Vor dem letzten Wahldienstag habe ich hierzulande niemanden gefunden, die*der einen eindeutigen Wahlsieg von Donald Trump vorauszusagen wagte. Befreundete US-Bürger*innen und -Wähler*innen waren sichtbar nervös und aufgeregt – weil sie realistisch (!) alles für möglich hielten. Aber erwartet haben sie es nicht. In der deutschen Medienpublizistik dagegen haben sich seit Mittwochmorgen diejenigen, die es vorher gewusst haben, schneller vermehrt, als es Kaninchen gewöhnlich schaffen. Das sind die Phänomene, die beim Publikum schon lange kein Vertrauen mehr schaffen.
Deutsche Medien erzählen lieber Märchen – sind wir nicht alle als Kinder damit aufgewachsen? Wie der unermessliche Reichtum über unschuldige Familienclans herfiel. Das kann die Verlegerin der WAZ/Funke-Mediengruppe Julia Becker sicher aus eigenem Erleben bestätigen.
Dass in dem “armen” Land mit diesem märchenhaften Reichtum seit 10 Jahren ein Hindufaschist regiert, ist in dem Zusammenhang gewiss zu vernachlässigen. Diese Klassenverhältnisse waren schon vor ihm da, und werden auch seine Regentschaft überleben.
Allerdings ist niemand verpflichtet, das hinzunehmen oder gar gut zu finden.
Das war und ist zweifellos ein Fehler der US-Präsidentinnenkandidatin Harris, wie es ein Fehler fast aller demokratischen Parteien hierzulande ist. Der Bescheidwisser Marco Bitschnau/IPG-Journal lässt das nur zwischen seinen Zeilen erahnen: “Alle Mann an Bord – Bei seinem famosen Sieg hat Trump auch Wählergruppen gewonnen, die eigentlich unerreichbar schienen. Die Demokraten haben alle Warnungen ignoriert.” Ebenso lässt sich eine BSW-artige Deutung in sein Bescheidwissen hineininsinuieren: etwas mehr gegen Flüchtlinge, Migrant*inn*en und andere wehrlose Minderheiten, und ein Sieg wäre möglich gewesen? Ob das funktioniert, werden wir jetzt im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb des deutschen Bundestagswahlkampfes erleben.
Die einfachen Antworten auch in der Praxis haben wie immer die Rechten. Bei Donald Trump lautet sie ungefähr so: “Tesla ist nach Wahlsieg von Trump mehr wert als die 15 größten Autokonzerne kombiniert – Elon Musk hatte sich noch rechtzeitig nach dem gescheiterten Attentat im Wahlkampf an die Seite von Donald Trump gestellt und scheint mittlerweile im Familienclan aufgenommen worden zu sein.” So schreibt es Florian Rötzer/overton. Sein (schlecht redigierter) Schlussabsatz trifft es: “Die Anleger, die auf Gewinne spekulieren, sind getrieben von Gier. Das passt zu Trump, der auch wie seie Oligarchen-Freunde von Gier getrieben sind. Nicht nur von Gier nach mehr Reichtum, sondern auch nach Anerkennung und Aufmerksamkeit sowie der nach Absicherung, möglichst ungehindert vom Staat das machen zu können, was sie wollen – neue Profitquellen zu erschließen, egal welche sozialen Folgen dies hat. Die Feier der Freiheit meint nur ihre Freiheit, nicht die der Mehrheit der Menschen, die sie bewundern und Konsumenten sein sollen. Ansonsten holt man schnell das Militär, die Nationalgarde und die Polizei und reguliert die Medien, die man eingekauft hat.”
Da auf mich sowieso keine*r hört, wage ich es meine abweichende Meinung zu Protokoll zu geben: die massenhafte Mehrheit der Opfer von ebenso massenhaften Ungerechtigkeiten in kapitalistischen Ländern und Systemen haben nur dann eine Erfolgschance, wenn sie miteinander die Kraft der Solidarität erkennen. Demokratische Parteien, die ihnen dabei behilflich sind, sind ja leider kaum noch zu finden – jede versucht sich ein Kuchenstückchen oder Bröckchen im Wähler*innenkuchen durch zerschneiden und spalten zu ergattern. Spaltprozesse und Zellteilungen hat der Kapitalismus schon immer geliebt – besser lässt sich Herrschaft nicht sichern. Das wiederum treibt viele Wähler*innen zur Flucht … nicht in fremde Länder, sondern in ihr Inneres. Und all die vielen Sekten sehen sich mal wieder bestätigt, die sich nur auf eins einigen können: “Siehste!” Wenn jede*r nur an sich denkt, dann ist ja an alle gedacht.
Vor dem Wahldienstag in den USA, schreibt der Herausgeber des Beueler Extradienstes, habe er hierzulande niemanden gefunden, „der einen eindeutigen Wahlsieg von Donald Trump vorauszusagen wagte“. Doch, lieber Martin; solche Leute gab es auch hierzulande.
Beispielsweise den Verfasser dieser hintergründigen Betrachtung, erschienen im Juli 2024 im Online-Magazin „Overtone“: https://overton-magazin.de/top-story/ein-attentat-wie-gerufen/
Wolf Wetzel, der Autor des Beitrags, meinte wenige Tage nach dem Attentat auf Trump im Juli 2024, mit Gewissheit vorhersagen zu können, dass Trump sich bei den Wahlen im November durchsetzen würde. Er hat recht behalten. Es lohnt sich, Wetzels – mitunter spekulative – Erwägungen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Um Analysen des Wählerverhaltens oder gar Überlegungen für eine antikapitalistische Bündnispolitik ging es in dem Beitrag nicht. Aber mit welchem Gegner es solche Bündnisse aufzunehmen hätten, das wird ziemlich deutlich.