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Komödie des Geldes, 3. Dezember 2024: Schluss

Harry schnaubte ein rauchiges „Leck-mich-unendlich-am-Arsch, Du Provinzei“ zurück: „Du kannst froh sein, dass Dir ECM den zugekifften John Abercrombie vor zehn Jahren in deine Kreisstadt gekarrt hat, sonst wüsstest du gar nicht, was ‘ne Melodie ist, du Prankengitarrist!“

Harry nannte All öfter „Prankengitarrist,” weil er den Sechssaiter mit allen Fingern der rechten Hand spielte, also überhaupt nicht mit Plektrum und nur Linienspiel, sondern mit Daumen und den restlichen Fingern gegen den Beat, also eigentlich wie beim Klavier.

„Schnellster Daumen zwischen Mosel und Nahe,” hatte der Hunsrückbote über seinen Auftritt im Emmelshausener Backes geschrieben. Alwys fühlte sich an diesem Tag irgendwie angekommen, obwohl Emmelshausen eigentlich nicht so weit weg von dem Ort lag, von wo er aufgebrochen war.

Am Abend des Hunsrück-Erfolgs, ohne nur einmal die Stimme gegen das Instrument erhoben zu haben – wer zur Gitarre singt, gehört geköpft, hatte All sich in die Hirnrinde eingraviert –, dachte Alwys, “endlich kapier’n die Leute, was los ist! Was Picking ist! Pickung makes the world go round, not money!”

Von Emmelshausen nach Trier fuhr man einfach die Hunsrückhöhenstraße weiter Richtung Mosel und irgendwann fiel man in die Porta Nigra oder konnte bei Kalle Marx chinesenwerfen gehen. Das hätte Alwys bei seiner Bekanntschaft mit Trier auch lieber gemacht, wie er später sagte.

Alwys und Josh blickten sich jetzt ernst an, Josh nickte kurz, neigte den Kopf dann in gespannter Erwartung etwas zur Seite. Wohl oder übel musste All, nun wieder als ein deutscher Alwys, beginnen. Volker und Robert hatten die ganze Zeit miteinander gesprochen, über dies und jenes, dass etwa Status Quo für die Rockmusik noch nie einen solchen gesetzt hätten und so weiter. All sagte jetzt, “Prost!”, Josh auch, Robert auch und zuletzt Volker.
Den ganzen letzten Probenabend hatten sie an den Schlüssen ihrer Stücke gefeilt – wenn nur etwas zum Feilen da gewesen wäre. Volker hatte sich darauf eingeschossen, nach einem Blickkontakt mit den Anderen irgendwann zwei harte Wirbel auf die Snare zu dreschen und aus die Maus. Wenn aber nicht alle auf den zweiten Wirbel Schluss gemacht hatten, setzte er meist noch drei, vier Schläge außermetrisch nach, dann einen finalen Beckenstreich, und so war das Stück rum. Dafür aber brauchte man beim Auftritt: Blickkontakt auch auf der Bühne! Der war in neun Quadratmetern Probenkeller zwangsläufig da. Aber am letzten Wochenende, in Trier, wo war da der Blickkontakt?

„Leute! Wo hattet ihr nur Euere Augen?” knurrte Alwys zornig unter sich und schnippte von da an mit dem rechten Zeigefinger aggressiv gegen seine Packung Blaue Gauloise. Eine schob sich heraus, All führte die Packung Richtung Mund, biss auf die herausstehende Zigarette und zündete sie mit diesen kleinen belgischen Plastikstreichhölzern an, die keine Reibefläche brauchten. Das waren die aus den Westernfilmen, die auch an der Schuhsohle an gingen. Hier war es die abgeschrappte Tischkante des Break.

