E-AKTE — Anfang kommenden Jahres sollen alle gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte bekommen

Vor über 20 Jahren brachte das Gesundheitsministerium die elektronische Patientenakte (ePA) auf den Weg. Seit 2021 können Krankenkassenmitglieder sie beantragen, doch nur etwa ein Prozent der gesetzlich Versicherten haben das bisher getan. Anfang kommenden Jahres sollen nun alle 73 Millionen Mitglieder mit der ePA ausgestattet werden, wenn sie nicht binnen sechs Wochen widersprechen. In der ePA werden Diagnosen, Rönt­genbilder und Medikamentenlisten ­gespeichert. Das vermeidet Doppeluntersuchungen. Auch wissen Krankenhausärzte dann sofort Bescheid über Vorerkrankungen oder Unverträglichkeiten. Laut McKinsey lassen sich mit Hilfe der ePA sieben Milliarden Euro im deutschen Gesundheitssystem sparen. Soweit der Plan.

In Dänemark und Österreich läuft die elektronische Patientenakte zufriedenstellend. Allerdings sind die dortigen Gesundheitssysteme nicht so komplex wie in Deutschland. Hierzulande sollen die Daten der ePA in der Telematik-Infrastruktur gespeichert werden, für die die Gematik verantwortlich ist. Diese Gesellschaft gehört mehrheitlich dem Staat und ist auch für das E-Rezept zuständig. Dessen Einführung verlief allerdings holprig. Bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) kam es ebenfalls in der Anfangszeit immer wieder zu Verzögerungen und Systemabstürzen.

Der Chaos Computer Club hat die Entwicklungen der ePA begleitet und immer wieder auf Lücken im Sicherheitssystem hingeweisen. Vor allem die Telematiksysteme in den Arztpraxen sind Einfallstore für Datendiebe. So gelang es einem Rechercheteam, die Sicherheitskarten eines Arztes in einen Käseladen liefern zu lassen. Sollten Patient*innendaten im Internet auftauchen, wäre das eine Kata­strophe, weil einmal veröffentlichte Informationen kaum einzufangen sind. Deshalb haben manche Arztpraxen keine Telematik-Infrastruktur angeschafft und wurden dafür mit Honorarkürzungen bestraft.

Die Versicherten haben Zugang zu ­ihrer Akte über eine App ihrer Krankenkasse. Wer kein Smartphone besitzt, kann eine stellvertretende Person benennen oder seine Daten in ausgewählten Apotheken einsehen. Was genau in der ePA gespeichert wird – und was nicht – können die Patient*innen entscheiden. Nachdem zunächst kein Probelauf für die ePA-­Einführung geplant war, hat das Gesundheitsministerium nun Hamburg und Frankfurt dafür ausgewählt. Dort soll das System Anfang kommenden Jahres vier Wochen lang getestet werden. ­Danach wird die ePA bundesweit ausgerollt.

Potentielle Vorteile

Die Arztpraxen müssen die Daten an die Gematik übertragen. Dafür haben private Firmen 130 verschiedene Softwaresysteme entwickelt, die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zugelassen wurden. Bisher dienten sie der Abrechnung und internen Dokumentation. Viele Ärzt*innen sind schon heute unzufrieden mit ihren Systemen, weil die Programme oft nicht reibungslos funktionieren und Zeit fressen. Dass die zusätzliche Funktion ohne Probleme laufen und keinen erheblichen Arbeitsaufwand für die Praxismitarbeiter*innen bedeuten wird, bezweifeln viele. Der Verband der Hausärzt*innen prognostiziert bereits Chaos. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Softwarehersteller in die Pflicht nehmen. Sie müssen bei Störungen rasch reagieren. Auch darf die Gematik zentrale Dienste und Komponenten selbst entwickeln.

Verbraucherschützer*innen, Patientenverbände und die Deutsche Aidshilfe sehen zwar durchaus, dass die ePA potenziell viele Vorteile hat. Doch „Vertrauen lässt sich nicht verordnen“ haben mehrere Organisationen einen gemeinsamen öffentlichen Brief überschrieben. Darin äußern sie erhebliche Zweifel und üben Kritik an der Umsetzung. So haben Patient*innen zwar die Möglichkeit, gespeicherte Informationen für bestimmte Ärzt*innen unsichtbar zu machen. Doch Medikamentenlisten können entweder ganz oder gar nicht freigeschaltet werden – und verraten beispielsweise, wenn jemand HIV-positiv ist oder Antidepressiva einnimmt. Auch die Abrechnungsdaten mit den Krankenkassen können Dinge mitteilen, die der Orthopäde oder Augenarzt nicht wissen soll.

Zentrales Anliegen von Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) ist es, mit den anonymisierten Daten aus den ePA die Medizin-Forschung voranzubringen und auch der deutschen Pharmaindustrie neuen Schwung zu verleihen. Weil es für die Vielfalt der Softwareprogramme jedoch keine Standards gibt, werden die Datenhalden bei der Gematik aller Voraussicht nach erst einmal sehr unübersichtlich sein. Die Hoffnung liegt an dieser Stelle wohl darauf, dass Künstliche Intelligenz dabei helfen wird, den Datenwust zu durchdringen.

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