Kolumbiens neue Drogenpolitik

Der neue Ansatz soll Kleinbäuer*innen ermöglichen, statt Koka in Zukunft andere Pflanzen anzubauen. Das ist der Kern der neuen Strategie zur Bekämpfung des Drogenhandels, die die progressive Regierung von Gustavo Petro in Kolumbien im Oktober 2023 verabschiedete. Zum ersten Mal hatten auch betroffene Gemeinden mit am Verhandlungstisch gesessen. Schließlich muss es sich lohnen, in den vier Säcken, die auf den Pferdesattel passen, künftig Kakao zu transportieren statt Kokapaste. Ein Jahr nach der Verabschiedung wagt unser Autor eine kritische Zwischenbilanz: Was kann eine nationale Strategie in Kolumbien überhaupt bewirken, wenn in Europa weiter die Geschäfte blühen?

In ländlichen Gebieten Kolumbiens, die wirtschaftlich benachteiligt und von Gewalt betroffen sind, müssen Kleinbäuer*innen sich oft entscheiden: Entweder bauen sie illegalisierte Pflanzen wie Koka an oder setzen auf legale Kulturen, die aber wirtschaftlich weniger lukrativ sind. Um sie aus diesem Dilemma zu holen, hat die kolumbianische Linksregierung im Oktober 2023 das Zehn-Jahres-Programm „Sembrando vida, desterramos el narcotráfico“ („Leben säen, den Drogenhandel verbannen“) ins Leben gerufen. Dieses Programm soll Kleinbäuer*innen ermöglichen, auf nachhaltige Landwirtschaft jenseits des Kokaanbaus umzusteigen. Doch wie wirksam ist das auf lange Sicht?

„Sembrando Vida“, inspiriert von einem gleichnamigen Programm in Mexiko, soll in benachteiligten Gebieten Kolumbiens alternative Einkommensquellen zu Koka schaffen. Das Programm fördert den Anbau von ökologisch nachhaltigen Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao und Obst, um langfristig den wirtschaftlichen Wohlstand der Bäuer*innen zu sichern. Damit fördert „Sembrando Vida“ Produktivität, Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit. Gleichzeitig bietet es finanzielle Unterstützung und Schulungen für den Übergang zur agroforstlichen Landwirtschaft. Es stärkt das Zusammenleben auf dem Land, indem die Bäuer*innen Wissen austauschen und ihre Produkte gemeinsam vermarkten. So sollen sie besser gerüstet sein, denn in abgelegenen Regionen wie Nariño, Cauca und Putumayo stellen Logistik und der Zugang zu Märkten Herausforderungen dar.

Im Gegensatz zu vorherigen Programmen, die kurzfristige Ergebnisse erwarteten, setzt „Sembrando Vida“ auf einen längerfristigen Ansatz, der die wirtschaftliche Grundlage für legale Anbaukulturen stärkt. Damit soll er nicht nur die Abhängigkeit vom Kokaanbau verringern, sondern auch langfristig die Armut in ländlichen Regionen reduzieren und die Ernährungssouveränität stärken.

Der Kokaausstieg wäre auch ein kultureller Verlust

Die Regionen, in denen der Kokaanbau floriert, sind oft isolierte Gebiete, in denen der Staat wenig Präsenz zeigt und nicht das Gewaltmonopol innehat. Dazu gehören Cauca, Nariño, Norte de Santander und Putumayo, wo illegale bewaffnete Gruppen den Drogenhandel kontrollieren. Für die Kleinbäuer*innen, die in diesen Regionen leben, bietet der Kokaanbau oft die einzige Lebensgrundlage, da alternative Landwirtschaft durch fehlende Infrastruktur, unsichere Märkte und hohe Transportkosten beeinträchtigt wird.

In der südwestlichen Provinz Cauca, wo viele afrokolumbianische und indigene Gemeinschaften leben, hat „Sembrando Vida“ theoretisch großes Potenzial. Traditionelle Landwirtschaft und die enge Verbindung zum Land bieten eine gute Grundlage. Doch die Nähe zu Drogenrouten und die hohe Rentabilität des Kokaanbaus erschweren es, legale Alternativen attraktiv zu machen.

Außerdem hat für viele indigene Gemeinschaften in Kolumbien die Kokapflanze eine tief verwurzelte kulturelle und spirituelle Bedeutung. Sie ist weit mehr als nur eine Grundlage für die illegale Drogenproduktion. Die Kokablätter werden seit Jahrhunderten in traditionellen Zeremonien und als Alltagsmedizin verwendet. Sie sind integraler Bestandteil indigener Bräuche, dienen zur Schmerzlinderung, Bekämpfung von Höhenkrankheit und als Mittel der spirituellen Verbindung. Für die indigenen Nasa und Arhuaco sind die Kokablätter ein Symbol des Lebens, des Wissens und der Verbindung zur Erde.

Die Regierung berücksichtigt diese kulturellen Aspekte in der neuen Drogenpolitik und respektiert auf diese Weise indigene Traditionen. Erstmals wurden bei der Ausformulierung einer nationalen Drogenstrategie die betroffenen Bevölkerungsgruppen direkt einbezogen. Das führt in diesem Teil der Bevölkerung zu Selbstermächtigung und einer hohen Akzeptanz, aber über die Legitimität von „Sembrando Vida“ in der Gesamtbevölkerung ist damit noch nicht viel gesagt. Fest steht: Ein vollständiger Ausstieg aus dem Kokaanbau wäre für viele Indigene nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein kultureller Verlust.