„Darf nicht wahr sein: Wir haben unseren ersten Gig als Band, ich mische meine alten Kumpel aus der Koblenzer Zeit auf, hört mal, wo könnte ich mal mit meiner Band „Eier and the Kartons“ spielen, wir machen so Akustik-Jazz. Die nehmen uns ins Vorprogramm für ihr Tanztheater Sonnenwende mit in die Tuchfabrik nach Trier und keiner, wirklich keiner von Euch kam auf die Idee, dass man sich da mal Gedanken darüber machen sollte, wie man ein Stück im Ernstfall aufhört? Diese unendliche Blamage will ich nicht noch einmal erleben!“

„Ich auch nicht,” stimmte Josh etwas kleinlaut zu. Damit war die Sache klar. Volker und Robert wurden nicht mehr gebraucht. Obwohl sie an dem Trierer Desaster gar nicht allein schuld waren. Alwys hatte doch auch wie ein Huhn auf der Leiter in Linie gesessen und nicht im Karree mit Blickkontakt.

„Da hättest du aber auch mal darüber nachdenken soll’n, vorher,” erwiderte Robert etwas ungelenk. „Sind ja schließlich Euere Stücke.“ Gemeint waren All und Josh, die sich die Stücke meistens einfielen ließen. Oder die Stücke ließen sich All und Josh als deren Musiker einfallen. Kam irgendwie von selbst zu den beiden, die Musik.

„Jetzt geht’s los,” entgegnete All. „Wenn ich nicht weiß, wie ein Stück aufhört und das bis dato immer über Volker lief, eyh, mit den zwei Wirbeln, dann stell’ ich mein Keyboard nicht so blöd hin, dass ich da keinen anderen mehr sehe, als nur das Trierer dann ja schnell nicht mehr uns zugeneigte Publikum. Die waren sowieso nicht wegen uns gekommen.“

Jetzt sagte Volker etwas, und Alwys ahnte schon, wie das ausgehen sollte: „Also, zuerst einmal bin nicht ich der, der einfach zwei Wirbel reinhaut und ihr hört auf. Wir haben uns vorher immer alle angeguckt und dann erst ‚gib ihm‘. Wenn aber der Robert sich so scheiße vor die Requisiten von der Tanzsekte mit seinem zu großen Keyboard aufbaut, dass ich nur noch direkt neben ihm am rechten Bühnenrand Platz habe, dann braucht ihr euch nicht zu wundern, dass keiner mehr den anderen sieht. Ihr beide habt selbst direkt an der Rampe geklampft.“

„Das war nur wegen dem blendenden Licht auf der Bühnenmitte,” wand Josh sich empört aus dem Vorwurf heraus, um jetzt bloß nicht in die Schusslinie von Volker zu kommen. „Ein bisschen weiter hinten hätte ich ‘ne Gletscherbrille gebraucht, so grell ausgeleuchtet war deren Feenmodenschau schon als wir aufbauten.“

„Eyh, dass der Trierer Volksfreund über uns schreibt, ‚Publikum ignoriert. Eier passten nicht in Kartons‘, das will ich wirklich nicht noch mal erleben, sowas! Da kamen extra Leute aus Emmelshausen nach Trier, um mich wiederzuhören. Und ich verhau’ da die Stücke, weil die komplette Begleitung wegbricht. Du übrigens auch, Josh. Warum kannst Du nicht auf die Basedrum hören und musst da immer deine Terzen zwischenschieben, wo ein solider Grundton verlangt wird. Nee, echt nicht! Ich glaub’, das gibt mit uns nix, Leute. Das macht mir so keinen Spaß. Wenn wir keine Einheit auf die Bühne bringen und das beim ersten Mal schon so daneben geht, dass wir da sicher nicht mehr hinkommen müssen, dann sollten wir direkt lieber ein Ende mit Schrecken machen statt unendlich schrecklich zu enden. Tut mir leid. It’s all over now, baby blue.”

