Schwere emotional mitnehmende Doku – und federleichte belgische Serie
Die Musikdokumentationen, die Arte für sein TV-Programm aussucht, sind immer von ausgesuchter Qualität. In diesem Einzelfall muss ich ein Geständnis vorausschicken: dieser Film hat mich, insbesondere in seiner Schlussphase, noch mehr berührt, als es ihre Lieder konnten: “Joan Baez – Mit lauter Stimme – Das eindringliche Porträt der legendären Sängerin und Aktivistin Joan Baez begleitet sie auf ihrer Abschiedstournee und gibt einen unvergleichlich intimen Einblick in ihr Leben – von den Höhen der Bürgerrechtsbewegung und ihren musikalischen Erfolgen bis zu den Auseinandersetzungen mit ihren persönlichen Dämonen.” Ein Film von Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle, koproduziert von Patti Smith, verfügbar bis 5.1.2025.
Mrs. Baez, ihre Lieder und ihre Stimme haben immer polarisiert, wie es auf andere aber auch ähnliche Art z.B. Claudia Roth tut (die ich zufällig weit besser kenne). Ihre Emotionalität wirkt auf grosse Teile des Publikums zu dick aufgetragen, ist sie aber nicht. Sie ist echt. Das schreckt die einen ab, meistens eine Mehrheit, bindet aber eine Fangemeinde fest an sich. Ich prahle nun: ich bete solche Damen nicht an, weil sie eine Seite haben, die ich im Alltag nicht um mich haben mag. Aber ich respektiere sie, und beneide sie um ihre Kraft, die sie in ihr politisches Engagement investieren.
Dieser Film über Joan Baez legt nun mit ihrer eigenen Mitwirkung offen, auf welch fragilem Fundament diese Kraftanstrengung steht. Ich würde nicht mit ihrer, ihrem Ruhm und ihrem gemässigten US-amerikanischem Reichtum tauschen wollen. Zwei aufeinanderfolgende Schlüsselsätze in dem Film – vielleicht vom Therapeuten, das konnte ich nicht identifizieren – lauten: “Sie ist die meiste Zeit emotional krank … Sie hat die normale Welt verlassen.” Mich gruselt das. Die 83-jährige Baez – bei den Dreharbeiten vielleicht 1-2 Jahre jünger – steht nun gerade vor der Kamera, und kommentiert ihre eigene Tragik. Ist das gruselig? Oder grossartig? Entscheiden Sie selbst.
Eine mögliche Betrachtung: die Kunst hat ihr das Leben gerettet, und sie ihre zwei schönen Schwestern überleben lassen.
Belgiens geniales TV
Noch bis zum Monatsende (30.12.) können Sie Spass mit “Single Bells” haben. Ein guter Ausgleich nach schwerer Kost.
Der rote Faden der Story ist komplett albern. Eine Familie mit grossem schönem freistehendem Altbau (in Belgien!), also nicht arm, will die jüngste der drei schönen Töchter in der Adventszeit verkuppeln. Es ist mehr schneiender Schnee zu sehen, als in einem Jahr in Belgien fällt. Besagte Tochter hat aber schon einen Tuppes, den sie ihrer Familie nicht vorstellen mochte. Weil: nur für Sex. Die Storyline ist also komplett bescheuert.
Anders die filmische und dramaturgische Umsetzung. Es stellt sich im Zuge der 12 flott geschnittenen kurzen Folgen (20-25 min) heraus, dass alle anderen Familienmitglieder weit grössere Probleme mit sich selbst und den andern haben.
Die letzte Folge endet wie erwartet kitschig. Die können Sie, wenn Sie sowas nervt, weglassen. Die elf Folgen davor sind grosse Klasse. Und kein einziges Gesicht ist Ihnen aus dem deutschen TV bekannt – alle ganz frisch, und spielfreudig, dass es eine Freude ist.
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