Die taz und der Westen
Wenn die taz von heute Leute auf Dienstreise schickt, um den deutschen Westen zu erkunden, ist immer Gefahr im Verzug. Zunächst im Zug. Wird es der Deutschen Bahn gelingen, die*den taz-Autor*in erfolgreich zu transportieren? Aus dem fernen Osten, in dem Berlin liegt, wird das von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher. Fragen Sie mal die Hamburger*innen. In diesem Fall hat die taz einen Mitarbeiter in Bremen gebeten – sicher ist sicher – sich auf die gefährliche Reise zu machen. Benno Schirrmeister hat es getroffen.
Ich weiss nicht, ob er unsere Oberbürgermeisterin getroffen hat. Ich vermute, eher nicht. Das wäre gut gewesen. Als Werder-Fan hätte Katja Vertrauen aufbauen können, und den Kollegen statt mit unzähligen Bonn-Klischees mit dem einen oder anderen Gegenwarts-Fakt versorgen können. Vielleicht war der Mann auch gar nicht hier, und hat sich das Zeug zusammengelesen – so wirkt es.
Zum Beispiel stellt er – mit einem Link auf den zweifellos klugen und sympathischen Heinrich Heine – die steile These auf: “Es gibt in ganz Köln keinen einzigen Punkt, von dem aus Bonn wahrnehmbar wäre, selbst bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel nicht.” Das ist nachweislich unwahr. Von den Industrieäckern zwischen Köln-Wahn und Köln-Libur sind – ganz ohne Aussichtspunkt vom Fahrrad aus – gleichzeitig der Kölner Dom, der Lange Eugen und der Posttower zu sehen. Aber warum recherchieren, wenn das Klischee so schön ist.
In die Schirrmeister-Story hätte es auch nicht gepasst, es hätte sie regelrecht zerstört, zu erwähnen, dass Bonn der Colonia Corrupta den Hals in Gestalt der Stadtsparkasse mittels Fusion zur Sparkasse KölnBonn gerettet hat. Denn Köln – Sparkasse und Stadt – waren von der im OppenheimEsch-Fond vereinigten herrschenden Stadtoligarchie komplett ausgeplündert worden. Das ist alles schon verfilmt – aber haben die in Berlin schon Fernsehen?
Wer Bonn porträtiert, ohne Willy Brandt, den grössten Friedensdemos dieser Republik, oder auch nur der Informationsstelle Lateinamerika auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit zu widmen, kann sich die Reise auch sparen. Vielleicht war es so.
Die taz hatte zu Hauptstadtzeiten überragend qualifizierte Korrespondent*inn*en in einer bildschönen Villa diagonal zum Bundestagsgebäude. In guter Erinnerung sind mir – neben den leider schon verstorbenen Tissy Bruns und Ursel Sieber – Ferdos Forudastan, Tina Stadlmayer, Oliver Tolmein und die noch heute alle überragende Charlotte Wiedemann. Jede*r von denen würde es noch heute besser machen. Und wenn die heute alle “zu teuer” sind, machts vielleicht auch der Ingo. Jedenfalls besser.
Update später Vormittag
Oben vergass ich selbst in meiner Aufzählung Bonner Einrichtungen und Ereignisse das UN-Klimasekretariat (UNFCCC). Bei mir könnte es daran liegen, dass es seit vielen Jahren ein integrierter Bestandteil des Bonner Alltags ist. Und eine Arbeitsplatzmaschine für Hochqualifizierte.
Aber woran liegt es bei professionellen Journalist*inn*en? Meine These: die haben die Menschheitsprobleme unserer Zeit immer noch nicht verstanden.
Hallo Martin, darf ich diesen Deinen Text etwas gekürzt und verändert als Leserbrief/Kommentar bei der taz reinsetzen? Oder willst Du das machen? Ich finde Deine Replik super und sehr gelungen, insbesondere das Schmankerl, den Hinweis auf die früheren tazler*innen in Bonn, die ich auch kannte/kenne und schätz(t)e.
Grüße
Annette
Nee, lass’ mal. Die können das hier lesen. Und einige tun es auch.