In Peru wird der Megahafen Puerto Chancay eingeweiht

Der moderne „Hafen-Hub Südamerikas“ soll er sein: Nach fünf Jahren Bauzeit wurde im November der Megahafen von Chancay eingeweiht. Passenderweise geschah das, während in Peru das Asien-Pazifik-Forum (APEC, Asia Pacific Economic Cooperation) stattfand. Denn der Hafen ist zu 60 Prozent in chinesischer Hand. Er ist Teil der chinesischen „Neue Seidenstraße“-Initiative und damit geopolitisch hochrelevant. Für Peru sei der Hafen ein strategisches Projekt, hob Präsidentin Dina Boluarte hervor. Das Land soll damit zum zentralen Knotenpunkt für den globalen Handel mit Asien werden.

Die kleine Hafenstadt Chancay liegt knapp 70 Kilometer von der peruanischen Hauptstadt Lima entfernt. Rund 56000 Einwohner*innen leben in der Stadt, die für ihre handwerkliche Fischfangtradition bekannt ist. Das Handelsvolumen ist gering, aber das Wasser vor der Küste von Chancay ist tief genug für einen Megahafen. Die Nähe zu Callao, der an Lima angrenzenden Hafenstadt, und zum internationalen Flughafen Jorge Chávez machen das Projekt wirtschaftlich attraktiv. Die Anbindung an den interozeanischen Amazonas-Korridor stärkt sein strategisches Potenzial.

Dem Übereinkommen mit dem chinesischen Staatsunternehmen China Ocean Shipping Company (COSCO) zufolge belaufen sich die Investitionen auf vier Milliarden Dollar. Der Hafen wird rund um die Uhr betrieben, Schiffe von bis zu 400 Metern Länge können hier anlegen. Waren aus der Asien-Pazifik-Region werden 15 Tage schneller ans Ziel kommen. Investmentberater Leopoldo Monzón erklärte am 31. Oktober in Radio Exitosa: „Es ist verrückt, was das für Peru heißt!“ Er bezieht sich auf den erheblichen wirtschaftlichen Einfluss, den das Projekt haben wird – insbesondere durch die Verbindung mit Brasilien und die Schaffung von mehr als 7500 Arbeitsplätzen während der Bauzeit.

Nebulöse Versprechungen verschleiern die Realität

Die Erklärungen über das wirtschaftliche Wachstum durch den Megahafen Chancay sind optimistisch. Doch die Anwohner*innen erleben eine andere Realität. Eine, die vor allem von Unsicherheit geprägt ist. Am 28. Juli veröffentlichte die internationale Tageszeitung El País Augenzeugenberichte wie den von Melissa Izquierdo, wonach Bodenabsenkungen gefährliche Risse in mehreren Wohnhäusern verursachten. Die Bauarbeiten, insbesondere der Bau der Ausfahrtstraße des Hafens samt Unterführung unter der Stadt, lösten ständige Erschütterungen und Explosionen aus.

El País hebt auch die Auswirkungen auf die handwerkliche Fischfangtradition hervor. Weil am Meeresgrund Schäden verursacht wurden, müssen sich die Fischer*innen weiter hinaus wagen. Dadurch können sie insgesamt weniger fischen und ihr Lebensunterhalt verteuert sich. Die Fischerei lebt von einer intakten, gesunden Meeresfauna, die nun nach Ansicht des Biologen Antony Apeño bedroht ist. Dazu gehört auch der zerstörerische Einfluss von Erdbewegungen und Lärm auf das Feuchtgebiet Santa Rosa, dessen Biodiversität bereits Schaden genommen hat.

Sorgen bereitet darüber hinaus der horrende Preisanstieg von Grundstücken. Die Preise seien laut Juan Álvarez Andrade, Bürgermeister von Chancay, von zwei Dollar auf eintausend pro Quadratmeter in die Höhe geschnellt. Dadurch könnten viele Bewohner*innen gezwungen sein, ihre Häuser zu verlassen. Ein Jahr nach der Ankunft von COSCO berichtete die Wochenzeitung „Hildebrandt en sus trece“ bereits über die zunehmende Bodenspekulation in der Umgebung des Hafens. Demnach hätten sich mafiöse, kriminelle Organisationen Flächen mit archäologischen Stätten und andere Grundstücke, deren Besitz umstritten ist, unter den Nagel gerissen.

Rechtliche und Sicherheitsbedenken spielen allerdings auch für Peru als Nation eine Rolle. Laut dem digitalen Investigativmedium Ojo Público gibt es für den Hafen keine staatliche Konzession, da nie ein Vertrag zwischen dem Staat und COSCO unterzeichnet wurde. In der Konsequenz kann die zuständige Aufsichtsbehörde (Ositran) ihren Aufgaben nicht nachkommen. Das hat eine politische und gesellschaftliche Kontroverse ausgelöst: Obwohl der Hafen als öffentliche Infrastruktur eingestuft wird, fällt seine Verwaltung nicht unter das peruanische Hafensystemgesetz – das wurde während der Bauarbeiten zugunsten von COSCO geändert. Unweigerlich kommen hier Bedenken hinsichtlich der nationalen Souveränität auf.

