Mit dem Tod von Papst Franziskus verliert die katholische Kirche eine Stimme, die sich nicht scheute, politisch zu sein. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sieht so etwas offenbar kritisch. Doch solange es Kirchen gibt, dürfen sie nicht neutral sein.
Papst Franziskus ist tot – und mit ihm verstummt eine laute Stimme. Nicht nur auf dem Petersplatz, sondern auch in Timelines und Tagesthemen. Ob der Papst ein „moderner“ Kirchenführer war, darüber kann man streiten. Darüber, dass er ein politischer war, nicht. Seine Äußerungen zu globalen Konflikten, Flüchtlingspolitik oder Klimakrise waren oft klar und unbequem. Nicht nur für Machthaber in aller Welt, sondern auch für Teile der eigenen Kirche. Und das war gut so.
Im Vorfeld von Franziskus‘ Tod echauffierte sich Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin und bekennende Christdemokratin, am Ostersonntag darüber, die Kirche solle nicht „beliebig“ werden – nicht allzu politisch. Was das heißen soll, bleibt vage. Ein bisschen Beten für den Weltfrieden, aber bitte keine Einmischung, wenn es konkret wird? Kein Kommentar zu möglichen Waffenstillständen in Gaza oder der Ukraine und wirtschaftlicher Ungleichheit, so wie es Papst Franziskus zu Lebzeiten tat?
Segnen, aber nicht stören
Man könnte Klöckners Aussage als ungeschickte Formulierung abtun – wenn sie nicht so symptomatisch wäre. Für einen Wunsch nach einer „neutralen“ Zivilgesellschaft, den die Union im Februar dieses Jahres allzu ungeschickt blicken ließ. Und möglicherweise auch nach einer Kirche, die segnet, aber nicht stört. Eine Art seelsorgerisches Background-Rauschen, das niemandem weh tut. Doch Kirche, wenn sie denn eine Rolle spielen will, muss mehr sein als das.
Ich hätte nicht geglaubt, einmal in die Verlegenheit zu geraten, ausgerechnet die katholische Kirche zu verteidigen. Doch wenn selbst die selbsternannten Christdemokraten nicht mehr bereit sind, sich zu Werten wie – um es mit den Worten des Obersten Hirten zu sagen – „Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Solidarität“ zu bekennen, dann müssen wohl die – um es mit Friedrich Merz‘ Worten zu sagen – „linken Spinner“ ran.
Man könnte fast meinen, die CDU habe ihre Marienstatue aus dem Hausaltar ins politische Archiv verbannt – und denke nun, die Kirche müsse es ihr nachtun. Persönlich finde ich nicht, dass es religiöse Institutionen überhaupt geben müsste – aber es gibt sie nun mal. Und damit trifft sie eine Verpflichtung: nicht still zu sein.
Papst Franziskus wusste das – und er handelte danach. Nicht immer konsequent, oft auch ambivalent, vor allem beim Umgang mit innerkirchlichen Machtstrukturen, Missbrauchsskandalen und queeren Menschen. Aber er war jemand, der Positionen bezog. Im Rahmen seiner Möglichkeiten als Oberhaupt einer der konservativsten Institutionen überhaupt, muss man ihn wohl als progressiv bezeichnen. Er forderte einen „radikalen Wandel“ in der Weltwirtschaft, nannte die Ausbeutung der Erde „eine Sünde“ und sprach wiederholt über Migration nicht als Problem, sondern als humanitäre Verpflichtung.
Der Social Media-Papst
Was ihn von vielen seiner Vorgänger unterschied, war dabei nicht nur der Inhalt, sondern auch der Kanal. Franziskus war der erste Papst, der verstanden hat, dass Öffentlichkeitsarbeit heute nicht nur über Enzykliken oder Messfeiern funktioniert. Er war präsent – auf Twitter, Instagram, in kurzen Videobotschaften. @Pontifex hat – Twitter und Instagram zusammengezählt – rund 30 Millionen Follower. Seine Tweets waren nicht immer nur fromme Sprüche und Aufrufe zum Gebet, sondern oft klare Appelle an Machthaber.
Man kann das belächeln – oder es als das erkennen, was es ist: ein Versuch, die oft erdrückende Distanz zwischen Amt und Alltag zu verringern. Kirche als moralische Instanz, die sich nicht hinter hohen Mauern oder altertümlichen Ritualen versteckt, sondern sich in die Gegenwart einmischt. Und das obwohl sie ersteres bedauerlicherweise noch immer oft genug zu tun pflegt. Eine Art PR-Katechismus, ja – aber eben auch ein Signal: Wir sind nicht nur für Sonntage da.
Wer schweigt, macht sich überflüssig
Und auch die beiden großen deutschen Kirchen zeigen: Wer politisch bleibt, bleibt relevant. Die evangelische Kirche etwa positioniert sich regelmäßig gegen rechtsradikale Strömungen, mischt sich ein in die Asyldebatte oder plädiert für Seenotrettung. Die katholische Kirche – trotz innerer Zerrissenheit – äußert sich in Deutschland ebenfalls immer wieder zur sozialen Ungleichheit, zur Klimakrise oder zu globaler Verantwortung. Manchmal zögerlich, oft untereinander uneinig, aber immerhin: mit Haltung.
Es ist bemerkenswert, dass gerade in einer Zeit, in der die Kirche zurecht mit massivem Vertrauensverlust zu kämpfen hat – Missbrauch, Intransparenz, Reformverweigerung – ihre politische Stimme eine der wenigen ist, die noch ernst genommen wird. Vielleicht auch, weil es heute gar nicht mehr anders geht: Wer schweigt, wird nicht gehört. Und wer sich nicht positioniert, macht sich überflüssig.
„Kirche kann nicht unpolitisch sein“
Dass Klöckner nun eine Entpolitisierung nahelegt, wirkt wie ein Rückfall in Zeiten, in denen Geistliche sich zu Steigbügelhaltern weltlicher Regime machten und christliche Werte zugunsten von Einfluss und Geld tief in den Gruften ihrer Basiliken verscharrten. „Eine Kirche kann nicht unpolitisch sein, sie wird immer auch mit ihrer Botschaft ein Ärgernis sein und das ist auch gut so“, kommentierte Armin Laschet zuletzt treffend.
Die Union scheint mit Klöckners Aussage den Grundstein gelegt zu haben, unliebsame Botschaften von Religionsgemeinschaften in Zukunft schlicht als unpassend abzustempeln. Wo soll das hinführen, wenn Kirchen heute schon dafür verunglimpft werden, wenn sie humanitäre Stellung in der Flüchtlingsdebatte beziehen? Wird in dieser Logik dann morgen der Zentralrat der Juden „zu tagespolitisch“ sein, wenn er zunehmenden Antisemitismus anprangert? Dass derartige Stimmungsmache letztlich wieder einmal nur rechtsradikalen Kräften nutzen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Franziskus war nicht perfekt – kein Heiliger in PR-Fragen, kein radikaler Reformer hinter den Kulissen. Aber er war einer, der die politische Dimension des Glaubens nicht fürchtete. Der Twitter als Verkündungsort nutzte. Und der damit gezeigt hat: Wenn die Kirche nicht mehr relevant sein will, muss sie einfach nur still sein. Die Frage ist nur: Wer will das wirklich?
Carla Siepmann schreibt seit 2022 frei für netzpolitik.org. Sie interessiert sich für Gewalt im Netz, Soziale Medien und digitalen Jugendschutz. Seit 2023 erscheint ihre monatliche Kolumne auf netzpolitik.org. Kontakt: carla_siepmann@mailbox.org, @CarlaSiepmann. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
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