“Fall Mischke” / Ukrainekrieg / Agrarwende

Maren Urner, kürzlich beruflich vom Rheinland nach Westfalen gewechselt (warum nur?), zähle ich zu den überdurchschnittlich klugen und gleichzeitig wenig geschwätzigen Medienwissenschaftler*innen. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich selbst auch gar nicht so bezeichnet, sondern als Neurowissenschaftlerin. Jedenfalls hat sie jetzt im Spiegel (Paywall) wieder was überdurchschnittlich Kluges gesagt, für das der aufgeblasene “Fall Mischke” nur Anlass und Symptom war:

“Wir haben mit den sozialen Medien einen Raum geschaffen, in dem wir Debatten viel partizipativer führen können, als wir es analog jemals könnten. Wir haben diese großartige Technologie konstruiert, aber dabei noch nicht die notwendige Kultur dafür entwickelt. Wir hinken sozusagen hinterher, weil uns die kulturellen Gewohnheiten, Routinen, Mechanismen und auch Regeln noch fehlen.”

Das “Wir”, wende ich ein, bedürfte einer genaueren Definition – der allgegenwärtige klassenpolitische blinde Fleck. Und konkret zum Gewese um den “Fall Mischke”:

“Ja, weil die Themen, die nun nur am Rande diskutiert wurden – Sexismus und Frauenfeindlichkeit – hochgradig relevant sind. Nein, weil es nie hilft, große Themen an einzelnen Menschen abzuarbeiten. Das geht immer am Thema vorbei. Eine verpasste Chance sozusagen.” Mit dem Kollegen Hilker stimme ich in der Diagnose überein: hätten sich die inkompetenten Bossinnen und Bosse aus der Angelegenheit rausgehalten, und würden sie die Fachredaktionen ihre präsentierenden Moderator*inn*en selbst aussuchen lassen, wäre das ARD-Kind viellicht nicht in diesem Brunnen ersoffen. Eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Denn bei neun beteiligten Sendern können sich auch Fachredaktionen über hundert Jahre zerstreiten.

Ukrainekrieg

Charles A. Kupchan & Michael Froman, ersterer ein ehemaliger Obama-Berater, schreiben im sozialdemokratischen IPG-Journal: (P)art of the Deal – Trump strebt einen Waffenstillstand in der Ukraine an. Doch dafür muss er Putin Paroli bieten – und Kiew langfristige Unterstützung zusichern.”

Das darf als Versuch einer sozialdemokratischen Positionsbestimmung für die nächste Trump-Amtszeit gelesen werden, und hat die erwartbaren Schwächen. Der Schwachpunkt, der die Einsturzgefahr für das gesamte skizzierte Gedankengebäude zutage treten lässt, findet sich in diesem Absatz:

“Schließlich muss Trump erkennen, dass er kein Abkommen mit Putin schließen kann, ohne die europäischen Verbündeten Amerikas mit ins Boot zu holen. Unabhängig davon, ob ihm die Europäische Union gefällt oder nicht, braucht er ein starkes, sicheres und geeintes Europa als leistungsfähigen Verbündeten. In einer Zeit, in der viele Länder die Führungsrolle der USA infrage stellen und mit alternativen Bündnissen liebäugeln, müssen die USA und ihre europäischen Verbündeten im Gleichschritt voranschreiten.”

Fast alle hier gesetzten Voraussetzungen existieren nicht (mehr). Wer sind “die europäischen Verbündeten Amerikas”? Wer ist “Amerika”? Die EU “ein starkes, sicheres und geeintes Europa als leistungsfähigen Verbündeten”? Haben wir gelacht. Das erinnert an den EU-Führer Olaf Scholz, der laut ruft “Mir nach!” – und hinter ihm nichts als Leere. “… und ihre europäischen Verbündeten im Gleichschritt voranschreiten”. Superpointe für diesen guten Witz. Trump wird was Anderes machen.

Wie in Österreich aktuell demonstriert und in Italien schon vollzogen, wird Trump seine eigene Seilschaft innerhalb der EU bilden, mit Flinten-Uschi als Wachs in seinen Händen. Wenn er Zeit hat, wird er über diese EU lachen.

Ein – egal ob grün- oder SPD-geführtes – Auswärtiges Amt wird sich entscheiden müssen: Atlantiker*in bleiben, oder sisyphus-artige*r Europäer*in werden. An den relevanten China-Beziehungen wird es sich entscheiden. Übermorgen können Sie versuchen, Annalena Baerbock im Beueler Brückenforum dazu zu befragen, Ich fürchte allerdings, es wird keine Diskussion, sondern eine Präsantation. Hier steht alles, was Sie nicht mitbringen dürfen.

Agrarwende: Wir haben es satt

Wie jedes Jahr zur “Grünen Woche” demonstriert ein breites gesellschaftliches Bündnis unter dem Titel “Wir haben es satt” in Berlin für die Agrarwende. Mir ist die Reise in den deutschen Osten zu weit und zu teuer. Aber es gibt derzeit nur weniges, womit ich mich politisch noch mehr identifizieren kann. Keine Ahnung, ob Cem Özdemir anwesend sein wird.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net