Geopolitische Bedenken

China betrachtet den Megahafen von Chancay als Teil der „Neuen Seidenstraße“. So erklärte es Präsident Xi Jinping auf dem APEC-Forum 2024. Das Onlinemedium Infobae berichtete in seiner Ausgabe vom 18. November 2024, dass dieses Projekt von anderen internationalen Akteur*innen, insbesondere den USA, mit Skepsis beobachtet wird. Mauricio Claver-Carone, ein ehemaliger Berater der Regierung von Donald Trump, schlug vor, einen Zoll von 60 Prozent auf Waren zu erheben, die in Chancay abgefertigt und weitertransportiert werden. Seine Befürchtung: Der von China kontrollierte Hafen könnte zu einem Einfallstor für chinesische Billigprodukte werden, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der USA beeinträchtigt und die Abhängigkeit Südamerikas von China erhöht würden.

Diese Spannungen sind ein Spiegelbild der verstärkten Präsenz Chinas in Lateinamerika. 200 Unternehmen sind bereits in Peru tätig und verwalten drei der vier wichtigsten Häfen des Landes. Der Wirtschaftswissenschaftler Pedro Francke beschreibt diese Beziehung als einen ungleichen Austausch, bei dem Peru Rohstoffe liefert, die in China industrialisiert und mit Mehrwert zurückgeschickt werden. Das behindere die Entwicklung der lokalen Industrie und benachteilige nationale Produzent*innen.

Fortschrittsfantasien

Der Megahafen Chancay wird potenziell einen großen wirtschaftlichen Einfluss auf Peru und die Region haben. Das ist unbestreitbar. Aber mit seinem Bau gehen auch Probleme einher, die in der öffentlichen Debatte heruntergespielt werden. Die sollten wir nicht ignorieren. Wir befinden uns in einem Moment ständiger politischer Krisen, die makroökonomische Situation ist jedoch stabil. Das ist ein fruchtbarer Boden für einen Diskurs, der Hoffnung auf Fortschritt vermittelt. Diese Erzählung ist attraktiv, da sie für Wachstum und Moderne steht, aber sie ist irreführend, da sie die sozialen und ökologischen Kosten für die lokalen Gemeinschaften ausspart.

Die Sorgen der Bewohner*innen von Chancay, der Fischer*innen, der Naturschützer*innen und der Befürworter*innen nationaler Souveränität werden von einer großspurigen Erzählung über die Vorteile des Megahafens überlagert. Und die Auswirkungen des Projekts gehen weit über die Grenzen des Lokalen hinaus. Das zeigt sich an Chinas Vormachtstellung in vielen Bereichen der kritischen Infrastruktur des Landes.

Der euphorische Diskurs verbreitet sich hauptsächlich in den sozialen Medien, wo auf Plattformen wie YouTube lediglich die Erfolge des Projekts hervorgehoben und die Herausforderungen und negativen Konsequenzen verschwiegen werden.

Die Relevanz des Megahafens von Chancay anzuerkennen bedeutet, sowohl seine Chancen als auch seine Risiken zu berücksichtigen. Um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, brauchen wir einen Dialog, der die Stimmen aller Akteur*innen einbezieht und eine inklusive Entwicklung fördert. So können wir verhindern, dass Fortschrittsversprechen zu leeren Versprechungen werden, wie in der Geschichte Perus schon so oft geschehen.

Reynaldo Panduro Llerena ist Historiker und Sozialwissenschaftler. Als Doktorand des internationalen Graduiertenkollegs „Temporalities of the Future“ der FU Berlin promoviert er über „Das Bild des peruanischen Nationalstaats und die Zukunft Perus in den Texten und Lehrmaterialien des frühneuzeitlichen Nationalismus“. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ila 481 Dez. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Links wurden nachträglich eingefügt.

Über Reynaldo Panduro Llerena / Informationsstelle Lateinamerika:

Die Informationsstelle Lateinamerika e. V. (ila) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz im Oscar-Romero-Haus in Bonn. Das Ziel des Vereins ist die Veröffentlichung kritischer und unabhängiger Informationen aus Lateinamerika. Der Schwerpunkt liegt auf Nachrichten und Hintergrundinformationen aus basisdemokratischer Perspektive. Die Informationsstelle Lateinamerika begreift sich als Teil der politischen Linken und engagiert sich in übergreifenden politischen Bündnissen wie der Friedens- und Antikriegsbewegung oder Attac. Der Verein besteht seit 1975 und gibt die gleichnamige Zeitschrift ila heraus. Alle Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit freundlicher Genehmigung.