Eigentlich sollte in Deutschland schon längst eine Finanztransaktionssteuer in Kraft getreten sein. Der damalige Finanzminister Scholz hat sie 2019 konkretisiert und angekündigt. Seit der Finanzkrise 2007 wird in der EU über deren Einführung verhandelt, 2011 und 2013 legte die EU Konzepte vor. Ende 2016 einigten sich zehn europäische Finanzminister auf die Grundzüge der Steuer. Nun ist es Herbst 2024, und es hat sich nichts getan. Die Uneinigkeit und Interessenkonflikte der Staaten und Regierungen und die intensive Lobbyarbeit der Finanzindustrie haben dies verhindert. Realisten gehen nicht mehr davon aus, dass es in absehbarer Zeit eine solche Steuer gibt. Chancen haben höchstens nationale und reduzierte Modelle.

Bei fast allen Käufen fallen in Deutschland Steuern an, nur bei Finanzprodukten ist das nicht der Fall. Diese Lücke sollen Finanztransaktionssteuern schließen. Sie sind eine Form von Umsatzsteuer, denn nicht der Gewinn wird besteuert (dafür gibt es andere Steuern), sondern ein Handelsgeschäft. Finanztransaktionssteuern sind der Sammelbegriff für Steuern, die auf den börslichen und außerbörslichen Handel mit Finanzinstrumenten erhoben werden. Je nach Ausgestaltung der Steuer sind die einzelnen Finanzinstrumente in unterschiedlichem Maße betroffen, mit abweichenden Auswirkungen. Entscheidend für die Wirkung ist, ob die Steuer lediglich in einzelnen Ländern oder an allen wichtigen Finanzhandelsplätzen erhoben wird.

Schon 1936 veröffentlichte John Maynard Keynes als Konsequenz aus der Weltwirtschaftskrise Überlegungen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um den kurzfristigen und spekulativen Handel mit Finanzpapieren zu vermindern. Einen ähnlichen Ansatz wählte James Tobin 1972. Er schlug eine Steuer vor, die beim Tausch von Währungen erhoben werden und dazu dienen sollte, Wechselkursschwankungen zu reduzieren. Dieses Ziel wurde in Europa weitgehend irrelevant, weil seit der Einführung des Euro Währungsspekulationen zwischen EU-Mitgliedstaaten unmöglich sind. Die Besteuerung des Finanzhandels blieb jedoch ein Thema.

Zumindest in Deutschland wird die Finanztransaktionssteuer immer populärer. Finanzkrise und Schuldenkrise haben die Diskussion und Zustimmung verstärkt.  Nunmehr sprechen sich auch Fachleute und Politiker, die früher gegen eine Finanzmarktsteuer waren, für eine solche Abgabe aus. Dem Börsenportal boersennews.de zufolge befürworten 92% der Anleger/innen (!) eine Finanztransaktionssteuer. Auch der Sparkassen-Dachverband unterstützt die Steuerpläne.

Gegner des Vorhabens sehen in einer Finanztransaktionssteuer eine zusätzliche Belastung für Kapitalanleger/innen und prognostizieren Umgehungsmaßnahmen. Sie befürchten eine zu geringe internationale Liquidität und ein zu niedriges Handelsvolumen. Angesichts der Tatsache, dass nur ein recht geringer Anteil der Transaktionen einen realwirtschaftlichen Hintergrund hat, während 80 bis 90% spekulativ sind und nur von der Existenz oder Entwicklung kleiner bis winziger Zins- oder Wertunterschiede profitieren wollen, erscheint diese Befürchtung unbegründet. Zudem stellen Kritiker die Höhe der zu erwartenden Einnahmen infrage, weil die Geschäfte an Handelsplätze ohne Steuer verlagert oder steuerlich günstigere Vertragsformen gewählt werden. In der Tat gibt es eine gewisse Unsicherheit: Immerhin ist die Reduzierung des Hochfrequenzhandels Absicht der Steuererhebung.

