Es tut doch gut, dass Jürgen Habermas (95) sich einmal mehr zur Lage in Deutschland, Europa und der Welt äußert. Auch wenn sein Text, wie Reinhard Olschanski heute im Beueler Extradienst schreibt, an manchen Stellen unentschieden und mäandernd wirkt. Nicht alles, was er in der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende schreibt, muss man mögen, auch seinen Stil nicht, aber sein Plädoyer für ein politisch starkes Europa angesichts eines unzuverlässig gewordenen Partners jenseits des Atlantiks kann gar nicht ernst genug genommen werden, denn die allseits geforderte militärische Einheit und Stärke Europas ohne die gleichzeitige Abgabe von politischer Souveränität der Mitgliedstaaten an eine reformierte und demokratisierte EU und wird entweder nicht funktionieren oder zu einem allgemeinen Primat des Militärischen führen, vor dem einem (oder einer) nur grauen kann. Es wäre eine Art Militärputsch von oben.
Um das zu vermeiden, muss insbesondere die deutsche Politik eine Schwelle der europäischen Integration nehmen, wie Habermas schreibt, auf deren Vermeidung die Bundesregierung unter Schäuble und Merkel beharrlich bestanden hatte, von der „Ignoranz und Untätigkeit der Ampelregierung in Sachen Europa“ ganz zu schweigen. Die schwerfälligen und ritualisierten Entscheidungsprozesse in der EU, die aufgeblasene Kommission und der bürgerferne Habitus europäischer Institutionen gehören kritisch hinterfragt und zugunsten eines modernen demokratischen Prozedere abgeschafft. Dann bestünde eine Chance, dass Rechtspopulisten, die ja genau das gegenteilige Geschäft betreiben, künftig ins Leere laufen. Sicherheit und Demokratie gibt es nur mit und in Europa.
Zweifel sind allerdings angebracht, ob sich diese Sichtweise statt einer nunmehr mit viel Geld unterlegten Militarisierung der politischen Debatte in der Koalition von SPD und CDU an irgendeiner Stelle wieder finden wird. Eine SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag dürfte die Nagelprobe sein, ob sich in der deutschen Sozialdemokratie noch Reste einer friedens- und entspannungspolitischen Tradition befinden. Ganz bestimmt hätte Willy Brandt auch der Ukraine geholfen, sich selbst zu verteidigen. Er hätte aber die Verengung der politischen Optionen auf das Militärische mit Sicherheit nicht mitgetragen, sondern frühzeitig das Primat des Politischen vor dem Militärischen in enger transnationaler Abstimmung zu wahren gesucht.
Wirtschaftlich und politisch wäre es mehr als unglücklich, sich vom pubertären Machtgehabe des amerikanischen Präsidenten und seiner Hofschranzen abschrecken zu lassen und die USA als engsten Verbündeten abzuschreiben, nur weil die Demokraten sich lieber damit beschäftigen, ob in jedem Restaurant eine dritte oder vierte Toilette vorgeschrieben werden soll, anstatt an einer attraktiven Alternative (personell und programmatisch) zum System Trump zu arbeiten.
Das Fatale an den Rechtspopulisten ist, dass sie meistens an einem Punkt recht haben. Es ist dem Farmer im mittleren Westen schwer zu vermitteln, warum er mit seinen Steuern für die Sicherheit des reichen Westeuropas geradestehen soll, während Deutschland kontinuierlich mehr Waren in die USA exportiert als umgekehrt. Zölle sind einfach zu verstehen. Zwei Schritte weiter muss man nicht denken. Es geht Trump ja auch gar nicht um solche Details, sondern um die Macht für ihn und seinen bizarren Clan.
Es gibt also viel zu tun. Europa nicht nur zu digitalisieren, sondern neu erfinden und mit unseren amerikanischen Freunden darüber reden, wie es weitergehen soll. Eine ausgeglichene Handelsbilanz könnte ebenso helfen wie verstärkter sozio-kultureller Austausch. Gerade jetzt, in einer so kritischen Phase der Weltpolitik bringt es nichts, sich beleidigt in sein nationales Schneckenhaus zurück zu ziehen, nach dem Motto, dann machen wir es eben alleine, koste es, was es wolle. Danke, Jürgen Habermas, für den Denkanstoß, dem eine breite Debatte zu wünschen ist. Vielleicht gelingt es ja auch noch, die Süddeutsche zu überzeugen, dass man so etwas nicht hinter einer Bezahlschranke verstecken darf.
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