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70 Kilometer bis zur nächsten Klinik

Immer wieder schließen Krankenhäuser aus finanziellen Gründen, gefährden so die wohnortnahe Versorgung und erhöhen die Belastung in den verbleibenden Häusern

Szenen wie kurz vor Weihnachten in Angermünde dürfte es in den kommenden Monaten noch häufiger geben: 1.200 Menschen gingen dort am Abend des 19. Dezember auf die Straße – die größte Demonstration, die die Kleinstadt in der Uckermark seit vielen Jahren gesehen hat. Die Menschen in der Region fürchten um die wohnortnahe Krankenhausversorgung, die der kommunale Betreiber GLG zentralisieren will. “Das geht vielleicht in den großen Städten”, meint der GLG-Betriebsratsvorsitzende und Krankenpfleger Jörn Liefke. “Im ländlichen Raum wie bei uns bedeuten Klinikschließungen aus rein finanziellen Gründen, dass die Wege für Patienten, Angehörige und Beschäftigte noch weiter werden. Auch die Risiken in der Notfallversorgung steigen.”

Die von den Landkreisen Barnim und Uckermark sowie der Stadt Eberswalde getragene Gesellschaft Leben und Gesundheit (GLG) will das Angermünder Krankenhaus zu einer reinen Fachklinik für Psychiatrie schrumpfen, ohne Intensivstation und stationäre Innere Medizin. Auch im benachbarten Prenzlau sollen zentrale Bereiche geschlossen werden. “Patienten und Angehörige müssten dann über 30 Kilometer ins nächste Krankenhaus, zum Teil sogar ins fast 70 Kilometer entfernte Eberswalde fahren – das kann nicht jeder”, gibt Krankenpfleger Jörn Liefke zu bedenken. Das gelte auch für viele Beschäftigte. “Betriebsbedingte Kündigungen sollen zwar ausgeschlossen sein, aber wenn jemand solche Arbeitswege nicht in Kauf nehmen will oder kann, ist er seinen Job trotzdem los.” Dem Betriebsrat bleibe nur, die Folgen durch Sozialplan und Interessenausgleich abzumildern.

Massive Kritik übt der Betriebsratsvorsitzende daran, dass die Beschäftigten über ihre Perspektiven im Unklaren gelassen werden. “Die Kommunikation ist katastrophal, wir erhalten überhaupt keine konkreten Informationen. Folge dieser Unsicherheit ist, dass viele gehen – und die kommen nicht wieder.” So habe am Klinikum Prenzlau fast das gesamte Team der Intensivmedizin und Anästhesie ihre Kündigung eingereicht, ebenso etwa jede dritte Pflegekraft in diesem Bereich. “So kommt die Versorgung auf dem Land unter die Räder“, sagt Jörn Liefke.

Mit ihrem Protest habe die Bevölkerung jetzt deutlich gemacht, dass sie von der Politik etwas anderes erwartet. “Wenn die Verantwortlichen darauf nicht eingehen, fürchte ich eine weitere Entfremdung. Im schlimmsten Fall gibt es populistischen Parteien Auftrieb, die vermeintlich einfache Lösungen bieten.”

Auch im Westen schließen Kliniken

Krankenhausschließungen sind kein ostdeutsches Problem. Die Folgen sind ganz im Westen der Republik, wie im nordrhein-westfälischen Solingen, ebenso spürbar. Vordergründig gehört das Städtische Klinikum in Solingen zu den “Gewinnern”: Nachdem zwei katholische Häuser in unmittelbarer Nähe schließen mussten, eröffnete es zwei neue Fachabteilungen und erweiterte das Leistungsangebot. Mehrere hundert Beschäftigte wechselten aus den insolventen Kliniken zu dem kommunalen Träger. Dennoch sehen die Betriebsratsvorsitzende Katja Scheidtweiler und ihr Stellvertreter Guido Stamm in der Entwicklung keine reine Erfolgsgeschichte.

“Die Schließung der anderen Kliniken traf uns völlig überraschend und hat uns richtig viel abverlangt”, betont Katja Scheidtweiler, gelernte Krankenpflegerin. Im laufenden Betrieb musste der Standort ausgebaut werden. “Baulärm und Platzmangel sind eine extreme Belastung, mit den zusätzlichen Patientenströmen werden wir kaum fertig”, berichtet die Betriebsrätin. “Oft müssen die Menschen in der Ambulanz stundenlang warten. Man kann sich vorstellen, was das in der ohnehin aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung bedeutet. Den Unmut bekommen unsere Kolleginnen ab.”

Zwar habe sich der Arbeitgeber bei der Übernahme von Pflege- und anderen Fachkräften sehr kulant gezeigt, zum Beispiel bei der Mitnahme von Erfahrungsstufen. “Aber die Kollegen aus Transport, Küche und anderen Dienstleistungsbereichen mussten in die zeitgleich gegründete Servicetochter gehen, wo sie hunderte Euro weniger verdienen”, sagt der Fachkrankenpfleger Guido Stamm. Auch andere neue Kolleg*innen werden nur noch in der Service GmbH eingestellt. “Diese Tarifflucht auf Kosten derjenigen, die ohnehin wenig verdienen, muss rückgängig gemacht werden. Krankenhaus ist Teamarbeit und funktioniert nur mit guten Bedingungen für alle Berufsgruppen.”

