Im schwarz-roten Koalitionsvertrag finden sich grundfalsche Vorstellungen davon, welche Rolle Geld und Macht in unserer Gesellschaft spielen sollen. Denn nicht alles, was glänzt, ist auch golden. Und darunter schimmert manchmal auch eine gefährliche eiserne Rohheit.
Seit der letzten Degitalisierung ist viel passiert: Sondervermögen, Zoll-Achterbahn, Koalitionsvertrag. Jede Vorausschau in diesen Zeiten fällt nicht leicht, weil sich schon morgen wieder irgendwas ereignen könnte, das die Welt, ihre Wirtschaft oder die Geopolitik erneut an den Rand des Komplettchaos stürzen könnte. Daher soll der vorherrschende Gedanke dieser Kolumne sein, was Geld und Macht in großen Mengen in dieser Zeit und unter den bisher bekannten politischen Rahmenbedingungen manifestieren kann. Beginnen wir beim Geld, bei viel Geld.
Die goldene Hand des Geldes
Bereits vor dem Verabschieden des Sondervermögens im Bundesrat am 21. März brachte sich der Digital-Lobbyverband Bitkom mit Forderungen nach massenhaft Geld in Stellung: 100 Milliarden Euro für ein „digital souveränes Deutschland“ werden da gefordert. Darin sind 10 Milliarden für Verwaltungsdigitalisierung enthalten, 35 Milliarden für die Transformation der Wirtschaft, 10 Milliarden für Cloudinfrastrukturen, 5 Milliarden für Bildung und so weiter. Ein langer Wunschzettel, um die Digitalwirtschaft geradezu mit Geld zu überschütten.
Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben des Bundes für Digitalisierung lagen nach Berechnungen der Agora Digitale Transformation zuletzt bei eher so maximal 20 Milliarden Euro pro Jahr. Über die betrachteten vier Jahre verbrannte der Studie nach allein die Digitalisierung der Verwaltung mindestens 16 Milliarden Euro, ohne dabei nennenswerte Fortschritte zu erzielen.
Eine wirkliche Reflexion über den bisherigen Misserfolg scheint es nicht zu geben. Schnell war nach Verabschiedung des Sondervermögens aus politischer Richtung klar, wie das viele Geld verteilt werden sollte, zumindest aus Ländersicht. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther setzt sich zum Beispiel für das „einfache“ Verfahren des Königsteiner Schlüssels ein. Hier werden Gelder mehr oder weniger nach Einwohnerzahl-Anteilen an die Bundesländer ausgeschüttet. Das namensgebende Staatsabkommen für den Königsteiner Schlüssel war 1949 eigentlich dazu da, überregionale Forschungseinrichtungen unter den Ländern gemeinsam zu finanzieren. Eigentlich ein löblicher, früher „Alle für einen“-Ansatz zwischen Bundesländern, zumindest im finanziellen Sinne.
Heute aber wirkt der Ansatz „Königsteiner Gießkanne“ für viele Digitalthemen geradezu antik. Geldverteilung im Digitalen nach Königsteiner Schlüssel heißt heute eher, dass 16 Mal gleichartige Lösungen in Bundesländern finanziert werden. Vielleicht gelingt es noch – wie beim Onlinezugangsgesetz -, sich zumindest nach Themenfeldern abzustimmen und zumindest theoretisch eine Art von gemeinsamer Nutzung zu schaffen. Praktisch aber wird dort in der Umsetzung vieles doppelt entwickelt.
Nun ist es aber so: Digitalisierung endet selten an Länder-, Kommunen- oder Ressortgrenzen. Digitalisierung ist dann erfolgreich, wenn die größtmögliche Skalierung wiederverwendbarer Bausteine in verteilten Strukturen möglich wird, ohne dabei tausende Parallelsysteme zu schaffen. Der Föderalismus, oftmals als Hemmschuh gescholten, ist dabei nicht das Kernproblem. Denn selbst das Internet ist hochgradig dezentral und verteilt – funktioniert aber als digitales Trägermedium ganz hervorragend.