„Wie, tut Dir leid? Wie, it’s all over?” motzte jetzt Volker:„Das hättest du dann vor der Probe nach Trier sofort sagen können. Das ist ja voll die Verarsche.“

„Es-tut-mir-leid! Ich will nicht mehr mit Euch, bevor’s auch für Josh und mich zu spät ist. Noch so ein Talentschuppen und ich häng’ meine beste Freundin unter das Pferdehalfter, da ist ein Nagel frei. Lasst‘ gut sein. Ihr könnt die paar Stücke, die wir zusammen gemacht haben, ‚Santa Barbara‘, ‚Waterfalls‘, was war’s noch, eh, wie hieß das eine, ist ja egal jetzt, mitnehmen, ist mir alles egal. Spielt die, mit wem ihr wollt, aber nicht mehr mit mir und Josh. Holt bitte am Wochenende euere Instrumente aus dem Keller raus. Eier and the Kartons gibt’s mit euch nicht mehr.“

„Arschloch,” sagte Robert, stand auf und ging ohne zu zahlen. Volker rauchte fertig, trank den letzten Schluck aus dem bauchigen Bierglas mit vollen Backen, spülte einmal die Zahnzwischenräume durch und keifte beim Jacke anziehen: „Und ihr bleibt aber zusammen? Sauber, Freunde, sauber!“ Weg war er. Alwys und Josh waren trotz irgendwie schlechten Gewissens jetzt auch erleichtert.

„Ist ja schlimmer, als mit einer Frau Schluss zu machen,” sagte Josh nach einer gefühlten Schweigeminute zu Alwys. Er nickte nur stumm. Aber weder Josh noch Alwys hatten sich bisher von einer Frau getrennt. Eher umgekehrt. „Scheißfrauen,” sagte Alwys. Wieder schwiegen beide. Stefan, der Wirt, hatte die Schäfchenplatte mit dem Permanentschafsmeckern als Rausschmeißer aufgelegt und drehte laut auf.

„Wir geh’n,” beschloss Alwys. Josh fuhr ihn heim an den Stadtrand. Es war nur ein kleiner Umweg für ihn. So konnte er vor dem kommenden Wochenende am Kilometerstand abzählen, wie weit es für Alls Umzug zu ihm in die nächste Nachbargemeinde mit seinem R4 werden würde. „Vielleicht müssen wir sogar zweimal fahren, Josh,” hatte Alwys gescherzt: „Bin ich deswegen ein Verräter?“ „Ich sage ja nur ‚in einen R4 passen‘, nicht, wie oft wir fahren müssen,“ lenkte Josh zuversichtlich ein. Dieses doch vermittelnd-herzliche gefiel Alwys an Josh.

Josh wohnte im Stadtbusbereich, aber schon mitten in den Weinbergen, mit mehreren Leuten in einem alten Winzerhof, den sie nach und nach aufmöbelten. Er selbst saß gerade an seiner Diplomarbeit in Graphik-Design und bastelte an einem Buch, in dem er Ibsens „Klavierstunde“ typographisch wie ein Kinderbuch von James Krüss umsetzte. Da sprangen einem die Buchstaben des Textes förmlich in die Netzhaut.

Die „Komödie des Geldes” von Arthur Zupf erscheint mit freundlicher Genehmigung vom 1. bis 24. Dezember 2024 als Erstveröffentlichung exklusiv im Extradienst. Rückmeldungen sind explizit erwünscht.

Über Arthur Zupf:

Unter der Kennung "Gastautor:innen" fassen wir die unterschiedlichsten Beiträge externer Quellen zusammen, die wir dankbar im Beueler-Extradienst (wieder-)veröffentlichen dürfen. Die Autor*innen, Quellen und ggf. Lizenzen sind, soweit bekannt, jeweils im Beitrag vermerkt und/oder verlinkt.

2 Kommentare

  1. Mäzen Mäzenowitsch

    Hallo Extradienst,
    wie der Zupf das Zeitpanorama einfängt, klingt wirklich authentisch und hat den entsprechenden literarischen Tiefgang dank mehrer Reflexionsebenen, auf denen sich das Ganze abspielt. Das ist mal die andere Adventszeit! Endlich wird sich einmal nicht affirmativ, wie Adorno sagen würde, an das Weihnachtsfest rangeschmissen. War doch was mit Dialektik…Danke dafür.

    Mäzen Mäzenowitsch

    • Martin Böttger

      Pseudonyme gibts … Hat über die schon mal jemand ‘n Buch geschrieben?

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