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Abstand

Mit dem ÖPNV in unserer Region wird das wohl nichts mehr – Wundersame Bahn CCXI

Wäre ich noch Berufspendler, wäre ich wohl in der real existierenden Bahngegenwart zwischen Bonn und Köln schon kollabiert. Zu meinem grossen persönlichen Lebensglück bin ich schon Rentner, und nur noch Testfahrer mit dem 49€-Ticket, das die Landesverkehrsminister*innen dieses Landes in Kürze zu einem 58€-Ticket verwandeln wollen. Während ihre Vorgesetzten, die Ministerpräsident*inn*en, bei Erhöhung der TV-Haushaltsabgabe um einen halben Euro, also ein Achtzehntel dieses Differenzbetrages, bereits eine Staatskrise ausrufen, weil sie sich vor den AfD-Faschist*innen in die eigenen Hosen scheissen. Sie merken: ich bin immer noch erregt, obwohl ich schon einmal friedlich geschlafen habe.

Fangen wir mit dem Schönen an. Anlass dieser Abenteuerreise nach Köln war ein vorweihnachtliches Gänseessen im “Em Krützche”. Empfehlenswert. Nicht billig. Sondern Preise, die eine ehrgeizige handwerklich hochwertige und seriöse Gastronomie heute verlangen muss. Keine Gourmet-Steifheit, sondern rheinische Freundlichkeit und Improvisationsfähigkeit. Nicht perfektes, aber kommunikationsfreudiges, junges und kritikfähiges Servicepersonal. Für uns, vier intelligente attraktive Damen und zwei ältere Herren, genau richtig – wir wurden professionell treffend taxiert. Guter Gastroservice kann das. Die Speisekarte ist komplett rheinisch-regional, und was auf dem Teller ankommt, ist zeitgerecht und gegenwärtig interpretiert. Nicht zuviel, nicht zuwenig – alles vom Herd über die Tranchierung am bis zum Teller auf dem Tisch auf den Punkt gebracht. Da steckt harte Arbeit hinter, die wir gerne belohnt haben.

Und damit zum unangenehmen Kapitel: die An- und Abreise

Das Lokal liegt so zentral, wie es zentraler nicht geht. Einmal auf der Rheinuferseite unter Hauptbahnhof, Museum Ludwig und Philharmonie durch, und die kleine Eingangstür nicht übersehen. Mann könnte fast vom Bahnsteig runterspringen. In weiser Voraussicht hatten wir von Bonn aus dennoch 30 Minuten Zeitpuffer eingeplant.

Die beste Idee war, am frühen Abend schon am “UN-Campus” einzusteigen. Das sicherte in der Rushhour einen Sitzplatz. Der war auch erforderlich. Denn aus 10 angesagten Minuten Verspätung wurden bis Köln 30, inkl. Überholung in Sechtem.

Politiker*innen und die Lokalpresse regen sich über die Streichung von Bonner Fernverbindungen durch die Deutsche Bahn auf. Diese Fernverbindungen betreffen nur eine Minderheit der Reisenden. Die Mehrheit sitzt in den Nahverkehrszügen, die regelmässig in Sechtem, Brühl und Kalscheuren ausgebremst werden. Nicht nur von Fern-, sondern auch von Güterzügen.

Zur Rückfahrt zwischen 23 h und Mitternacht war am Kölner Hauptbahnhof eine Regionalbahn nach Linz angekündigt, mit vernachlässigbaren 3 Minuten Verspätung. Der geschätzte Kollege Dylan Cem Akalin hatte kürzlich im GA (Paywall) ausführlich alle Sperrungen, Stilllegungen und Umleitungen für die rechte Rheinseite referiert. Mal nachts, mal an Wochenenden, mal eine Woche, mal mehrere, alles noch vor Weihnachten, und so unregelmässig, dass ich es mir um keinen Preis merken konnte. Aber diese Bahn nach Linz Donnerstagnacht, die sollte tatsächlich fahren.

Auf dem Bahnsteig konnte ich die Probleme der Zugabfertigung studieren. Ein verspäteter Schlafwagenzug nach Zürich bekam ein Abfahrtssignal, wurde aber noch auf der Hohenzollernbrücke minutenlang ausgebremst, so dass sein Hinterteil noch am Bahnsteig stand – nicht ungefährlich. Eine einzelne Diesellok folgte ihm in Sichtweite – alles schön langsam, damit es auf dem Bahnsteig nicht langweilig wurde.

Aus den drei Minuten Verspätung für die Bahn nach Linz wurden 20. Und als ich schon glaubte, nun sei Beuel bald erreicht, wurden wir eine Station davor, in Menden, wieder geparkt. Überholung durch den Schlafwagenzug nach Wien, der bereits über 100 Minuten Verspätung hatte.

Gesamtergebnis: die Reise nach und von Köln erfordert einen Brutto-Zeitaufwand, für den ich in meiner Berufspendlerzeit (1987-2002) bis nach Düsseldorf und zurück kam. So verkleinert sich NRW ínfrastrukturell zu einem Zwergstaat.

Und mal anders gerechnet: wäre ich noch täglicher Berufspendler, müsste ich auf diese Weise in der Woche mit 10 Stunden Reisezeit, also mehr als ein ganzer unbezahlter Arbeitstag, kalkulieren – und zusätzlich noch das 58-€-Ticket draufzahlen. Ich würde bekloppt. Und viele werden das auch wirklich: ich höre von Pendler*inne*n, dass viele wieder aufs Auto umgestiegen seien.