Die Finanztransaktionssteuer soll gleich eine ganze Palette von Zielen verfolgen: Eindämmung spekulativer Praktiken (Hochfrequenzhandel), Schutz des Euro vor großen Kapitalanlegern, Beteiligung der Finanzmarktakteure an den Kosten der Krisen, Vermeidung eines aufgeblähten Umfangs von Finanzgeschäften, Wiedergewinnung der demokratischen Kontrolle über die Finanzmärkte, etwas mehr Verteilungsgerechtigkeit  und letztlich Steuereinnahmen. Beim Hochfrequenzhandel bewegen Banken computergesteuert Milliarden von Euro pro Sekunde. Die Gewinne pro Einzeltransaktion sind gering und nur wegen der großen Volumina relevant. Doch bei Erhebung einer Steuer würden die Hochfrequenzgeschäfte wahrscheinlich unattraktiv.

Das führt zu der Frage, wie stark Finanztransaktionen besteuert, eingeschränkt oder erschwert werden dürfen, ohne die notwendige Liquidität des Markt einzuengen. Als vorrangig wird offenbar eine Verteuerung und damit Verminderung des spekulativen Handels angesehen. An einem normalen Handelstag werden weltweit Finanztransaktionen in Höhe von mehr als 13.000 Milliarden US-$ getätigt. Der überwiegende Teil entfällt nicht auf realwirtschaftliche, sondern auf reine Handelsgeschäfte. Solche Aktivitäten sind volkswirtschaftlich destabilisierend und ein sozialwirtschaftlich nutzloses Geschäft.

Frankreich hatte 2012 eine Tobinsteuer eingeführt, jedoch unter den Vorbehalt gestellt, dass die Gesamtheit der EU-Staaten mitziehen würde. Dies ist bis heute nicht passiert. Hingegen gibt es dort bereits eine Finanztransaktionssteuer von 0,2%. Sie wird weltweit bei Aktienkäufen von Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich erhoben, deren Börsenwert über einer Schwelle von einer Milliarde € liegt. Ähnliche Regelungen gelten in Italien und Spanien. Andere Formen einer Finanztransaktionssteuer gibt es in Belgien, Finnland, Griechenland, Irland und Zypern.

Negative Erfahrungen liegen aus Schweden vor, wo 1984 eine Börsenumsatzsteuer eingeführt wurde. Da es zu massiven Abwanderungen zum Finanzmarkt in London und zu Steuerflucht und Produktinnovationen kam, betrugen die Einnahmen nur 50 statt der erwarteten 1.500 Mio. Kronen. Schweden schaffte seine Börsenumsatzsteuer daher 1990 wieder ab.

In Deutschland hatte es seit 1881 eine Stempelsteuer auf die Beurkundung von Wertpapiergeschäften und seit 1922 eine Kapitalverkehrssteuer in Form einer Börsenumsatzsteuer gegeben. Sie erfasste allerdings nur börsliche Transaktionen, womit nur Teile des Finanzmarktes abgedeckt wurden. Die Börsenumsatzsteuer wurde 1991 durch das Erste Finanzmarktförderungsgesetz abgeschafft. Deutschland wollte sich damals als attraktiver Finanzplatz etablieren.

In Großbritannien gibt es seit dem 18. Jahrhundert eine erfolgreiche Börsenumsatzsteuer von 0,5%, die 0,7% zum gesamten Steueraufkommen beiträgt. Sie funktioniert, weil erstens der Finanzplatz London zu stark ist, um durch Abwanderung geschwächt zu werden. Zweitens wird die Steuer nur auf im Inland registrierte Wertpapiere erhoben. 

Dies belegt, dass eine Finanztransaktionssteuer möglichst international oder zumindest europaweit angewendet sollte und dass sie die beiden beherrschenden Finanzplätze London und Frankfurt einbeziehen muss. Eine Abwanderung in andere Kontinente wird durch unterschiedliche Zeitzonen erschwert. Da sich vor allem die USA mit ihrem bedeutsamen Börsenplatz New York gegen eine Finanztransaktionssteuer wehren, erscheint eine internationale Lösung ohnehin aussichtslos.

