsätze und Profite. Das ist veränderbar. Und Gianni hat sich vorgenommen: er wird es sein, der das ändert.

Ähnlich wie in der UNO-Vollversammlung gilt in der Fifa: jedes Land, jede nationale Fussballföderation hat eine Stimme. Und wie in der Uno ist Europa arrogant und doof genug, auf Koalitionsbildungen und -bindungen zu verzichten. So geht es dann aus, wie es ausgeht. Bestechlichkeit einzelner Funktionär*inn*e*n ist sowieso eingepreist, und in Infantinos nicht so dummer – jedenfalls nicht so dumm wie die Europäer*innen – Strategie nur die Schlagsahne auf der Torte.

Wenn wir uns – nur mal fiktiv, wie ein*e Infantino-Versteher*in – die Weltmarktverhältnisse betrachten, müssen wir feststellen, dass die europäische Marktkonkurrenz Uefa mit ihrer Champions League, alle vier Jahre ihrer EM und ein bisschen Nations League zwischendurch, geradezu unverhältnismässig absahnt, und für die Fifa nur das bisschen WM alle vier Jahre, für die der gute Gianni sogar von der Schweiz nach Doha umziehen musste, übrig bleibt.

Um die WM und seine neu erfundene Club-WM gegenfinanziert zu bekommen, muss er nach den arabischen Emiren nun einem noch ungewählten US-Präsidenten (oder gar einer schwarzen Frau) in den Hintern kriechen, um die Sache auf Plusminusnull zu kriegen. Denn bisher hat sich noch kein Medienkonzern zum Zahlen an der Fifa-Kasse gemeldet.

Es ist nämlich so. Zur TV-Primetime in New York ist es in Europa 3 Uhr nachts. In Shanghai wiederum 9 Uhr morgens. Für Muhammad Ali hätte ich das auf mich genommen. Aber für die Abu-Dhabi-Tochter ManCity, gegen, nur mal angenommen, River Plate? Nee, da würde mir eine 5-10-Minuten-Aufzeichnung genügen. Bei einem Finale Barca-Corinthians würde ich nachdenklich – aber das wird angesichts der Kapital-Kräfteverhältnisse nicht zustandekommen. Und Lionel Messi spielt da ja gar nicht mehr mit.

Wenn ich also der Apple-Konzern wäre, hätte ich auch nicht mehr als eine – schon sehr grosszügige – Milliarde geboten. Wer soll mir denn die TV-Rechte danach teuer abkaufen?

Bei der WM 1970 in Mexico war es noch so: die Teams mussten in lebensgefährlicher Nachmittagshitze antreten. Heutige Videoaufzeichnungen sehen aus wie Zeitlupe, aber es wurden Höchstleistungen geboten. Das Halbfinale Italien-BRD 4:3 n.V. mitsamt der Live-Reportage von Ernst Huberty ging in die Fussball- und TV-Geschichte ein. Ich musste wegen Schule ins Bett. Doch nach Schnellingers Ausgleich zur Verlängerung (Huberty: “Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen”) weckten mich meine Eltern und ich sah die unvergessliche Verlängerung live.

Anstoss 15 h in New Yorker Mittagshitze wäre TV-Primetime in Europa. In China würde das gar nicht erst ignoriert. Welcher Markt wird entscheiden?

Oder findet die Fifa – vielleicht zusammen mit Donald? – ein Mittel gegen die Erdrotation?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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