Vor der Bundestagswahl: wer beachtet die Unbeachteten?

In den meisten Medien war die Aufregung gross über die Frage, wie die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen ARD und ZDF die Spitzenkandidat*inn*en einiger Parteien aufeinander loslassen wollen. Wie wichtig ist das? Für die Kandidat*inn*en ist es zweifellos eine wichtige Bühne sich zu zeigen. Auch wenn nur eine Minderheit der Bevölkerung dabei zusehen mag, so wird doch auf allen Medienklavieren darüber berichtet, gestritten und nicht zuletzt: gewütet. Für die Motivation der kleinen Bevölkerungsminderheit von Parteimitgliedern ist so ein Ereignis und seine Begleitmusik eine zentrale Quelle von Motivation oder Demotivation. Unwichtig ist es also nicht.

Es gibt jedoch eine Mehrheit, die von den weitgehend berechenbaren Medienmechanismen rund um so ein Ereignis gelangweilt wird. Die Einen wissen sowieso schon, wen sie wählen. Die Anderen wollen gar nicht wählen, weil sie befürchten, es würde sowieso nichts ändern – jedenfalls nicht zum Besseren. Ich bekenne als Gefühl, dass ich selbst eine Mischform dieser Einen und dieser Anderen bin.

Der Kollege René Martens hat die jüngsten Ereignisse und insbesondere ihr Medienecho versucht zusammenzufassen, zu verstehen und zu analysieren. Ich bin ihm sehr dankbar für Zeitaufwand und Denkanstrengung, und empfehle Ihnen das gerne weiter. Es lässt sich überschreiben mit

Desinteresse

Interessieren sich die Medien eigentlich für die Nichtwähler? – Alle reden über ‘Duell’-Gäste, aber nur wenige über die Moderatoren. Die Berichterstattung über Energiepolitik wird von Falschbehauptungen dominiert. Wenige mächtige Internetunternehmer zerstören ‘den Begriff der objektiven Wahrheit'”.

und

Selbstreferenzialität

Und morgen die ganze Welt – Nachdem Elon Musk einem britischen Rechtsaußen-Politiker 100 Millionen Dollar in Aussicht gestellt hat, macht er nun auch klar, wie er sich die Rettung Deutschlands vorstellt. Außerdem: ‘Caren Miosga’, ‘Hart aber fair’ und ‘Maybrit Illner’ ist die Klimakrise wurscht.”

Der von Martens zitierte “Volksverpetzer” hat in der sog. “Leipziger Autoritarismus-Studie” eine inhaltlich aufsehenerregende Stelle entdeckt, die jedoch keinerlei Medienaufsehen erregt, und offenbar auch keine demokratische Partei zu irgendeinem auffälligen Nachdenken veranlasst hat. Seine Zwischenüberschriften zu diesem Sachverhalt, der auch bei ihm erst weiter unten gelandet ist, lauten: “3. Enttäuschte Bürger vor allem links der Mitte”, “AfD hat vor allem die rechtsextreme Szene erfolgreich mobilisiert” und “Kaum Autoritäre unter den unentschlossenen Wählern”.

Das heisst, die Rechte ist motiviert und mobilisiert, die bürgerliche, liberale oder wasauchimmer Linke umgekehrt. Wer den öffentlichen Diskurs nach rechts verschiebt, wie es fast alle Parteien tun, wird diesen Effekt verstärken. Eine gesellschaftlich relevante Kraft (geschweige denn Partei), die Impulse für eine Linksverschiebung des öffentlichen Diskurses und seiner Themensetzung (“Agendasetting”) setzt, ist öffentlich nicht bemerkbar.

Alles was ich Hilfreiches in meinem Rentneralltag bemerke, wird Ihnen weiterhin hier empfohlen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net