Um Steuervermeidungseffekte zu verhindern, sollte sich eine solche Steuer zudem auf sämtliche Finanztransaktionen einschließlich von Derivaten erstrecken und stets dann erhoben werden, wenn die Geschäfte innerhalb der EU oder im Ausland unter Mitwirkung von mindestens einem EU-Bürger getätigt werden (Derivate sind Kontrakte, mit denen auf eine bestimmte Kursentwicklung eines vereinbarten Basiswerts spekuliert wird). Kapital ist bekanntlich „flüchtig“ und bevorzugt Kapitalmärkte mit geringen Restriktionen. 

Wissenschaftliche Studien empfehlen Steuersätze zwischen 0,1 und 0,01%. Denkbar ist, den Steuersatz je nach Laufzeit des Geschäfts variieren zu lassen. Möglich ist auch ein Besteuerungssystem, dass spekulative Geschäfte höher besteuert als investive Transaktionen bzw. letztere steuerfrei stellt. Angeregt wird, den Steuersatz von Zeit zu Zeit zu überprüfen und anzupassen, damit der reale Liquiditätsbedarf der Märkte gesichert bleibt. Trotz solch geringer Sätze wird die Steuer – so wird prognostiziert – zumindest bei kurzfristigen Spekulationsgeschäften die Profitabilität deutlich schmälern. In Europa wird bei einem Steuersatz von 0,01% ein Steueraufkommen von 0,7% des Bruttoinlandsprodukts erwartet, bei einem Steuersatz von 0,1% sogar 2,1% des BIP.

2011 wurde von der EU-Kommission ein Gesetzentwurf zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU vorgestellt. Zur Begründung wies die EU u.a. daraufhin, dass der Finanzsektor in der Finanzkrise mit 4.600 Mrd. € unterstützt worden war. Der EU-Entwurf sah daher eine umfassende Ausgestaltung der Steuerpflicht vor. Der Handel mit Aktien und Anleihen sollte mit mindestens 0,1 %, der mit Derivaten mit mindestens 0,01 % besteuert werden. Devisengeschäfte sollten steuerfrei bleiben. 50 Mrd. € Einnahmen wurden von dieser Lösung erwartet.

Im Frühjahr 2012 starteten neun EU-Mitgliedstaaten eine neue Initiative, scheiterten jedoch am Widerstand von Großbritannien und Schweden. Die Überlegung, die Finanztransaktionssteuer dann nur im Euro-Raum einzuführen, traf auf den Widerstand von Luxemburg und den Niederlanden. Die verbleibenden Staaten einigten sich daraufhin, die Steuer nur in den befürwortenden Ländern einzuführen. Dabei blieb zunächst noch offen, welche Geschäfte wie hoch besteuert werden und wohin die Erträge fließen sollten. Dieser Plan konnte elf Staaten vereinen und entsprach damit auch den EU-Vorgaben für eine „verstärkte Zusammenarbeit“. Eine von Großbritannien dagegen erhobene Nichtigkeitsklage scheiterte.  

Auf der Grundlage dieser Initiative legte die EU-Kommission 2013 ein überarbeitetes Konzept ihres früheren Entwurfs vor. Die Anpassungen trugen dem Umstand Rechnung, dass die Steuer nunmehr nur in einem begrenzten Gebiet eingeführt werden sollte. Die Einnahmen stellte die EU bereits in ihren Finanzrahmen für 2023 bis 2020 ein. Zwar stiegen Frankreich und Estland aus dem Projekt aus, doch einigten sich Ende 2016 zehn europäische Finanzminister, darunter auch der deutsche, auf die Grundzüge der Steuer. 2019/2020 wurde das Thema erneut auf EU-Ebene diskutiert. 

Im Normalfall würden die großen Finanzplätze in den USA, Großbritannien, Deutschland, Japan, der Schweiz, Frankreich und Singapur zwangsläufig den größten Anteil der Steuer kassieren. Der EU-Entwurf sah daher vor, dass die Steuer in jenem Land zu entrichten ist, in dem der Finanzakteur ansässig ist. Das würde z.B. bedeuten, dass bei jedem Geschäft, das eine französische oder deutsche Bank irgendwo auf der Welt abwickelt, eine Finanztransaktionssteuer fällig wird. 