Kritiker*innen sagen: Das lohnt sich nicht

„Sembrando Vida“ versucht, nationale Lösungen für den Kokaanbau in Kolumbien zu finden, dabei ist der Drogenhandel ein globales Problem. Die Nachfrage nach Kokain wird hauptsächlich von Konsument*innen in früh industrialisierten Ländern, insbesondere den USA und Europa, angetrieben. Kolumbien als größter Kokainproduzent weltweit profitiert nur begrenzt von den Profiten des Drogenhandels, trägt aber die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Kosten. Das Geld aus dem Drogenhandel und anderen illegalen Ökonomien ist vielmehr der Treibstoff für den internen Konflikt zwischen verschiedenen Gewaltgruppen.

Ob „Sembrando Vida“ erfolgreich sein kann, hängt daher nicht nur von den nationalen Maßnahmen ab. Solange die Nachfrage nach Kokain weltweit bestehen bleibt, wird der Druck auf die Kleinbäuer*innen, egal ob ökonomischer Natur oder durch Gewaltgruppen, Koka anzubauen, nicht abnehmen. Länder, in denen Drogen vermarktet werden, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und den Kokaanbau in Kolumbien nicht nur repressiv bekämpfen, sondern sich auch an präventiven und entwicklungsorientierten Programmen beteiligen. „Sembrando Vida“ hat die Unterstützung internationaler Organisationen, aber es gibt noch viel Luft nach oben.

Ein zentraler Kritikpunkt am Plan „Sembrando Vida“ ist die Frage, ob er wirklich wirtschaftlich attraktiv für die Bäuer*innen ist. Der Kokaanbau bringt schnelle und relativ hohe Gewinne, während der Anbau von legalen Nutzpflanzen oft mehrere Jahre benötigt, um finanziell rentabel zu sein. Auch wenn das Programm den Bäuer*innen finanzielle Unterstützung bietet, bleibt unklar, ob das langfristig ausreicht, um sie dauerhaft vom Kokaanbau abzubringen. Um es bildlich deutlich zu machen: Wenn ein Bauer im tiefen Regenwald des Putumayo eine Parzelle hat und drei Stunden zu Fuß mit Lasttier zur nächsten Schotterpiste braucht, muss er aus ökonomischen Gründen abwägen, ob die vier Säcke auf dem Rücken des Pferdes mit Kakaobohnen gefüllt sind oder mit Kokapaste.

Narcos können die Bäuer*innen trotzdem zum Kokaanbau zwingen

Zusätzlich dazu bleibt die Unsicherheit in manchen Teilen des Landes eine große Herausforderung. Regionen wie Putumayo und Guaviare sind nach wie vor von illegalen bewaffneten Gruppen durchsetzt, die oft mit Gewalt versuchen, die Kontrolle über den Drogenhandel zu bewahren. Für Kleinbäuer*innen kann es lebensgefährlich sein, den Kokaanbau aufzugeben, da dies als Bedrohung für die wirtschaftlichen Interessen dieser Gruppen angesehen wird. Auch die schlechte Infrastruktur erschwert den Zugang zu Märkten für legale Produkte. Die Bäuer*innen sind oft gezwungen, ihre Produkte zu niedrigen Preisen lokal zu verkaufen, weil der Transport in die Städte sehr teuer ist. Die kolumbianische Regierung hat das erkannt und ergreift Maßnahmen, doch ohne weitere massive staatliche Unterstützung beim Aufbau von Infrastruktur und einem besseren Marktzugang bleibt der legale Anbau eine wirtschaftlich riskante Option.

Das Programm muss über die aktuelle Legislaturperiode hinaus Teil eines breiteren Plans sein, der nicht nur die ökonomische, sondern auch die sicherheitspolitische und soziale Situation in den betroffenen Regionen verbessert. Während die kolumbianische Regierung bereits einige Maßnahmen zur Verbesserung der sozioökonomischen Lage in ländlichen Regionen auf den Weg gebracht hat, ist sie sicherheitspolitisch mit ihrem Ansatz des „totalen Friedens“ bisher nicht so weit gekommen wie erhofft. Die Kleinbäuer*innen mit Kokakulturen benötigen langfristige Perspektiven, die ihnen nicht nur wirtschaftliche Sicherheit, sondern auch körperliche Unversehrtheit in ihren Territorien garantieren.

„Sembrando Vida“ ist ein großer Schritt nach vorn gegenüber der bisherigen Drogenpolitik in Kolumbien und weist einen nachhaltigen Weg für einen Ausstieg aus dem Kokaanbau. Doch dieser Weg ist lang. Neben kontinuierlichen nationalen Anstrengungen braucht es vor allem internationale Zusammenarbeit.

Elias Korte ist Sozialwissenschaftler und freier Journalist mit Schwerpunkt Kolumbien. Er beschäftigt sich mit sozialen Konflikten und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 480 Nov. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

Über Elias Korte / Informationsstelle Lateinamerika:

Die Informationsstelle Lateinamerika e. V. (ila) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz im Oscar-Romero-Haus in Bonn. Das Ziel des Vereins ist die Veröffentlichung kritischer und unabhängiger Informationen aus Lateinamerika. Der Schwerpunkt liegt auf Nachrichten und Hintergrundinformationen aus basisdemokratischer Perspektive. Die Informationsstelle Lateinamerika begreift sich als Teil der politischen Linken und engagiert sich in übergreifenden politischen Bündnissen wie der Friedens- und Antikriegsbewegung oder Attac. Der Verein besteht seit 1975 und gibt die gleichnamige Zeitschrift ila heraus. Alle Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit freundlicher Genehmigung.