Bei vermeintlich einfachen Forderungen nach viel Geld mit allumfassender Verteilung fühle ich mich daher an den mythischen Charakter des Königs Midas erinnert. Er wünschte sich, dass alles, was er berührte, sich in Gold verwandle. Am Ende war Midas zwar sehr reich. Zugleich aber ward ihm die güldene Gabe zum Fluch. Denn alles, was er berührte, wurde zu Gold: das Essen, das Trinken und auch die eigene Tochter. Oder wie Ovid über Midas schrieb:
Mitten in Fülle bleibt sein Hunger; es brennt in der Kehle
Trockener Durst, und das leidige Gold ist verdienete Plage.
Die güldene Hand des Geldes wird die deutschen Digitalprobleme nicht allein lösen. Schlimmer noch, digitale Probleme wie Parallelentwicklungen von Software, Überbau bei Glasfaser oder Vendor-Lock-in könnten sich mit viel Geld schnell weiter verschärfen. Und ob da ein konservativ geprägtes, möglicherweise eher wirtschaftsorientiertes Digitalministerium ernsthaft gegensteuern kann, muss sich erst noch zeigen.
Die goldene Hand des Wachstums
Midas’ schicksalhafte, lähmende Hand könnte sich im übertragenen Sinne aber nicht nur am Geld allein zeigen.
Der Koalitionsvertrag ist nicht nur voll von allerlei „digital“ und Abwandlungen (187 Nennungen auf 146 Seiten), er bemüht sich auch, Wachstum und Bedingungen für dieses anzuregen. „Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung“ (Zeile 83 ff.) sollen geschaffen werden.
Wachstum ist aber nicht uneingeschränkt positiv, denn es kann auch auf Kosten anderer oder uns aller stattfinden. Im Koalitionsvertrag wird etwa ein „Wachstum von Morgen mit Daten und Künstlicher Intelligenz“ angestrebt (2233 ff.). Dazu eine Kultur der Datennutzung und des Datenteilens. Hier könnte ich wieder auf sogenannte Künstliche Intelligenz und deren Nebeneffekte wie Energiekrisen wegen Rechenzentren, digitaler Kolonialismus und Plagiarismus hinweisen – wie etwa in der letzten Kolumne geschehen -, nur würde das wahrscheinlich nicht mehr durchdringen.
Passender zur Frage des Wachstums und welches Wachstum politisch gewollt ist, ist die Betrachtung einer aktuellen Personalie im Umfeld des Bundesinnenministeriums. Jutta Horstmann, bislang CTO des Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS), wurde in dieser Woche vom Bundesinnenministerium freigestellt. Dieser Schritt kam überraschend, da derzeit allerorten die „Digitale Souveränität“ hochgehalten wird. Überraschend ist auch die Begründung eines BMI-Sprechers, wonach dieser Schritt „zur weiteren Steigerung der Effizienz und Geschwindigkeit bei der Verwaltungsdigitalisierung“ notwendig sei.
Ganz ehrlich, das Bundesinnenministerium wird seit 1982 ununterbrochen von Union und SPD geleitet. Und seit Jahrzehnten ist das BMI weit davon entfernt, in der Verwaltungsdigitalisierung irgendeine Art von Reformeffizienz oder -geschwindigkeit vorweisen zu können. Und ausgerechnet jetzt stellt das BMI Horstmann frei? Eine im Bereich Open Source kompetente Frau, die eine erst im Jahr 2022 ins Leben gerufene Behörde geleitet hat, die nur über knappe und unklare Ressourcen verfügte und dennoch Erfolge vorweisen kann? Das ist nur schwer diplomatisch zu umschreiben. Es ist einfach nur Bullshit.
Ansatzweise erklärbar ist die Personalrotation nur mit einem ganz anderen Fokus auf zukünftiges digitales Wachstum in der deutschen Verwaltung. Ministeriumsnahe Behörden oder Agenturen, wie etwa das ZenDiS, sind dort eher politisch gesteuerte Umsetzungsagenturen. Der offene Office365-Ersatz OpenDesk gilt hier nur als ein digitales Tool, das möglichst schnell wachsen und skalieren soll. Vielleicht kann es außerdem noch als „geladener Colt auf die Brust Microsofts“ (Wolfgang Schmidt, aktuell noch Kanzleramtschef von Olaf Scholz) dienen, um bessere Vertragsbedingungen für Microsoft Office in der Verwaltung rauszuhandeln.