Trotz aller Schwierigkeiten seien die Umstände in Solingen noch vergleichsweise gut, sagt Guido Stamm. “Aber ein planvolles Vorgehen war das nicht. Und es ist keine Blaupause für den Umbau der Kliniklandschaft.” Das grundsätzliche Problem sieht der Gewerkschafter darin, dass Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen agieren müssen. Etliche sind strukturell unterfinanziert. Laut einer Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts haben fast 80 Prozent der Kliniken 2024 Verluste eingefahren – so viele wie noch nie. Wenn die Regierung die von Krankenhausbetreibern und ver.di geforderte Nothilfe weiterhin verweigert, werden Solingen, Prenzlau und Angermünde keine Einzelfälle bleiben.

ver.di wählt

Unsere zentralen Anforderungen in der Gesundheitspolitik zur Bundestagswahl 2025:

die Gesetzliche Krankenversicherung verlässlich absichern

eine bedarfsorientierte Reform der Krankenhausversorgung und -finanzierung

eine bedarfsgerechte Personalbemessung für Gesundheitsberufe

die Primärversorgung stärken und Gemeinwohlorientierung fördern

die Langzeitpflege sichern und zukunftsfähig gestalten

die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen attraktiv und zeitgemäß gestalten

Ohne Migrant*innen läuft keine Klinik

Rund 1,25 Millionen Menschen sind in Pflegeeinrichtungen in Deutschland beschäftigt. Laut Daten des Sachverständigenrats für Integration und Migration hat mehr als ein Fünftel aller Erwerbstätigen in der Gesundheits- und Krankenpflege eine Migrationsgeschichte. Mehr als ein Viertel der Ärzt*innen ist selbst zugewandert oder hat zugewanderte Eltern. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Syrien und Rumänien. Wie wichtig die hoch qualifizierten Fachkräfte aus dem Ausland sind, zeigt sich vor allem in Ostdeutschland. Dort arbeiten prozentual gesehen besonders viele ausländische Ärzt*innen. In den Flächenländern beträgt ihr Anteil an der Ärzteschaft insgesamt 15 Prozent. Er ist damit rund dreimal so hoch wie der Ausländeranteil in der dortigen Bevölkerung. Ähnliches gilt für die Gesundheitsversorgung in eher ländlichen Regionen. Und auch in der Alten- und Krankenpflege zeigt sich: Ohne Migrant*innen stünde das System vor dem Kollaps.

Die Zahl der zugewanderten Ausländer*innen, die im Gesundheitswesen arbeiten, hat sich zwischen 2013 und 2019 fast verdoppelt. Allein 29 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrer*innen arbeiten im Gesundheitswesen (11 Prozent Männer, 18 Prozent Frauen). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat deshalb bereits vor Abschiebungen integrierter Syrer*innen gewarnt, in den Kliniken würde das die Personaldecken enorm ausdünnen.

Krankenhausreform beschlossen

Die vom Bundestag im Dezember beschlossene Krankenhausreform löst die Probleme nicht. ver.di drängt weiter auf eine wirkliche Abkehr von der Ökonomisierung und fordert eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und am Gemeinwohl orientierte Versorgung aller Menschen. Zudem braucht es kurzfristige Finanzhilfen, um die Schließung von Krankenhäusern aus wirtschaftlicher Not zu verhindern.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Über Daniel Behruzi / ver.di-publik:

Unter der Kennung "Gastautor:innen" fassen wir die unterschiedlichsten Beiträge externer Quellen zusammen, die wir dankbar im Beueler-Extradienst (wieder-)veröffentlichen dürfen. Die Autor*innen, Quellen und ggf. Lizenzen sind, soweit bekannt, jeweils im Beitrag vermerkt und/oder verlinkt.

Ein Kommentar

  1. Christian Wolf

    Bei aller Kritik an der Reform, sollten wir nicht unbeobachtet lassen, dass unsere Gesundheit ein wachsender Wirtschaftszweig ist und dem haben sich die Krankenhäuser zu beugen! Teure Arbeitskräfte, die zum Beispiel in der Küche oder zu Reinigungsarbeiten in eine für den Betreiber günstige Servicegesellschaft ausgegliedert werden können, sparen der Krankenhausgesellschaft bares Geld! Sie müssen schließlich auch die Ärzte und Pflegekräfte zahlen, die sich kaum auf Verhandlungen einlassen! All das schmälert den Gewinn der Betreibergesellschaften, die schließlich auch Steuern davon zahlen müssen – das ist aber leider nur möglich, wenn sie gewinnorientiert arbeiten! Und nicht jeder unterbevölkerte Landstrich braucht ein voll ausgestattetes Krankenhaus mit Intensivstation und Belegbetten, das ist der pure Luxus im Landleben, das kann niemand bezahlen! Unser Gesundheitssystem ist ein Wirtschaftszweig der nichts mit den persönlichen Animositäten zu tun hat,

    Um das zu befeuern, hoffe ich doch, dass niemand der ePA widersprochen! Wer ist nicht getan hat, bekommt demnächst 10 Prozent Rabatt auf seine Krankenkassenbeiträge, sagt Merz, unser neuer Kanzler! Wir werden ihn lieben!

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