2019 schlugen Frankreich und Deutschland den zehn mitwirkungsbereiten Ländern eine Finanztransaktionssteuer mit einem Steuersatz von 0,2% vor, die auf Aktien großer Unternehmen mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde € beschränkt werden sollte. Kritiker sehen diese Lösung als halbherzig an, da Derivate und Anleihen sowie der außerbörsliche Handel ausgenommen seien. Es würden nur 10% aller Transaktionen erfasst, damit würde auf einen großen Teil der potentiellen Einnahmen verzichtet.  Gewiss spielte die erfolgreiche Lobbyarbeit der Finanzwirtschaft eine Rolle für die Vorlage dieser „Schmalspurlösung“.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft beurteilt den Ansatz aus ökonomischer Sicht positiv. Eine Finanztransaktionssteuer auf Aktien sei eine international und historisch bewährte Steuer, die zu minimalen Kosten erhoben werden könne und nutzungsabhängig sei („Finanzmaut“). Der Vorschlag biete die Chance, erstmals ein zentralisiertes und europaweit harmonisiertes, elektronisches Besteuerungssystem für Finanztransaktionen zu etablieren. Ein Großteil des Steueraufkommens in Deutschland würde von professionellen Investoren aus dem Ausland geleistet, etwa von privaten US-Fonds oder von Staatsfonds, da diese die meisten DAX-Aktien halten und handeln. Privathaushalte im Inland würden nur einen geringen Anteil des Steueraufkommens zahlen. 

Die größte Schwäche des Vorschlags – so das Kieler Institut – sei die Beschränkung auf börsennotierte Aktien. Wenn Derivate von der Besteuerung befreit werden, falle der überwiegende Teil der Steuerbemessungsgrundlage weg, da diese 80% aller Finanztransaktionen ausmachen. Der Hochfrequenzhandel würde nicht erfasst, und der klassische Aktienhandel würde diskriminiert. Die potenziellen Steuereinnahmen würden erheblich reduziert, ohne dass es hierfür überzeugende ökonomische Argumente gäbe. Zudem biete das Konzept unerwünschte Anreize zu Gunsten nichtregulierter Märkte und Finanzprodukte. Gerade professionelle Investoren könnten versuchen, die Steuer zu umgehen, indem sie auf Derivate und außerbörsliche Märkte ausweichen. 

Das Inkrafttreten des deutsch-französischen Konzepts war für 2021 vorgesehen, doch erfolgten offenbar keine weiteren Schritte zur Realisierung. Der Brexit im Jahre 2020 und die vermutete Verlagerung von Finanzinstitutionen und -geschäften aus London aufs Festland beeinflusste zudem die Haltung einiger Regierungen, die Attraktivität ihres nationalen Standortes nicht durch eine Finanztransaktionssteuer zu schmälern.

In Deutschland sprechen sich CDU, SPD, Grüne, Linke und AfD für eine Finanztransaktionssteuer aus, die FDP ist dagegen. Im Koalitionsvertrag von 2018 zwischen Union und SPD heißt es: „Wir wollen eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigem Steuersatz zügig umsetzen und zwar im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in der EU. Eine solche Besteuerung sollte möglichst alle Finanzinstrumente umfassen, insbesondere Aktien, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen sowie Derivatekontrakte. Durch die Ausgestaltung der Steuer wollen wir Ausweichreaktionen vermeiden.“ Umgesetzt wurde nichts und erst recht nicht zügig.

Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP taucht hingegen keinerlei Aussage zur Finanztransaktionssteuer auf, obwohl der Befürworter Scholz jetzt Kanzler ist. Immerhin hatte Scholz Ende 2021 selbst einen Entwurf für eine Finanztransaktionssteuer mit einem Steuersatz von 0,2% auf Aktienkäufe und einem jährlichen Aufkommen von 1,5 Mrd. € vorgelegt. Die künftigen Einnahmen aus dieser Steuer hatte er bereits eingeplant. Für den Fall der Verzögerung auf EU-Seite hätte Scholz sich immerhin – wie er es im Wahlkampf angekündigt hatte – für eine nationale Lösung stark machen können. Andere Staaten haben dies getan. Die Vermutung liegt nahe, dass der Verzicht auf die Steuer am Widerstand der FDP liegt. Es wäre ein weiterer Punkt, wo sich die FDP in der Koalition als Bremser bzw. Verhinderer betätigt. 

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.