Für eine solche Verwaltungsdigitalisierung braucht es politisch abhängige Behördenleitungen, die weniger Fragen stellen und vor allem für die Umsetzung sorgen. Mehr Rollout von souveränen Lösungen, weniger Politik für das Ökosystem um Open Source an und für sich.
Nur wird dieses Wachstum kein nachhaltiges sein. Open Source ist kein kostenfreier Weg für Software. Sondern es braucht außerdem die nachhaltige Investition in ein Ökosystem und seine Akteur*innen, die einander bestmöglich unterstützen, um gemeinsam besser zu sein als jeder für sich allein. Communitypflege eher im Sinne von Care-Arbeit, nachhaltige Finanzierung für meist allein dastehende Maintainer*innen von Softwarepaketen und die Schaffung von politisch günstigen Rahmenbedingungen für all das. Das aber ist weit mehr als nur Code und Wachstum. Dafür braucht es Menschen, die wie Jutta Horstmann tief und glaubwürdig in der Open Source Community verwurzelt sind. Menschen, die mehr sind als bloße Geschäftsführer*innen.
Am Ende könnte die goldene Hand des Wachstums – die schnelle Skalierung von Open-Source-Lösungen wie OpenDesk – zwar kurzfristige Erfolge liefern. Nur ist das kein nachhaltiges Wachstum, denn am Ende leidet dauerhaft die Open Source Community, die dieses schnelle Wachstum überhaupt erst ermöglicht hat.
Ähnlich wie Midas goldene Hand wird dann zwar viel Wachstum geschaffen. Es ist aber ein Wachstum, das die Beteiligten verhungern und verdursten lässt.
Die eiserne Hand des Staates
Ein weiteres vorherrschendes Thema im Koalitionsvertrag (2615 ff.) ist die innere Sicherheit. Einmal mehr wird hier eine Zeitenwende gefordert. Und diese Zeitenwende lässt sich nur als der Versuch einer eisernen Hand des Staates beschreiben.
Der Chaos Computer Club beschreibt den Koalitionsvertrag zu Recht als ein Diktaturbesteck, schlüsselfertig und maßgeschneidert. Markus’ Kommentar artikuliert meine erste Reaktion auf den Koalitionsvertrag in diesem Aspekt sehr treffend: Das Kopieren menschenfeindlicher Politik führt nur zu mehr menschenfeindlicher Politik.
Ein Staat, dessen eiserne Hand im Sinne der „Sicherheit“ immer mehr Bereiche auch durch digitale Mittel mit Überwachung und Repression widerspruchslos ergreift, wird irgendwann kein demokratischer Staat mehr sein. Denn in einem demokratischen Staat kann es kein uneingeschränktes Vertrauen in ihn und seine Sicherheitsbehörden geben. Wenn der Koalitionsvertrag im Abschnitt zu innerer Sicherheit zumindest einen Abschnitt hat, der wichtig ist, dann ist es dieser (2707 ff.), wenngleich ich diesen bewusst anders lesen muss:
Es ist die gesamtstaatliche und gesellschaftliche Verantwortung, jedweder Destabilisierung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenzuwirken und dabei auch unsere Sicherheitsbehörden nicht allein zu lassen.
Als Zivilgesellschaft sollten wir den Sicherheitsbehörden niemals widerspruchslos vertrauen. Und bei dem schleichenden bis offensiven Versuch, einen Überwachungsstaat zu schaffen, sollten wir ganz und gar nicht schweigen. Denn das führt nur in den Faschismus. Und der ist für uns alle alles andere als golden.
Bianca Kastl ist Entwicklerin und unterstützt seit Beginn der Corona-Pandemie Gesundheitsämter bei der Digitalisierung. Von dort aus schaut sie kritisch auf die digitale Infrastrukturen, die im öffentlichen Gesundheitswesen genutzt werden – vor allem auf deren Schwachstellen. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
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