Rückwärtsentwicklung

Die letzte fortschrittliche Innovation der Deutschen (Bundes-)Bahn war für mich die Einführung des IC-Linien mit Stundentakt. Bonn hatte sogar zwei davon. 5 DM Zuschlag wurden dafür verlangt (im Zug nachlösbar 6 Mark). Das war praktisch. Das war fahrgastfreundlich. Für den Mehrpreis waren bequeme Sitze, kurze Fahrtzeit und Speisewagen (!!!) garantiert. Reisen war Genuss. Lang ists her.

Der Schwachsinn mit dem eigenen Sondertarif und der Zugbindung wurde erst mit dem ICE eingeführt. Der fährt, ausser auf der beständig sanierungsbedürftigen Köln-Frankfurt-Strecke, in NRW keine Sekunde schneller als ICs oder die einstigen D-Züge.

In Beuel hielten zwar keine ICs (ausser sie werden umgeleitet), aber Fernzüge, die u.a. Istanbul, Athen, Barcelona (Portbou) erreichten. TUI-Ferienexpresse fuhren bis Jugoslawien und Süditalien (Lecce). Es gab nicht nur zwei Fahrkartenschalter, sondern auch Gepäckabfertigung, Zeitschriften und Bahnhofsgaststätte (inkl. Toilette), plus kostenfreie Sitzgelegenheiten in der übersichtlichen kleinen beheizten Bahnhofshalle. Damals gab es noch keine Aufzüge, aber Bahnpersonal, das behilflich war. In Beuel! Ja, das gab es wirklich. Ich war dabei.

Heute gibt die Bahn vor, irgendwas verstanden zu haben. Auf mich wirkt dieser Marketingsprech eher wie eine neue Drohung. Es besteht offenbar die Absicht, die Bahnhöfe in vier Klassen einzuteilen – ganz so, wie unsere Gesellschaft eine real existierende Klassengesellschaft ist. Nicht dreimal, sondern nur einmal dürfen Sie raten, wo hier Beuel einzuordnen ist. Meine Vorhersage: nicht als “Knotenbahnhof”.

Aber das kommt bestimmt von meiner Herbstdepression.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Norbert Reichel

    Ich fahre überall in Deutschland viel mit Bahn und ÖPNV (wie ich schon einmal schrieb, mit BahnCard 100 First). Die Situation auf der Strecke Duisburg – Koblenz, insbesondere in Düsseldorf und dem Knotenpunkt Köln, sowie im Ruhrgebiet, es sei denn, man fährt über Wuppertal Richtung Norden und umgekehrt, ist die schlimmste in Deutschland. Das positive Gegenbeispiel: Berlin und viele Regionen in Ostdeutschland.
    Früher fuhr ich täglich von Bonn nach Düsseldorf zur Arbeit. Das wäre heute nicht mehr möglich, weil die Züge – wie Martin beschreibt – so unregelmäßig fahren. Ich müsste umziehen.

    Nach Berlin oder auch nach Hannover fahre ich inzwischen nur noch von Siegburg über Frankfurt. Dauert ein bisschen länger, aber es gibt in Frankfurt eine vorzügliche Lounge, in der man sich wohl fühlt, Zeitung lesen, Kaffee trinken etc. kann. Das ist auch eine Folge der fehlenden IC- und ICE-Verbindungen in Bonn. Es ist ein riesiger Aufwand, von Bonn nach Köln zu kommen, um dort pünktlich seinen Zug zu bekommen. Die Aufenthaltsqualität im Kölner Bahnhof hat auch gelitten, weil die Lounge schon lange umgebaut wird und man etwa zehn Minuten Fußweg zur Ersatzlounge hat (die nicht schlecht ist, aber zu weit weg).

    Das größte Risiko für Fahrten nach Siegburg ist der Zubringer nach Siegburg, die Linie 66, die immer unzuverlässiger wird. Man muss schon schauen, dass man mindestens eine, besser zwei Bahnen früher fährt. Dann ist das Risiko eines Ausfalls gemindert. Im Sommer ist es in Siegburg auf dem Bahnsteig auch ganz ok, im Winter allerdings weniger. Eine Lounge gibt es nicht (auch in Bonn nicht, stattdessen wird man dort ständig auf dem Bahnsteig von bettelnden Junkies belästigt.)

    Frage: Warum sagen Oberbürgermeisterin (ggf. in Verbindung mit den Bürgermeister:innen und Landrät:innen der umliegenden Ortschaften nichts dazu? Warum sagt der grüne Verkehrsminister in Düsseldorf nichts dazu? Wird mit der Bahn verhandelt, die Situation zu verbessern? Was geschieht, um den ÖPNV in Bonn und die Zubringer zu den Bahnhöfen zu verbessern? Warum werden Angebote eingeschränkt, Buslinien zum Beispiel verkürzt, warum ist die Taktung am Abend und am Wochenende so schlecht (z.B. Linie 62 zwischen Bonn und Oberkassel). Tun die politisch Verantwortlichen etwas und sagen es nicht? Oder muss ich annehmen, dass sich die Grünen nur für Fahrradwege und die Schwarzen nur für Parkplätze in den Innenstädten interessieren und alles andere egal ist?

    Der Eindruck drängt sich auf.

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